RÜCKBLICK - JUNI 2007
Für Heidi war es doch bedeutend mehr als einfach nur schön. Wir waren gerade ins Haus gekommen, da stürzte sie schon an ihr Schubfach, um eine Schere herauszuholen und den letzten Zettel abzuschneiden. Im Handumdrehen war er auf die Sektflasche geklebt. Sie war so geladen, so glücklich! Dann durfte sie den Draht von dem Sektkorken abdrehen und der flog auch richtig durch die Küche. Toll! Die Zungenspitze in den Schaum getaucht, brrrr! Mineralwasser schmeckt doch besser. Ein Glück...
Ja, alles war genau so, wie wir es uns immer wieder vorgestellt hatten. Ein langgezogenes, aber glückliches Ende von 28 Chemotherapien. Fast 17 Monate. Wir finden, dass Heidi nach all diesen Giften und Medikamenten in einem erstaunlich gutem Zustand ist. Am Donnerstag, dem 14. Juni wird eine abschliessende Untersuchung stattfinden. Man wird u.a. das Skelettalter bestimmen (Röntgen der Hand), einen Nierenfunktionstest und eine MRT von Schädel und Rücken durchführen. Drückt die Daumen, dass allles in Ordnung ist. Wir brauchen wirklich eine Atempause, müssen uns ein bisschen erholen. Wenn es auch nur für drei Monate bis zur nächsten MRT ist.
Die Ärzte sind im Allgemeinen schwer zu deuten und reagieren mit einem merkwürdigem Gesichtsausdruck, wenn man nach Heidis Aussichten bohrt. Sie haben wohl ganz einfach keine Antwort. Wir werfen ihnen das auch nicht vor. Sie machen und geben alles, was sie könenn und haben. Bisher haben wir ein und ein halbes Jahr bekommen. Eine schwere Zeit, aber doch mit einer gewissen Lebensqualität. Das vergessen wir nicht.
Selbstverständlich wünschen wir uns nichts mehr auf der Welt, als das alles vorüber ist, aber leider ist die Wahrscheinlichkeit nicht so hoch. Ependymom ist ein sehr bösartiger Krebs, der stark dazu neigt, wieder zu kommen. Es wird gesagt, dass er ohne Strahlung nicht zu besiegen sei.
Aber wie gesagt, jetzt werden wir nicht destruktiv sein und an Rückfall, Strahlung und alles, was passieren kann, denken. Jetzt werden wir jeden Tag und das Leben geniessen. Nochmals vielen Dank an Euch alle da draussen für alle Grüsse, Briefe, Päckchen...
Mittwoch, den 13. Juni 2007
Vielen Dank für alle Gratulationen! Ihr macht Euch keine Vorstellung, wieviel Heidi das Ende der Chemos bedeutet und wie froh sie darüber ist, die starken Gifte nicht mehr zu kriegen. Dass es keine Krankenhausnächte mehr gibt, können wir Heidi allerdings nicht versprechen, da wir den Rest des Jahres bei Fieber immer noch auf die Kinderkrebs-station müssen. Ein halbes Jahr wird notwendig sein, um Heidis Immunsystem wieder auf die Beine zu bringen und in dieser Zeit ist weiterhin Vorsicht geboten. Eventuelles Fieber muss ernst genommen und untersucht werden. Aber ehrlich gesagt, sind wir deswegen nicht allzu beunruhigt. In all den 17 Monaten gerade mal drei Antibiotikakuren, nicht eine einzige Lungenentzündung, Blutvergiftung oder etwas anderes Schlimmes, obwohl die Weissen und neutrophilen Granulozyten mehrmals richtig schlecht waren... Alles ist so gut gelaufen, warum sollte das jetzt anders sein. Wir sind zuversichtlich.
Tja, wisst Ihr, es ist eben nie zu früh "Hurra" zu schreien. Denn was wissen wir schon, was morgen kommt? Genauso gut, dass wir uns heute freuen, wenn alles gut ist. Heute hat Heidi keinen Rückfall. Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber heute ist es nicht so. Heute geht es Heidi super. Wir schauen sie an und sehen ihre grenzenlose Lebensfreude und ihren starken Charakter und ihren wohlgeformten Körper (der 10 cm und 2,5 kg gewachsen ist). Wir sind so stolz. Heute bilden wir uns ein, dass sie genau wie jede andere fünfjährige Göre ist. Vielleicht ein bisschen klüger, ein bisschen geschickter und ein bisschen besser. Sie ist ja unsere Tochter...
Morgen erwarten uns, wie bereits berichtet, einige Untersuchungen. Mit einer MRT von Schädel und Rücken geht es los. Die Gedanken drehen sich im Kreise und an den letzten Abenden war es schwer einzuschlafen. Hoffentlich finden sie nichts! Verdammt, diese ewige Angst, dieses ewige "Was, wenn..."
Vermutlich ist alles in Ordnung und um halb vier, wenn schliesslich auch noch das Gehör überprüft worden ist, werden wir nach Hause fahren, um ein paar Sachen zu packen und Heidi unsere Überraschung zu verraten: Am Freitag wird die ganze Familie nach Dänemark zu Legoland fahren. Die Kinderkrebshilfe lädt ein. Mit jeder Menge anderen Kindern mit dem Bus fahren, im Hotel übernachten und sich zwei Tage im Legoland tummeln - das wird unserer Maus zweifelsohne gefallen. Auch wenn wir Eltern sehr geschafft sind und uns am liebsten nur ausruhen und faulenzen wollen, wird es sicherlich viel Spass machen. Die Abwechslung und Unterhaltung wird auch uns gut tun. Es ist sicher nicht so gut, einfach wie ein Sack zusammen zu fallen. Aber leicht passiert, denke ich mal. So, fertig für heute, nun drückt fest die Daumen!
Donnerstag, den 14. Juni 2007
Alles klappt gut und Heidi ist ein sehr tüchtiges Mädchen. Das MRT-Team besteht aus wohlbekannten Gesichtern. Sie wissen genau, wie man Heidi behandeln muss, damit sie ruhig und entspannt ist. Unter kompetenten Händen gehen Narkose und Untersuchung wie geschmiert. Auch auf der Aufwachstation geht alles prima. Heidi ist schnell wieder da und man braucht kaum irgendwelche Kontrollen zu machen.
So weit wir wissen, sind keine grossen Geschwüre zu sehen. Mehr werden wir hören, wenn die Ärzte ihre Tumorbesprechung abgehalten haben. Ich nehme an, dass sie nicht so viel sagen werden, wenn die MRT-Bilder in Ordnung sind. Keine Nachrichten sind in den nächsten Wochen also gute Nachrichten.
Doktor Helena untersucht Heidi sorgfältig. Sie kommentiert nicht so viel. Alles scheint so zu sein, wie es sein soll. Die Reflexe in den Beinen sind völlig weg, ganz normal, wenn das Rattengift Vincristin im Bilde war. Es kann mehre Jahre dauern, bis die Reflexe wieder richtig da sind. Etwas besser zu hören war, dass wir in den kommenden Monaten wohl nicht ständig zum Blutabnehmen rennen müssen, wie wir es befürchtet hatten. Sobald die Werte die richtige Tendenz aufweisen, reicht es. Herrlich!
Für den Nierenfunktionstest werden Heidi zwei Blutproben über den Finger entnommen. Das macht sie heute glänzend. Schon am Abend vorher, als Heidi und Jan den Tagesablauf für heute durchgingen, hatte Heidi sich entschieden, die zwei Proben gut zu überstehen. Und so ist es dann auch. Toll!
Gerade, als wir zum Handröntgen los wollen, bekommt die Schwester einen Anruf vom Labor. Da hat man das zweite Röhrchen mit Heidis Blut fallen lassen, wobei der Verschluss abging und das Blut auf den Boden lief. Als Viveka Heidi vorsichtig fragt, ob sie denn noch eine Probe machen kann, sehen wir uns ein wenig beunruhigt an. Aber Heidi trägt es wie ein Mann und sagt schnell: "Das macht nichts." Aha, also wieder zum Behandlungszimmer und den dritten Finger ausgestreckt. Auch dieses Mal verzieht Heidi keine Miene.
Am Nachmittag können wir uns nicht mehr beherrschen und erzählen Heidi von der Reise ins Legoland. So ein Spass! Heidi, die heute wirklich froh und munter ist, wird noch froher und noch munterer. Sie ist einfach ein Schatz.
Samstag, den 23. Juni 2007
Na ja, das kommt vor. Nur, dass wir nun wieder die ganze Woche vor dem blöden Fieber Angst hatten, da Heidis Weisse und neutrophile Granulozytenbei der Åprobe vom Mittwoch recht schlecht waren. Aber bis jetzt ist alles gut gegangen und wir hoffen, dass die neutrophilen Granulozyten nächste Woche auf 1,0 klettern. Das würde bedeuten, dass Heidi nicht mehr so infektionsgefährdet ist, dass wir keine Blutproben mehr machen müssen und somit endlich mit dem Wohnwagen losfahren können. Wir sehnen uns nach einer richtig langen Reise, nachdem wir voriges Jahr immer nur für ein paar Tage und im Radius von 50 km wegfahren konnten.
Am Mittwoch wird Heidi für ein, zwei Stunden von einem Neuropsychologen in die Mangel genommen, um ihre geistige Entwicklung zu überprüfen. Einen solchen Test hatte man auch vor der ersten Operation im Dezember 2005 durchgeführ. Wird spannend. So schlecht kann es eigentlich nicht bestellt sein, wenn man an Heidis leuchtende Einfälle denkt, die sie uns hin und wieder auftischt.
Wie zum Beispiel vor einiger Zeit, als Jan auf der Strasse von einem Mann nach dem Weg zur Zentralschule gefragt wurde und Heidi wissen wollte, wer dieser Mann gewesen sei. Jan spekulierte, dass das vielleicht der Lehrer war, den Heidi eines Tages haben würde, wenn sie in die Schule kommt. Worauf Heidi sagte:"Aber ich werde keinen Lehrer haben. Ich werde der Lehrer sein!" Oder heute, als wir ein Spiel spielten und Heidi und Jan sich nicht über die Regeln einigen konnten. Da drohte Heidi damit, ihre Taschen zu packen und wegzufahren. Nach England. Eine Drohung, die wir anderen in der Familie einstimmig als zehn Jahre verfrüht betrachteten. Na ja, ich durfte jedenfalls mitfahren und auch Tim, der als Reiseziel Legoland vorschlug. "Nein, nein", sagte Heidi. "Nicht zu Legoland. Da müssen wir doch wieder zurück nach Hause..."
Mittsommer
RÜCKBLICK - MAI 2007
Ein wunderbarer Tag...
Donnerstag, den 3. Mai 2007
Wieder zu Hause kriegt Heidi Jeans an und geht für ein paar Stunden in den Kindergarten. Vielen Dank an die Erzieherinnen, die das immer so möglich machen!
Heute hat Heidi nun Geburtstag, aber davon weiss sie ja nichts. Es fühlt sich schon ein bisschen komisch an, aber andererseits hatten wir stattdessen einen herrlichen ersten Mai. Mit Eva und Marlene und Matilda und Torte und allem. Ein Dankeschön für alle Grüsse, Bloggkommentare, Bilder, Karten, e-Mails und Geschenke!
Heute früh dann also wieder in die Klinik. Es ist wieder ziemlich schlimm, die Nadel in Heidis Port zu kriegen. Da kann man einfach nichts machen.
Aber dann läuft alles recht gut und am Nachmittag erleben wir etwas richtig Tolles: Wir sehen Nanne Grönvall, eine der berühmtesten schwedischen Schlagerstars. Sie ist eine Patin von einer Stiftung, die schwerkranken Kindern einen grossen Wunsch erfüllt. Darum kommt sie heute zur Kinderklinik, um den Nachmittag mit dem kleinen tapferen Gustav zu verbringen, der schon vier Jahre gegen seinen bösen Gehirntumor kämpft. Ausserdem lädt sie alle Kinder und Eltern zu einem Plausch über Kaffee und Kuchen ein. Sie singt und tanzt auch ein bisschen. Berühmte Schlager, die Heidi oft vor sich hin trällert. Heidi ist ganz verdattert und genau wie vor einem Jahr, als wir zum Konzert mit Carola waren, scheint Heidi das Ganze ein bisschen merkwürdig vorzukommen. Ihr Erstaunen erreicht den Höhepunkt, als Nanne sich vor Heidi hinkutzt, mit ihr spricht, Heidis Wangen streichelt, ein Autogramm schreibt, uns viel Glück wünscht. Irre!
Dann kommt auch noch die Zeitung, schiesst jede Menge Bilder von Heidi, Nanne, Tim und mir und interviewt uns. Schon um sechs schläft Heidi ein. Sie ist nach all den Aufregungen des Tages und nicht zuletzt den starken Giften völlig groggy.
Freitag, den 4. Mai 2007 - total kaputt
Dienstag, den 8. Mai 2007
Wieder draussen! Hurra, hurra! Und es ging dieses Mal sogar recht schnell, nur vier Tage. Alles ist relativ, aber diese Chemo kann sich richtig hinziehen, wenn der MTX-Wert (der, wie Ihr wisst, unter 0,2 liegen muss, bevor man entlassen wird) einen zum Narren hält.
Heidis Wert war am Sonntag Abend jedenfalls 0,15. Um 20.45 Uhr hatte man die Probe entnommen. Da hatten wir so weit es geht alles gepackt. Hofften und hofften. Bitte, bitte - wir wollen so gern nach Hause! Während wir auf den Befund warten, versuchen wir, Heidi wach zu halten. Aber kurz vor 22 Uhr kann sie nicht mehr und schläft ein. Oj, so einfach wird das nun nicht, sie zu wecken. Totmüde und halbwach und dann muss die Nadel raus, na, das kann ja heiter werden. Darum hatten wir Heidi darauf vorbereitet, dass wir sie, obwohl sie gerade eingeschlafen sein wird, vielleicht wecken werden, um nach Hause zu fahren. Dieses zuckersüsse Versprechen muss dahinter gelegen haben, dass Heidi die Nadelprozedur zwar mit Unwillen aber doch schnell und ohne grösseren Kampf über sich ergehen liess. Und um 23 Uhr an diesem Abend lag sie dann in ihrem eigenen Bett und schlief. Schön!
Am nächsten Morgen Viertel nach sechs ist Heidi wach und voller Energie (woher wohl, fragen wir uns). Sie ist wie ein Sausewind. Nach dem Mittag kommen Jan und Heidi in die Schule und malen mit meiner 9. Klasse. Das hatte sich Heidi schon lange gewünscht. Aber damit nicht genug. Auf dem Heimweg halten sie auch noch bei Jans Arbeit an und trinken dort Kaffee.
Den ganzen Tag hüpft und tanzt Heidi durch die Gegend. Den ganzen Tag plappert sie davon, wie es morgen im Kindergarten wird, wenn man ihren Geburtstag feiert. Und den ganzen Tag proklamiert sie, dass sie nun schon so gross ist, dass sie im Prinzip selbst zurecht kommen kann. Das einzige Hindernis ist ihr Alter, diese blöde Fünf. Die macht alles kaputt, verrät ja ihr tatsächliches Alter. Oj, oj... Heidi ist gefährlich. Und lustig!
Am Abend will sie ohne Mama oder Papa zu Bett gehen. Und ohne Nuckel. Die würde sie ab jetzt nur noch im Krankenhaus haben (genau das, wovon wir schon ewig, aber leider ohne Erfolg reden, wenn es um die Nuckelfrage geht). Heidi kann aber nicht einschlafen und ich gehe zu ihr. Sie erzählt mir eine Geschichte, unterrichtet mich in Sachen Höflichkeit und plant den nächsten Tag, den sie sehr selbständig verbringen will. Eine Dreiviertelstunde später bin ich so fürchterlich müde und sehne mich so sehr nach meiner Ecke in der Couch, dass ich Heidi überrede, doch einen Nuckel in den Mund zu stecken, worauf sie zum Schluss dann endlich einschläft.
Heute früh erklärt Heidi, dass sie allein aufstehen und frühstücken wird. Wir hingegen sollen liegen bleiben und noch ein bisschen schlafen, damit wir ordentlich Kraft für den Arbeitstag hätten. Der Ernst in Heidis Stimme rät uns, ihren Aufforderungen ohne Einwände nachzukommen.
Heidi findet, dass sie heute ewig warten muss, bis wir zum Kindergarten fahren. Dann endlich gehen wir los. Mit zwei Kartons Eis am Stiel im Rucksack, jeder Menge Hummeln im Hintern und allem Glück dieser Welt im Herzen zieht sie davon. Ach, könnte ich je ohne sie leben?
Donnerstag, den 16. Mai 2007
Seit dem letzten Eintrag ist die Zeit wie im Fluge vergangen. Am Samstag hatte Heidi ihre heiss ersehnte Geburtstagsparty. Mehrere Tage lang hatten wir gebastelt und alles Mögliche vorbereitet. Heidi war sowohl mit den Vorbereitungen als auch mit der Feier mehr als zufrieden. "Ich vermisse sie jetzt schon." sagte sie, nur kurz nachdem sich ihre Gäste verabschiedet hatten.
Vorgestern war dann schon die nächste Chemo, Nr. 27, dran. Nadel usw. war kein Vergnügen, aber das brauchen wir ja kaum noch zu schreiben. Schön war, dass wir am selben Tag wieder nach Hause können. Das gibt Heidi extra Kraft und zum ersten Mal seit langem schafft sie eine kleine Runde zur Spielthearpie.
Heidi weiss auch, dass bei ihrer Heimkehr Oma und Horst, die gerade aus Deutschland angekommen waren, mit noch mehr Geburtstagsgeschenken und Mengen von leckeren Bratwürsten warten würden. Heidi liebt Thüringer Bratwurst. Oma und Horst haben sich extra einen Autokühlschrank angeschafft, um den Spezialtransport der 50 Würste ordentlich abwickeln zu können. Verrückt!
Zum späten Nachmittag und Abend hin geht es Heidi schlecht und gerade zu Hause, noch vor der Haustür, muss Heidi sich trotz aller drei Anti-Übelkeit-Medikamente kräftig übergeben. Arme Kleine. Trotzdem soll Jan den Grill anzünden und eine knappe Stunde später beisst sie genüsslich in die erste Wurst, verspeist diese und dann noch eine halbe, nebst Brötchen wohlgemerkt. Also ungefähr so viel, wovon auch ich satt werde. Dann schläft sie ruhig und ohne Brechen die ganze Nacht.
Der gestrige Tag war dann etwas schwerer. Nichts will schmecken, gerade mal, dass Heidi Wasser runter kriegt. Sie legt sich viel öfter hin, als sie es sonst macht. Die ganze Zeit kontrolliere ich ihre Stirn. Ein bisschen warm ist sie. Bloss jetzt kein hohes Fieber. Die Vorstellung von noch mehr Tagen im Krankenhaus lässt mich erschaudern. Wir WOLLEN nicht mehr dahin. Diese ewige Unsicherheit! Wir haben die Nase so verdammt voll davon. Am liebsten würde ich wie ein Bierkutscher über diese elende Angst schwören.Zwischendurch geht Heidi immer mal in den Garten, um sich davon zu überzeugen, wie weit die Arbeiten an ihrem tollen Spielplatz voran geschritten sind. Sie hat nämlich von Jans Tante Inga-Maj ein tolles Klettergerüst, ein sogenanntes Jungle Gym, geschenkt bekommen. Heidis Freude ist gross. Auf dem Foto sieht man die erste Tour auf der Rutsche. Jan musste sie mitten im Bauen provisorisch anhängen, damit Heidi einmal proberutschen konnte. Geduld ist wirklich keine von Heidis grössten Tugenden.Am Nachmittag schläft Heidi mehrere Stunden. Das Fieber bleibt unter 38, aber die Frage, wo wir heute Nacht sein werden, ist noch lange nicht entschieden.
Donnerstag, den 24. Mai 2007
Wie durch ein Wunder entkommen wir wieder mal der Klinik. Das Fieber ist nicht weiter gestiegen. Heidis Körper hat es wieder mal geschafft, das Elend abzuschütteln und hervor kam unser gewohntes Mäusel, froh und munter und guter Laune. So eine Erleichterung! Ihr macht Euch keine Vorstellung. Wieviel Spass hätte es gemacht, Oma und Horst zu Besuch zu haben, während Heidi zwecks Antibiotikakur in der Klinik ist? Ausserdem hätte unsere Festmaus den Geburtstag von Kindergarten freund Hugo verpasst. Ne, ohne Klinik war es doch viel besser.Die Tage vergehen und unter Jans und Horsts geschickten Händen wächst Heidis Jungle Gym hervor. Jetzt ist es im prinzip fertig und an Heidis Körper leuchten bereits einige prächtige blaue Flecken. Sie ist wie eine Wilde?Wenn die Werte es hergeben, haben wir nächste Woche The Final Count Down, d.h. die letzte Chemo. Sind wir wirklich so weit gekommen? Und wann werden wir nun eigentlich aus diesem schauerlichen Traum von Heidis lebensbedrohlicher Krankheit erwachen??? Aber nein, stimmt, es ist ja gar kein Traum. Wann werden wir das endlich begreifen? Werden wir es je verstehen?
Geschminkt und geschmückt - nun geht es zu Hugos Geburtstagsfest
Freitag, den 25. Mai 2007
Immer kann es leider keine Wunder geben. Und wenn die Chemos das Immunsystem vollständig in die Knie zwingen, wie es nun bei Heidi nach der letzten Chemo der Fall war, braucht man mit Wundern nicht mehr zu rechnen. Weisse 0,79 (normal 5,0 - 15,0) und neutrophile Granulozyten 0,12 (normal 1,5 - 8,0) - gestern kam das Fieber.
Erst ist Heidi im Kindergarten. Am Nachmittag fahren wir mit Marlene und Matilda nach Malmö, um das Geburtstagsgeschenk, dass Heidi von den beiden erhalten hatte, einzulösen. Sie darf ihren eigenen Teddy machen. Das Geschäft gibt es sicher auch in Deutschland. Man sucht sich ein ungestopftes Plüschtier aus, das wird dann mit Füllmaterial in Form gebracht, dazu kann man sich Kleidung und allerlei Zubehör aussuchen. Hauptsache, man hat die dicke Geldbörse dabei. Heidi ist angesichts des gigantischen Angebots total verstummt, entscheidet sich dann aber schnell für eine weisse seidenweiche Prinzessinnenkatze. Sie probiert der Katze ein glitzerndes Ballerinakleidchen und lila Sandalen an, entdeckt ein strassglänzendes rosa Täschchen sowie eine Nuckelflasche und eine Rassel. Nein, die Wahl fällt ihr wirklich nicht schwer. Marlene und ich kichern über Heidis Entscheidungen. Wir sind absolut nicht überrascht. Gold und Glitter...
Gerade von diesem Abenteuer zurück, bekommt Heidi recht schnell ansteigendes Fieber und um 20.15 Uhr checken wir in der Kinderkrebsstation ein, wo die gewöhnlichen Routinen eingeleitet werden. Bei der Untersuchung kann die Ärztin nichts weiter feststellen. Die Lunge ist in Ordnung. Hoffentlich hat Heidi keine böse Infektion. Wir werden sehen, was die Blutkultur ergibt.Nun bekommt Heidi jede sechste Stunde Antibiotika, intravenös natürlich. Die Medizin ist stark und Heidi wird schlecht davon. Alles, was sie trinkt, kommt wieder raus. Darum experimentiert man mit ein bisschen Anti-Übelkeit-Medizin. Arme Maus. Muss sie wieder in der Klinik und das richtige Leben auf Eis liegen. So ungerecht. Habe ich nicht gesagt, dass wir nicht mehr im Krankenhaus sein WOLLEN? Verdammt, so ein Elend aber auch.
Sonntag, den 27. Mai 2007
Es ist vier Uhr am Nachmittag. Wir sind nach einigen Stunden Ausgang gerade zurück zur Klinik gefahren. Es war herrlich, zu Hause zu sein. Heidi geht es gut. Am meisten leidet sie unter der blöden Nadel in ihrem Port. Mit einem rechten, den man nicht nutzen will, macht nichts so richtig Spass.
Die Ärzte haben erwähnt, die Antibiotikabehandlung nach fünf Tagen vielleicht abzubrechen, wenn die Blutkultur nichts ergeben hat. Bisher ist nocht nichts gesehen worden und es ist recht unwahrscheinlich, dass Heidi eine ernsthafte bakterielle Infektion haben soll. Fieber hat sie seit der Nacht zum Samstag jedenfalls nicht mehr gehabt, aber ihre Weissen sind sehr schlecht und die neutrophilen Granulozyten völlig weg. So, wann wird nun dei letzte Chemo sein? Vor der schweren Cisplatinbehandlung sollen die neutrophilen Granulozyten mindestens auf 1,0 liegen. Stellt sich die Frage, ob sie sich in ein paar Tagen so viel aufrappeln können. Das hoffen wir jedenfalls, um die letzte Chemo im direkten Anschluss an die jetzige Behandlung durchziehen zu können. Na, wir werden sehen...
Heidi lacht und scherzt mit Jan. Gleich kommt die Krankenschwester, um ihr die Infusion zu geben. In einer Stunde können wir wieder nach Hause fahren, um Abendbrot zu machen. Es tut uns gut, nach Hause zu kommen. Aber es ist schon ein komisches Gefühl, jedes Mal die Sanduhr umzudrehen, sobald man in sein Haus getreten ist, um dann die ganze Zeit den Sandstrahl im Auge zu behalten, der unbeirrt durch die schmale Öffnung rinnt, bis es wieder so weit ist, ins Auto zu hüpfen...
Dienstag, den 29. Mai 2007
Es ist 21.15 Uhr und auch heute Abend mussten wir zurück in die Klinik. Heidi bekommt ihre Antibiotikainfusion und wir schlafen wieder hier. Es geht ihr richtig gut. Aber es ist immer noch kein endgültiger Befund der Blutkultur gekommen und ausserdem sollen ihre neutrophilen Granulozyten noch etwas höher klettern, bevor man die Antibiotikakur beendet. Die Chemo können wir diese Woche vergessen, aber am Wochenende sind wir hoffentlich zu Hause. Dann werden wir tief einatmen und zwecks Nr. 28 nochmal in der Klinik einchecken.
"Wenn wir doch nur die ganze Zeit in Staffanstorp bleiben könnten und nicht mehr nach Lund fahren brauchten." sagte Heidi gestern. Ja, wir haben das ständige Pendeln wirklich leid. Heute Nachmittag, als wir zu Hause waren, hatte Heidi den Kanal dann richtig voll. Nun reichte es ihr aber, draussen ist Sommer und sie läuft mit Nickijacke und Hose herum. Das Umziehen, das sonst Kampf und Krampf bis aufs Ässerste bedeuten, wenn Heidi die Nadel im Port hat, war mit einem Mal ein Kinderspiel. Heidi wollte ein Sommerkleid und ihre Perücke tragen. Und Kette und Ringe und Mikrofon. Sie tanzte und sang und plötzlich sauste der sonst Tag und Nacht an den Körper gepresste rechte Arm durch die Luft. "Wenn ich aus der Schule komme, werde ich beim Schlager-Grand-Prix singen, damit mich alle im Fernsehen sehen können." verkündete sie. Na, jedenfalls sehr verständig, dass sie erst die Schule abschliessen will, nicht wahr?
Donnerstag, den 31. Mai 2007
Apropos Wunder: Chemo Nr. 28 hat begonnen! Heidi bekommt nun allen Annahmen zum Trotz ihre letzte Runde Chemogifte in direktem Anschluss an die Antibiotikakur. Schon gestern lagen ihre neutrophilen Granulozyten bei 0,67. Das hätte den Ärzten gereicht, um das Antibiotikum abzusetzten. Aber von der Blutkultur lag immer noch kein Befund vor.
Heute Vormittag fahren wir also wiede auf Ausgang. Heidi hat sich so nach dem Kindergarten gesehnt, dass ich kurzerhand die Erzieherinnen anrufe und frage, ob sie für ein paar Stunden kommen kann. Die Antwort lässt Heidi vor lauter Freude hoch hüpfen: Klar, kein Problem. Nun darf man nicht vergessen, dass sie immer noch Nadel und Schlauch hat. Im letzten Jahr hat sie unter der "Schwere" der Nadel eher wie ein kleines, altes, puckliges Weiblein ausgesehen. Jetzt würde sie sogar in den Kindergarten gehen. Alle Kinder durften sich die Ausrüstung auch mal aus nähester Nähe angucken. Alle Mädchen trauten sich, aber nur zwei Jungen, berichtete Heidi mit gewisser Kritik.
Halb zwei ruft die Klinik an. Die Blutkultur ist negativ, d.h. es konnten keine Bakterien nachgewiesen werden. Gut! Ausserdem seien Heidis neutrophile Granulozyten auf ganze 1,1 hoch geschossen - mit anderen Worten könnte Heidis Chemo also unmittelbar begonnen werden. Wenn wir wollten. Heute! In dieselbe Nadel! So ein Glück. Klar, wir hatten eigentlich damit gerechnet, am Wochenende endlich alle zu Hause zu sein und nun bekommen wir weitere vier Tage in der Klinik, aber dafür brauchen wir dann nächste Woche nicht noch mal von vorn anfangen. Ganz einfach w u n d e r bar!
Unwillkürlich schweifen unsere Gedanken zum Sonntag Abend und zu dem, was wir in unserem Gepäck haben werden, wenn sich die Tore der Kinderkrebsstation hinter uns schliessen. 28 Chemotherapien. Bald, bald...
RÜCKBLICK - APRIL 2007
So, nun sind wir von der ersten Tour mit dem Wohnwagen wieder zurück. Die wunderbare Frühlingssonne hat rosige Tupfen auf unsere krankenhausbleichen Wangen von voriger Woche gezaubert. Phantastisch! 40 km weg von Waschmaschine und Staubsauger, Moos im Rasen, unmontierten Flurmöbeln und einem Haus, das nach Renovierung schreit, haben wir Zeit. Zeit für einander, Zeit für Heidi. Und eine Sache ist sicher: Heidi nutzt jede Sekunde mit uns, lässt keine Gelegenheit verstreichen, mit uns zu spielen. Das macht Spass. Gleichzeitig sind wir so schrecklich müde, hätten gern ein bisschen länger in unseren Campingstühlen geschlummert. Ach, wir sind ja so langweilig.
Heidi geht es gut. Alles ist natürlich relativ. Es scheint, dass sich die Aus- und Nebenwirkungen der Chemos immer länger dahin ziehen, wenn wir erst mal zu Hause sind. In der vergangenen Woche fiel es Heidi oft schwer einzuschlafen und mehrere Male war ihr schlecht. Sogar gestern noch, eine ganze Woche nach abgeschlossener Chemo, musste sie brechen. Man kann sich fragen, in welchem Zustand die Magenschleimhäute sind. Oder besser gesagt Heidis ganzer Körper. Die letzte Chemo und alle Nachwirkungen haben ihr fast ein Kilo gekostet.
Aber nun ist nur noch eine Serie, also vier verschiedene Chemos, übrig. Jedes Mal, wenn Heidi einen Chemococktail kriegt, wird es der letzte seiner Art sein. Kann das wirklich wahr sein? Sind wir wirklich bald fertig? Wir haben gemischte Gefühle. Einerseits wollen wir die Chemos hinter uns bringen. Andererseits sind es ja die Chemos, die den Krebs bis jetzt auf Abstand gehalten haben. Wir haben Zeit gewonnen. Unbeschreiblich wertvolle Zeit. Aber wir sind irgendwie ganz schön am Ende und sehnen uns danach, endlich den Epilog des Chemokapitels schreiben zu können, auch wenn uns nach dem Abschluss dieser 28 Chemos eine in aller högstem Grade diffuse und vielleicht sogar düstere Zeit bevorsteht.Donnerstag, den 5. April 2007 - FROHE OSTERN!
Zuerst ein Foto von gestern: eine glückliche Heidi 15 Minuten vor dem Blutabnehmen. Erst freuten sich eine Menge Rentner über unser süsses Osterweiblein (ist ein Brauch in Schweden), dann auch Marita und die anderen im Labor. Kein Problem, Heidi in den Finger zu stechen und das kleine Röhrchen mit Blut zu füllen - Marita konnte in Ruhe arbeiten, da Heidi völlig entspannt war.
Heute sind wir in der Klinik, um Chemo Nr. 25 zu machen. Die letzten zwei Male, als Heidi Vincristin/Carboplatin bekam, hatte man den Spültropf abgesetzt und alles war in sechs Stunden erledigt. Jetzt sind die 24 Stunden Spültropf plötzlich wieder zurück, was eine Übernachtung bedeutet. Wirklich merkwürdig. Voll darauf eingestellt, dass wir bei dieser Chemo zu Hause schlafen würden, findet Heidi das überhaupt nicht gut. "Ich will nach Hause", sagt sie schon zur Mittagszeit. Arme Maus.
Um sie zu trösten, schlagen wir vor, am Wochenende ein Fest zu feiern. Fest - ja, das ist Musik in Heidis Ohren, das mag sie. Hm, und wen sollen wir einladen? Die Cousinen Hanna und Elin aus Vara, findet Heidi.
Und das ist genau das, was wir gemacht haben, nur, dass das schon vor mehreren Wochen war. Morgen kommt die ganze Familie, mit Oma Greta als Bonus, zu uns. Das wird ein Spass, Heidi diese Nachricht zu überbringen... Bis dahin müssen wir hier die Zähne zusammen beissen und das ausstehen, was wir sowieso nicht ändern können. Die Chemos sind wichtig - dem Krebs wird keine Chance gegeben.
Montag, den 16. April 2007
Bei uns ist alles unter Kontrolle und alle Pläne haben geklappt - Heidis Cousinen und Oma waren über Ostern bei uns und Heidi war seelig. Spielkameraden in nächster Nähe - was gibt es Besseres. Und Heidi hatte sich auch danach gesehnt, endlich mal wieder in Omas Schoss zu sitzen.
Dann eine wunderbar normale Woche. Sonnige Kindergartentage. Keine Sorgen. Kein Fieber. kein Krankenhaus. Sogar das Essen hat wieder gut geschmeckt.
Am Wochenende waren wir mit dem Wohnwagen unterwegs. Heidi hatte sich eine Tour zu Skånes Tierpark gewünscht und als Sahnetüpfchen hatten wir Tim, Marlene und Matilda zu Gast. Als wir gestern aufbrechen mussten, war Heidi enttäuscht. So oft hatten wir nun wirklich nicht im Wohnwagen übernachtet...
Morgen haben wir ein Jubiläum: der hundertste Stich in Heidis Fingerchen. Obwohl es eigentlich korrekter wäre zu sagen, dass es die hundertste Finger-Blutprobe ist, da es manchmal eines weiteren Stiches bedarf, wenn das Blut aus dem ersten Loch schlecht kommt.
Bleibt nur zuhoffen, dass Heidis Werte gut genug sind, um die nächste Chemo am Mittwoch zu beginnen. Wie die neutrophilen Granulozyten und Weissen aussehen, wissen wir nicht. Der Hb ist vielleicht in Ordnung. Heidi hat rosa Wangen. Aber wie es bei den Trombozyten aussieht, ist fraglich. Heidis Beine sind voller blauer Flecken. Klinik oder nicht? Morgen wissen wir mehr. Die kommende Chemo bedeutet viele Tage in der Klinik, darum fällt es uns wie immer schwer zu behaupten, das wir uns darauf freuen. Vor einer Weile haben wir mit Heidi darüber geredet und sie in die Küche geschickt, wo unser (nunmehr kurzes) Massband hängt, um die ausstehenden Chemos zu zählen (Siehe Bild. Nur, dass es so am Anfang aussah. Laaaang. Nach jeder Chemo schneiden wir ein Zettelchen ab und kleben es auf eine Sektflasche). Von der Küche hörten wir Heidi: "Eins, swei, lei." Zurück im Esszimmer erklärt sie mit einer nonchalanten Handbewegung: "Lei mal. Das ist kein Lolem. Das schaffen wir!" Und freilich, das schafft sie, unser tapferes Mädchen.
Donnerstag, den 19. April 2007
Schlimm, heute jagt man keinen Hund vor die Tür. So ein kalter Wind da draussen... Das wäre perfektes Klinikwetter gewesen, aber wegen Heidis schlechter Werte sind wir zu Hause. Nicht gerade eine Überraschung. Nach Nr. eins hatten wir schon früher lange Wartezeiten. Kann man nichts machen. Hoffentlich gelingt es irgendwelchen hässlichen Bakterien nicht, sich an Heidis derzeit äusserst magerem Immunsystem vorbeizumogeln.
Jan und ich werden wieder mal von noch grösserer Unruhe geplagt, Heidi von meiner Hand, die ständig auf ihrer Stirn liegt. Na ja, ihr Körper hat solche Situationen schon so oft geschafft, es wird auch dieses Mal gut gehen.
Freitag, den 27. April 2007
An der Chemofront ist es weiterhin still. Leider keine neuen Zettelchen für die Sektflasche. Heidis weisse Blutkörperchen klettern zum Glück sachte wieder nach oben und bis jetzt ist sie von ernsthaften Infektionen verschont geblieben. Jeden zweiten Tag müssen wir zum Blutabnehmen. Nervend, aber notwendig, um die kümmerlichen Trombozyten und roten Blutkörperchen im Auge zu behalten, die jeden Moment ins Nichts abrutschen können. Heidis Mittelfinger sind schon bald durchlöchert und jedes Mal, wenn wir die Klinik wegen den Befunden anrufen, erwarten wir, zur Transfusion bestellt zu werden. So sieht im Moment unser Alltag aus.
Gleichzeitig laufen Arbeit und Kindergarten weiter. Und da ist dann noch unser Herz, dass bei jedem Telefonsignal ein paar Schläge überspringt. Bloss nicht die Nummer vom Kindergarten. Die Vorstellung, dass Heidi hingefallen sein könnte und nun unaufhörlich blutet, lässt uns keine Ruhe. Aber was sollen wir machen? Wir können sie ja nicht anbinden. Leben ist gefährlich, versuchen wir uns zu beruhigen. Es ist so leicht, kluge Sprüche zu klopfen. Sich daran zu halten, ist eine ganz andere Sache. Heidi ist ein lebhaftes Kind und der Mangel an roten Blutkörperchen, eine erhöhte Müdigkeit und Ermattung, ist wie immer nicht zu bemerken. Sei vorsichtig, rufen wir ihr hinterher, wenn sie davon saust. Meint Ihr, dass das hilft?
Viertel nach eins erreiche ich endlich die Klinik und erhalte Heidis Befunde. Die Transfusion ist nun endgültig ein Faktum. Heidis Hb ist von Tag zu Tag gesunken und liegt nun bei 76. Genau wie das Meiste in unserem Körper ist das Hemoglobin sehr wichtig, da es den Sauerstoff von der Lunge in die Zellen transportiert. Die Zellen wiederum brauchen den Sauerstoff fur den Stoffwechsel und das gibt uns Energie. Eigenlich komisch, dass Heidi so fit ist. Morgen müssen wir also zu unserem Lieblingsort zum Tanken. Was für ein Samstag...
Aber wir haben den Sonntag, auf den wir uns freuen können. Da wollen nämlich unsere Freunde Johan und Helena aus Göteborg kommen. Zum ersten Mal dürfen wir sie mit ihrem kleinen Mädchen Linn sehen, auf das sie so lange gewartet haben und mit dem sie neulich von China nach Hause gekommen sind. Wir freuen uns wirklich wahnsinnig und Heidi kann es kaum abwarten. Mit diesen guten Aussichten wird es Heidi hoffentlich ein bisschen leichter fallen, die dumme Nadel zu ertragen.
Samstag, den 28. April 2007
Halb elf sind wir im Krankenhaus, kurz darauf ist die Nadel in Heidis Port. Eine Stunde später sind wir wieder weg. Keine Transfusion, entscheidet die Ärztin. Die heutige Blutprobe zeigt nämlich, dass der Hb-Wert wieder nach oben tendiert. Weisse, neutrophile Granulozyten und Trombozyten waren schon vor einigen Tagen auf dem Anmarsch und nun brauchen wir vor der für Mittwoch geplanten Chemo nicht mal eine neue Blutprobe machen. Mittwoch, das ist ein Tag vor Heidis Geburtstag. Ziemlich dumm, dass wir an ihrem Geburtstag in der Klinik sind. Darum werden wir den Kalender ein wenig ändern, gesetzlos wie wir nun mal sind. Dieses Jahr fällt der dritte Mai ganz einfach auf den ersten. Perfekt! Die ganze Familie hat frei und wir können Heidis Geburtstag zu Hause feiern. Mit Torte und Kerzen, Geschenken und Luftballons statt Nadel und Schläuche, Metothrexat und Spuckbeutel.
RÜCKBLICK - MÄRZ 2007
Die Nadel in Heidis Port zu stechen, ist wieder etwas schlimmer. Ausserdem muss Heidi noch einen Nierenfuntionstest über sich ergehen lassen, der zwei Blutproben vom Finger fordert. Die erste geht gut, die zweite ist eine Katastrophe (andere Schwester). Ansonsten verläuft der Tag ziemlich gut. Gegen Abend ist Heidi müde und hängt durch. Wir erzählen ihr von dem Geschenk, das zu Hause auf sie wartet. Spannend, findet Heidi. Das munter sie auf. Uns übrigens auch.
Ja, die grosse Kiste, die wir im Keller stehen haben, ist schon gut. Wann immer wir wollen, können wir etwas daraus hervorzaubern: eine süsse Barbiepuppe, eine coole Bratz, ein Paarrosa Ballerinaschuhe, ein glitzerndes Nachthemd, eine Schachtel Buntstifte, Modelliermasse... Hier gibt es fast alles. Verrückt. Nichts ist mehr, wie es mal war. Das ist das Haus der Gesetzlosen. Ein anderes Beispiel ist, was Heidi gestern zu sich nahm: ein Brot - gut. Ausserdem 2 x 43 Gramm Milchschokolade, 2 x 40 Gramm Chips und eine Capri Sonne. Kalorien um jeden Preis. Frohe Eltern, wenn die Chipstüte prasselt. Unglücklicherweise geht es Heidi in der Nacht nicht gut und alles kommt wieder raus. Trotz Dreifachkombination "Anti-Übelkeit-Medizin".
Nun hoffen wir auf eine infektins- und fieberfreie Woche sowie akzeptable Blutwerte, damit auch die nächste Chemo bald abgehakt werden kann.
Sonntag, den 11. März 2007
Heidi fragt viel. Robban tut ihr leid. Wisst ihr auch wirklich ganz genau, dass es ihm nichts fehlt? Ist er nicht einsam im Himmel? Hat er es gut da? Obwohl wir überhaupt nicht religiös sind, fühlt es sich gut an, Heidi ein märchenhaftes und ruhiges Bild vorzumachen, ein Bild von flauschigen Wolken, auf denen man ruhen kann, Flügel, die einen überall hintragen, Geschäfte, wo alles kostenlos ist. Ein Bild von einem unbeschwerten Dasein. Wo alle einander kennen. Spielen, reden, sich treffen, füreinander da sind. Ohne Ängste, ohne Schmerzen.
Wie gesagt, Heidi soll vor dem Tod keine Angst haben. Und wir eigentlich auch nicht... Die unruhigen Gedanken und bösen Ahnungen sind da. Trotz Optimismus. Heidis Krebs ist hartnäckig. Rückfälle sind eher die Regel als die Ausnahme und leider ist die Prognose bei Ependymom nur 50 Prozent. Wir wissen nicht, auf welcher Seite Heidi sich in einigen Monaten, in einigen Jahren befindet. Der Glaube an den Himmel, wo Heidi bei Opa Berndt, Robban und den anderen Engelskindern sein kann, ist unser Trost, wenn Furcht und Schmerz angeschlichen kommen. Der Trost hilft uns, zu etwas heiteren Gedanken und nicht zuletzt zum Leben in Gegenwart und Hoffnung zurückzufinden.
Man merkt Heidi an, dass es ihr sehr gut geht. Sie hat richtig rosige Wangen. Dass sie jetzt zum Ende der Behandlung hin müder ist, haben wir nicht festgestellt. Nur wir Eltern sind ständig müde. Jetzt müssen wir erst mal abwarten, ob die Chemo nächsten Donnerstag gemacht werden kann.
Auf dem Foto Heidi beim Spielen mit einem der neuesten Wüstenrennmausbebies.
Donnerstag, den 22. März 2007
Es beginnt damit, dass die Befunde der gestrigen Blutprobe erst halb vier am Nachmittag kommen. Unfassbar. Da vergeht der ganze Tag ohne dass wir eine Ahnung haben, was am nächsten Tag nun abgeht. Wir dachten schon, dass sie die Probe irgendwie verbummelt hatten, dass wir nun mit einer nach dem Kindergarten recht müden Heidi nach Lund fahren müssten, um nochmal Blut abzunehmen. Aber schliesslich kamen die Werte doch noch. Weisse 6,6, neutrophile Granulozyten 5,1- da ist doch irgendetwas faul. Einfach zu gut, um von einem Chemopatienten zu kommen. Eher also ein Zeichen einer beginnenden bakteriellen Ininfektion.
Ja, und dann geht's auch schon los. Erst kommt erst die Unruhe, dann das Fieber. Wir brauchen nicht bei Nacht und Nebel in die Klinik, aber am Morgen hat Heidi 38,8.
In der Klinik wird Heidi dann erst mal untersucht - sie hat Schnupfen, aber sonst fehlt ihr nichts. Dann Lungenröntgen. Und die typische Nebenwirkung: die Warterei. Die Lunge ist in Ordnung. Schwester Lisa steckt die Nadel in Heidis Port, schlimm aber doch reltaiv erträglich. Eine Blutkultur wird begonnen. Heidis weisse Blutkörperchen und die neutrophilen Granulozyten haben sich seit gestern verdoppelt. Aber das Fieber steigt nicht übert 38,5 und Heidi ist verhältnismässig munter. Um Zeit zu gewinnen wird der Tropf mit der zweistündigen Prähydrierung begonnen, obwohl noch nicht feststeht, ob Heidi Antibiotika oder Chemo bekommen soll.
Es ist sechs Uhr. Heidi ist sehr müde, aber Gesang und Spass kann sie immer vertragen, weshalb wir zur grossen Eingangshalle der Kinderklinik gehen, wo eine Clownshow stattfindet. Als wir zurückkommen, warten die Chemogifte auf Heidi. Oh, das hättern wir nicht gedacht. Aber Doktor Jesper war überzeugt: keine Antibiotika sondern Chemo. Und damit beginnen also 48 Stunden Cisplatinhölle, die schlimmste der vier verschiedenen Chemos von Heidis Behandlungsprogramm.
Heidi ist total k.o. und liegt die ganze Zeit in ihrem Bett. Heute schafft sie nicht einmal fernzusehen. Die Chemo hat ihr hart zugesetzt. Heidi ist übel, aber ihr Magen ist nun völlig leer. Sie muss brechen, aber es kommt nichts mehr. Scheusslich.
Heute früh war Heidi ganz wild. Irgendetwas stimmte mit ihren Augen nicht. Da sie so traurig war und weinte, konnte ich kaum verstehen, was eigentlich los war. Wahrscheinlich bekam sie ganz plötzlich irgendeinen Schleier vor die Augen, vielleicht konnte sie auch eine Weile überhaupt nichts sehen. Wohl eine Nebenwirkung des Cisplatins oder eines "Anti-Übelkeit-Medikaments". Heidi war völlig verzweifelt und hatte Angst. Schlimm, was sie alles durchmachen muss. Und ich konnte nur hilflos daneben stehen. Verdammt, wie ich das hasse. Kann niemand uns von hier wegzaubern?
Da draussen vor dem Fenster ist es Frühling. Das bemerkte Heidi gestern und machte einen Plan. So bald wir von hier weg sind, will sie ihre Gummistiefel sowie Eimer und Schaufel einpacken und an den Strand fahren. Sonne, Sand und Wasser - vielleicht nicht heute Abend, aber morgen ganz bestimmt. Das wird Spass machen! Noch sechs Stunden...
Sonntag, den 25. März 2007 - Teil II
Dienstag, den 27. März 2007
Und übrigens vielen Dank an Euch "da draussen" für alle Kommentare und Grüsse. Und ja, Heidi ist ein Kämpfer. Sie wird es schaffen! Aber sie hat einen langen, langen Weg vor sich. Bisher 16 Monate, das ist vielleicht nur ein Bruchteil. Wer weiss. Aber sie wird es schaffen!
RÜCKBLICK - FEBRUAR 2007
Heidi ist bester Laune und freut sich trotz Husten und Schnupfen des Alltagslebens. Nur ihr Geschmackssinn scheint sich mal wieder völlig verirrt zu haben. Nichts schmeckt. Darum schiessen wir scharf - mit Sahne in der Milch, die Heidi aus der Nuckelflasche trinkt. Wir kämpfen um jede Kalorie, fühlen uns aber doch relativ ruhig. Es wird klappen. Heidi wiegt jetzt fast zwei Kilo mehr als vor 14 Montaten, als die Reise begann. Kürzlich kramten wir Heidis Buch raus, in dem seit ihrer Geburt Notizen über ihren Entwicklungsstand gemacht worden sind. Da zeichneten wir die aktuellen Punkte in die Kurven von Gewichts- und Körpergrösse ein und konnten feststellen, dass Heidi ganz richtig liegt. Mitten auf der dicken "Normal"-Linie. Ziemlich toll, wenn man bedenkt, was sie durchmacht.
Dienstag, den 6. Februar 2007
Bei der Blutprobe heute Vormittag bleibt die ganze Arbeit im Labor für eine Weile liegen, da Heidi das gesamte Personal mit ihrem ununterbrochenen Redeschwall unterhält und ihre neue Polly Pocket vorzeigt. Von Marita bekommt sie einen kleinen Teddy. Das ist nicht das erste Mal, dass Marita ihr etwas schenkt. Die Frauen im Labor tun wirklich alles, dass wir sie eines Tages, wenn keine Blutproben mehr notwendig sind, richtig vermissen werden.
Eigentlich hätten wir heute kaum die Befunde gebraucht, um zu wissen, dass aus der Chemo diese Woche nichts wird. Heidis Körper spricht eine deutliche Sprache. Ein ziemlich bleiches Gesicht, grosse blaue Flecken an den Beinen, Blut am Toilettenpapier, obwohl der Stuhlgang gar nicht hart ist usw. Die Nummer eins der Serie, Vincristin und Carboplatin, hat Heidis Knochenmark wieder mal hart angegriffen. Weisse Blutkörperchen und die neutrophilen Granulozyten haben sich zwar erholt, aber die Blutblättchen (normalerweise 140 - 400) sind auf lächerliche 13 gesunken. Der bisher niedrigste Wert. Die roten liegen mit 72 auch ein grosses Stück unter dem Soll von mindestens 100. Darum wird Heidi morgen eine Transfusion bekommen. Das dauert nur einige Stunden, aber die Nadel muss ja in den Port. Kann man nichts machen...
Auf dem Foto Heidi mit einer von Tims Wüstenmäuse, die sie Schneewittchen getauft hat.
Mittwoch, den 7. Februar 2007
Als wir heute zum Krankenhaus kommen, erfahren wir, dass Heidi nicht nur eine Transfusion mit roten Blutkörperchen, sondern auch Blutblättchen bekommen sollte. Der Wert 13 war ganz einfach zu schlecht. Die Blutblättchentransfusion geht schnell, aber auf die Roten müssen wir mehrere Stunden warten. Also wieder mal so ein zäher Nachmittag.
Nun guckt Heidi fern und isst frischgebackene Waffeln mit Puderzucker - tolles Abendessen, nicht wahr? Vollgetankt mit frischem Blut reicht ihre Energie sicher eine Weile länger als unsere. Na ja, es geht ihr gut, das ist das Wichtigste. Und nun kann sie nächste Woche Dienstag hoffentlich die nächste Chemo kriegen.
Mittwoch, den 14. Februar 2007
Die Chemo dieser Woche heisst Metothrexat, von dem Heidi gestern erst 100 ml in einer Stunde und dann 500 ml in 23 Stunden bekam. Heute Nachmittag war das dann fertig. Heidi bekam auch alle drei "Anti-Übelkeit-Medikamente". Es gibt, genau wie die Ärzte versprochen hatten, keine Diskussionen mehr und Heidi geht es den Umständen entsprechend gut. Nur einmal musste sie bisher brechen. Heute früh war auf der Station viel zu tun und Heidi bekam ihr "Zofran" (eines der "Anti-Übelkeit-Medikamente) eine Stunde später als der Plan vorgibt. Schwer zu sagen, ob das der Grund des Brechens war. Na ja... Am wichtigsten ist es, dass es ihr, wenn auch ziemlich schlecht, doch allgemein bedeutend besser geht als bei der letzten Metothrexatchemo, als die Ärzte das dritte Medikament nicht verabreichen wollten. Es ist mit Sicherheit trotzdem schwer, Heidi ist sehr schwach und liegt meistens in ihrem Bett, aber wir können mit ihr reden und auch mal einen Spass machen. Heute war sie sogar eine ganze Stunde aus dem Bett, um einen Clown zu sehen, der im Foyé der Kinderklinik seine Show abzog. Trotz allem also ein Mädchen, das nicht total auf dem Abstellgleis stehen will. Ihre Lebenslust ist einfach beneidenswert!
Nun am Abend sind alle Kinder und Eltern zum Valentins-Essen auf der Station eingeladen. Auch das will Heidi nicht verpassen. Ihr solltet bloss sehen, wie sie die Zähne zusammen beisst, wie sie kämpft, wenn wir sie in ihrem Bett aufrichten wollen, um sie dann in ihren Wagen zu setzen. Nur das Aufrichten im Bett kann mehrere Minuten dauern. Auf der Feier isst Heidi sogar einen halben Hamburger und trinkt Fanta. Heidi, unsere Festmaus und Ästhet, freut sich über die roten Girlanden an der Decke und die mit glänzenden Herzen und vielen, vielen Teelichtern wunderschön geschmückte Tafel.
Sonntag, den 18. Februar 2007
Wir haben gerade die Taschen im Korridor abgestellt, als Marlene anruft und uns einen ganz anderen Bescheid gibt, ausserhalb aller Möglichkeiten, die Worte zu begreifen. Marlenes Robban ist heute früh völlig überraschend gestorben. Unser Robban, dessen Name in meinen Erzählungen hier in Heidis Blogg immer wieder mal auftaucht. Unser bester Freund und Kumpel. Heidis geliebter Kletterbär. Es ist so unfassbar, tut so weh und will einem einfach nicht in den Kopf. Unmöglich zu verstehen. Unser Robban, nur 44 Jahre alt. Welch ein Verlust!
Seit 18 Jahren Jans Arbeitskollege, für Tim ein wunderbarer Kumpel. Nur wegen Robban blieb Tim oft lieber zu Hause, wenn wir "Alten" einen Abend gemeinsam verbrachten. Robban, der Bruder von meiner besten Freundin Eva. Immer eine helfende Hand, eine lustige Gesellschaft, ein fester Punkt. Ein Schlag auf die Schulter, ein verschmitztes Lächeln und ein "Pfeiff doch drauf, ist genauso gut." als mein Leben im Januar 1999 in tausend Scherben zerfallen war. So ist er, unser Robban. Wir werden dich so vermissen. Was wird nun aus deiner Familie, wie sollen deine vier Mädchen zurecht kommen...
Das ist Heidis Blogg, aber ich muss ganz einfach über das alles schreiben. Wir stehen voll unter Schock. Ein gähnendes Loch ist entstanden. Das tut so weh. Wie dünn doch der Faden ist, an dem unser Leben hängt.
Tim (im hellblauen Hemd), Marlene, Robban, meine beste Freundin Eva,
Tims Kumpel Martin sowie Björn und Jan zu Tims 20. Geburtstag am 19. August 2006
Donnerstag, den 22. Februar 2007
Erst am Sonntag Vormittag erzählen wir Heidi, was eigentlich mit Robban passiert ist. Wir wissen es ja noch nicht, aber sagen jedenfalls, dass Robbans Herz kaputt gegangen ist. Heidi weiss ja so viel über den Körper. Und unsere kleine Maus wird so traurig. Weint, überlegt, zieht die Schlussfolgerung, dass Robban nun also im Himmel ist. Sie vergleicht Opa Berndts Tod mit Robbans. Beruhigt sich, versucht Lösungen zu finden, sich selbst und uns zu trösten. "Doch, doch. Marlene und die Mädchen schaffen das schon. Ihr werdet sehen."
Dann läuft sie schnell zu Tim. Wir hören, wie sie ihm von Robban erzählt und dass er in den Himmel gekommen ist. "Ich will auch, dass mein Herz kaputt geht. Dann komme ich auch in den Himmel und kann bei Robban sein." erklärt sie.
Tim kriegt einen Schreck, aber Jan und ich sind eher erleichtert. Heidi soll keine Angst vor dem Tod haben. Was wissen wir schon, was das Schicksal in Heidis, in unsere Reisetasche gepackt hat. Was wissen wir?
Die ersten Tage dieser Woche weicht Heidi nicht von unserer Seite. Wir begegnen etwas ganz Neuem: Sie will nicht in den Kindergarten gehen sondern lieber bei uns bleiben. Sie fühlt sich wegen unserer starken Reaktionen auf Robbans Tod, der schwermütigen Stimmung, unseren Seufzern und Tränen bestimmt unsicher. Ach, arme Maus. Aber was sollen wir machen? Wir müssen ihr ja die Wahrheit sagen.
Zum Glück kommt Heidi schnell auf andere Gedanken. Kinder - Überlebenskünstler. Heidi will mit ihren Kindergartenfreundinnen Emma und Amanda Geheimklubbstreffen machen. Na klar, machen wir. Am Dienstag nach dem Kindergarten sitzen drei glückliche Mädels in meinem Auto, die Spannung schlägt Funken, es gibt Mitgliedskarten und Eintrittsbeweis auf die Hand, Prinzessinnenkleider und Schmuck, lila Servietten und rosa Champagnegläser, Popcorn und Chips, Eis und Bonbons. Na ja, schliesslich ist ja nicht jeden Tag Dienstag.
RÜCKBLICK - JANUAR 2007
Dienstag, den 2. Januar 2007 - Gesundes Neues Jahr!
Zweitausendsieben? Die Sieben da am Ende von zweitausend klingt ein bisschen komisch, aber na ja. Hoffentlich wird es für alle ein gutes Jahr.
Heidis Erkältung, die zum Heiligabend kam, entwickelte sich glücklicherweise nicht weiter. Allerdings saß ich am zweiten Feiertag mit hängendem Kopf über meinem Mittag. Heidi fühlte sich ein wenig warm an. Jetzt würde das Fieber kommen. Ich sah eine ängstliche und traurige Heidi vor mir, wie wir die Taschen packen, um in der Klinik einzuchecken. Sah das ganze Szenarium, das uns bei Fieber über 38,5 Grad erwartete. Nadel in den Port, Untersuchungen, Lungenröntgen, Antibiotika. Aber wir blieben wieder verschont. Das Fieber kam doch nicht, das Thermometer kletterte nur einige Dezimale über 37 und am nächsten Tag war Heidi nur verschnupft. So eine Erleichterung. Wieder mal.
Bei unseren Freunden Robban, Marlene und Matilda feirten wir einen herrlichen Silvesterabend. Heute ist Heidi eine Runde im Kindergarten. Die Blutprobe hat einen akzeptablen Befund und morgen geht es also wieder in die Klinik. Es macht überhaupt keinen Spass, die Taschen zu packen und die kommenden vier Tage vorzubereiten. Aber wir wissen ja, dass die 28 Chemos, die Heidi insgesamt kriegen soll, unvermeidlich sind. Wir müssen da halt durch und uns ganz einfach auf Samstag freuen, wenn Nummer 20 hinter uns liegt.
Donnerstag, den 4. Januari 2007
Es ist neun Uhr abends. Heidi schläft. Jede Stunde tropfen 8 ml Cisplatin, das schlimmste Gift von allen, in ihre Adern. Aber bis jetzt ist es ganz gut gegangen. Das bedeutet, dass sie nicht völlig erschöpft ist und, fast genauso wichtig, dass sie nicht gebrochen hat. Wie die Ärzte letztlich versprochen hatten, bekam Heidi gestern alle drei Anti-Übelkeit-Medikamente und soweit scheint es ganz gut zu funktionieren.
Heute Vormittag bat Heidi um gebratene Mini-Würstchen und aß vier solche - wenn auch mit der Brechtüte in Reichweite. Sie ist so tüchtig, unsere kleine tapfere Maus. Dann versuchte sie sogar, aus dem Bett zu kommen und es gelang ihr, eine Weile bei der Spieltherapie zu basteln. Davon war sie dann so k.o., dass sie erst mal zwei Stunden schlief. Der Nachmittag war ruhig. Heidi sah ein bisschen "Pingu" im Fernsehen und aß noch einen Happen.
Unter dem Strich könnte es ein relativ guter Tag gewesen sein. Wenn nicht die Schwester, die den Tropf mit dem Cisplatin anschloss, so armseelige Mathefähigkeiten gehabt hätte. Dummerweise haben wir uns in den letzten Monaten auf der Station wieder etwas sicherer gefühlt und sind nicht mehr so wachsam gewesen. Es schien, als hätte man alles wieder besser im Griff und wir kontrollierten angefangen bei Tropfeinstellungen bis zur Urinmenge nicht mehr jedes Detail. Das ging einem nämlich auf die Dauer auf die Nerven und nicht zuletzt zehrte es an den Kräften. Als ich dann gestern die 11 ml pro Stunde, die die Schwester einstellte, in Frage stellte, und die Schwester meinte, es wäre alles gewogen und ausgerechnet, na, da dachte ich, dass es dann wohl stimmen würde. Der Infusionsbeutel Cisplatin sollte 24 Stunden, also bis kurz nach dem Mittagessen, reichen. Aber heute früh signalisierte die Tropfenzähler schon um sieben Uhr, dass der Beutel leer sei. Da begriff ich natürlich, dass an den 11 ml doch irgendwas faul war. Verdammt! Musste das passieren? Und wo, zum Teufel nochmal, sind die Routinen, die auf einer Station wie dieser so bitter notwendig sind? Zum Glück übernachtet Jan dieses Mal im Ronald McDonald Haus und kan schnell herüberkommen. Auch wenn er an der Sache nichts ändern kann, ist es doch schön, dass ich ihn an meiner Seite haben kann. Schliesslich bin ich mehr als rasend. Ich verlange, sofort mit einem Arzt zu reden. Doktor Helga kommt direkt, nachdem sie heute Morgen ihren Dienst angetreten hat. Sie spricht mit uns, versucht uns zu beruhigen. Cisplatin kann ernsthafte Schäden an Nieren und Gehör verursachen, aber sie beurteilt das Risiko als ziemlich gering. Die Hauptsache sei, dass innerhalb der gesamten 24 Stunden keine Überdosis gegeben würde. Hm, wo ist dann der Witz, diese 192 ml gleichmäßig auf 24 Stunden zu verteilen? Später, bei der Visite, kommen die Ärzte mit einem weiteren Argument. Sie erzählen, dass man in anderen Kliniken dieselbe Menge Cisplatin in kürzerer Zeit verabreicht. Sind wir jetzt beruhigt? Weiss nicht. Aber vor dem nächsten Nieren- und Gehörtest werden wir sicherlich nervöser als sonst sein. Ja, das war also diese Geschichte. So blöd. Und so verdammt unnötig.
Montag, den 8. Januar 2007
Nun sind wir wieder zu Hause. Heidi ging es mit jeder Stunde, die sie mit ihrer Chemo vorankam, schlechter. Aber trotz einiger Brechattacken war sie doch nicht so völlig am Boden, wie es früher vorgekommen ist. Mit recht froher und kräftiger Stimme gab Heidi immer wieder mal einen Kommentar zum Fernsehprogramm von sich, lachte sogar ab und zu. Ein paar Mal versuchte sie, etwas zu essen. Wir durften sie berühren, streicheln, ihr Küsschen geben. Ganz anders, als es manchmal sein kann. Ihr könnt Euch denken, wie es ist, wenn sie auf der "gegenüberliegenden" Seite ist.
Am Freitag und Samstag, als nur noch der Spültropf übrig ist, bekommen wir den wieder in den Rucksack. Aber leider zu keinem Nutzen, da Heidi es einfach nicht schafft, aus dem Bett zu kommen. Manchmal kann sie sich nicht mal hinsetzen. Sie tut uns so schrecklich leid.
Am Samstag gegen halb vier wird die Nadel aus dem Port gezogen und wieder mal lässt Heidi uns mit offenem Mund staunen, als sie ihre an dieser Stelle schon früher beschriebene Wendung von 180 Grad vollzieht. Sie ist wie aufgezogen, scheint die ganze Welt umarmen und allen erzählen zu wollen, dass es wieder mal vorbei ist. Das lässt sich mit Worten ganz einfach nicht beschreiben. Als sie herumhüpft statt etwas ruhigere Schritte zu machen, fällt sie hin. Sie ist noch sehr schwach, ihre Beine noch nicht stabil, der Magen bis auf den letzten Bissen leer. Aber in Heidi gibt es einen WILLEN. Und genau das ist ihr Benzin, wenn es keine Kalorien gibt. Wir werden nie begreifen, wie sie das macht, aber werden stets aufs Neue Augenzeuge dieses Schauspiels. Ich muss es ganz einfach sagen: Es wäre verdammt zynisch, wenn dieses Mädchen die Krebszellen nicht besiegen würde.
Apropos Krebszellen: Drückt den Daumen, dass es in Heidis Kopf keine neuen gibt! Am Donnerstag ist die nächste MRT. Auf den letzten MRT-Bildern waren ja Schatten über dem Operationsgebiet zu sehen und die Frage, ob es Tumorreste oder nur vernarbtes Gewebe ist, steht immer noch offen.
Es ist nun 22 Uhr. Heidi konnte trotz aufrichtiger Versuche heute Abend nicht einschlafen. Sie ist immer noch im Gange und dabei war sie heute früh zwischen fünf und sechs wach (Nachbeben, es ging ihr schlecht, sie brach), am Tage war sie vier Stunden im Kindergarten, dann mit zum Einkaufen, dann Spiel und Spass zu Hause?
Vor einer halben Stunde aß sie ihre zweite Ladung frische Himbeeren für heute. Lecker.
Donnerstag, den 11. Januar 2007
Heute kam es - das verdammte Fieber. Von einigen lustigen Stunden im Kindergarten nach Hause gekommen, ist Heidi ziemlich matt und fühlt sich irgendwie wärmer als sonst an. 38 Grad - die Hoffnung ist gross, dass es dabei bleibt. Aber nein. Halb sechs machte das Themometer den gehassten Schritt über 38,5. Darum rufen wir die Kinderkrebsstation an, um späte Gäste anzumelden. Heidi muss brechen, trocknet sich den Mund ab und fragt im selben Augenblick, ob wir es denn noch schaffen würden, eine Weile zu spielen, bevor wir fahren.
Während wir das Haus und die Taschen für die Abfahrt vorbereiten, schläft Heidi ein. Kleines Mäuslein. Erst müssen wir zur Kindernotaufnahme, dann zur Kinderinfektions-station. Neue Regeln? Heidi kriegt zwecks Blutprobe den obligatorischen Stich in den Finger, was richtig schlimm ist. Sie schläft zum zweiten Mal heute Abend ein. Wird von einem Arzt untersucht, aber es kann nichts festgestellt werden. 20.30 Uhr zum Lungenröntgen. Jan und ich etwas nervös. Lungenröntgen ist immer ein riesen Drama, da Heidi ihren Port nicht sehen will, wenn die Nadel drin steckt. Aber nun es noch nicht so weit und das Röntgen geht wie geschmiert. Heidi war super. Dann wieder warten, warten und nochmals warten... Die, die diesen Blogg lesen und in derselben Situation gewesen sind, wissen, wie unbeschreiblich anstrengend das ist. Es ist so langweilig, niemand von uns will hier sein, das Kind ist müde und unruhig, der Magen knurrt, die Zeit vergeht im Schneckentempo, man weiss nicht, was als nächstes passiert usw. Gestern fragten wir uns dann auch noch ernsthaft, ob die MRT nun gemacht werden könnte. Bei Fieber wollen die Narkoseärzte nämlich keine Vollnarkose durchführen.
Nach und nach kommen die Befunde und eine Beurteilung des Arztes. Alles deutet auf eine bakterielle Infektion hin, das bedeutet den sofortigen Einsatz von intravenösem Antibiotikum und Ansetzen einer Blutkultur. Nun ist also die Nadel dran. Gegen 23.00 Uhr ist sie im Port und Heidi mehr denn je aufgeregt und traurig. Sie war immer wieder eingeschlafen, hatte Hunger und war eben ganz einfach nicht gut drauf. Wir wussten, dass es ein Höllentheater werden würde. Es tut so verdammt weh, sein Kind in so einer Lage zu sehen. Kurz nach Mitternacht schläft sie ein. Das Fieber verschwindet wieder und kommt auch nicht zurück.
Am Morgen schaut der Narkosearzt herein und erkundigt sich nach Verlauf und Lage. Kein Fieber mehr, alles so weit in Ordnung ? er stimmt der Vollnarkose und somit der MRT zu. Gott sei Dank! Um 9 Uhr schläft Heidi, alles ging prima, alles war ruhig. Das Team von der Röntgenstation ist so phantastisch. Sie sind alle so lieb zu Heidi. Wir fühlen uns richtig sicher, wenn Heidi in deren Händen ist. Knapp zwei Stunden später kommt Heidi zur Aufwachstation. Alles ist gut. Bisher haben wir von dem MRT-Befund noch nichts gehört. Das wird wohl dauern.
Dann müssen wir noch mehr langweilige Stunden aushalten. Um 16 Uhr bekommt Heidi ihre Antibiotikainfusion und dann bekommen wir Ausgang (YES!) und fahren nach Hause. Noch im Krankenhaus hat Heidi Spaghetti und Sosse bestellt und sie isst eine grosse Portion.
Um Mitternacht müssen wir wegen der nächsten Antibiotikainfusion zurück nach Lund. Dann wieder zurück nach Hause, um am Morgen wieder wegen der nächsten nach Lund zu fahren. Wir werden sehen, wie lange es so gehen wird. Wir wissen nicht, wann der Befund der Blutkultur kommt und können mit einem pendelreichem Wochenende rechnen. Aber das ist unsere eigene Entscheidung. Wir könnten auch in der Klinik übernachten. Alle sind nett dort, viele sind sogar obendrein noch tüchtig, aber trotzdem... Nein, Danke. Von Krankenhaus haben wir die Nase wirklich voll.
Dienstag, den 16. Januar 2007
Hatten wir letztlich die Nase von Krankenhaus voll, dann haben wir sie jezt übervoll. Jede achte Stunde bekam Heidi ihr Antibiotikum. Manchmal dauerte die Tour eine Dreiviertelstunde, manchmal doppelt so lange. In der Nacht zwischen Freitag und Samstag war der Port dicht. Aber die hinzugerufene Schwester Nina von der Kinderkrebsstation, eine unserer Lieblingsschwestern, löste das Problem und die Infusion konnte gegeben werden. Zum Glück! Die Ärzte haben die Antibiotikakur nicht frühzeitig abbrechen wollen, da sie ja doch noch nicht wussten, ob es wirklich ernst war, wie z.B. bei einer Blutvergiftung. Aber je länger die Blutkultur wuchs, desto unwahrscheinlicher wurde diese Annahme. Nach einigen Tagen schien das ständige Pendeln unser Leben völlig zu bestimmen. Aber es war doch schön, die Klinik so viel wie möglich meiden zu können. Besonders angesichts der Tatsache, dass Heidi auf der Infektionsstation lag. Auf der Kinderkrebsstation hat man wenigstens ein bisschen Bewegungsfreiheit, ein kleines Spielzimmer, Zugang zu Kühlschrank, Tiefkühlschrank und Herd, um etwas zu essen machen zu können. Ihr wisst ja, dass Heidi sich immer wünschen kann, was sie essen möchte. Zu Hause kein (grösseres) Problem, etwas schwieriger auf der Krebsstation, unmöglich auf der Infektionsstation. Abends gingen wir gemeinsam mit Heidi zu Bett und wenn um 23.45 Uhr der Wecker klingelte, wussten wir nicht, ob es zur Klinik oder Arbeit gehen sollte. Zwei Nächte gelang es uns, Heidi schlafend ins Auto einzuladen, sie zwecks Infusion ins Krankenhausbett zu legen und sie wieder in ihr eigenes Bett zu bringen, ohne dass sie eigentlich richtig aufwachte. Wie lange das so gehen sollte, war immer noch unklar, aber es ging ja in die richtige Richtung. Wir hofften jedenfalls, dass die nächste Chemo, die für Mittwoch, den 17. Januar, geplant war, klappen würde. Da die Nadel ja schon im Port war, würde alles viel einfacher sein. Etwas Gutes muss ja jeder Scheiss mit sich führen.
Aber dann passierte es. Schon wieder... Ich verkneife mir die bösen Worte. Im Moment aus, könnte man sagen. Also: Gestern nach der Schule, wo ich übrigens bei der Zeichenstunde mit meiner neunten Klasse von Heidi und Jan assistiert wurde, fuhren wir wie gehabt in die Klinik. Eine in Fragen Port-Infusionen ungeübte Schwester gibt Heidi das Antibiotikum, während eine andere Schwester sie beobachtet und überwacht, dass alles richtig gemacht wird. Danach müssen wir noch eine Stunde auf einen Arzt warten, der mit uns reden wollte. Was hat er eigentlich gesagt?
Schliesslich sind wir um 17.20 Uhr endlich zu Hause. Zehn Minuten später serviere ich Heidi wieder mal Spaghetti und Sosse. Dann koche ich das Essen für uns anderen in der Familie, schaue kurz nach Heidi, die gerade ihren Teller leer gelöffelt hat. Komisch, dass sie so gekleckert hat. Was für ein riesiger roter Fleck auf ihrer hellblauen Nickijacke! Ratet mal, ob das Sosse war. Für diese richtige Antwort gibt es fünf Punkte... Als ich die Sache näher untersuche, sehe ich rot. Der Schlauch zum Port voller Blut, die zwei Tupfermützchen, die immer über die Ventile, die an den Schlauch angeschlossen sind, gestülpt werden, sind auch rot. Ja, und wie gesagt die Jacke. Jan macht die Tupfermützchen ab, stellt fest, dass die Ventile nicht geschlossen sind. Sie stehen, in die falsche Richtung gedreht, voll offen! Er greift sofort nach dem Telefon, spricht mit der Infektionsstation. Die meinen, wir könnten ruhig erst essen. Was, sind die denn total verrückt? Erst essen? Schnell hinein ins Auto, zurück nach Lund. Wir fühlen uns total mies. Was wird nun wieder passieren? Und vor allem: Was muss Heidi nun wieder über sich ergehen lassen?
In der Klinik angekommen, bewahrheiten sich die Befürchtungen. Der Port frunktioniert nicht mehr. Das Blut im Schlauch ist wohl geronnen. Die Schwestern von der Infektionsstation sind ratlos. Eine Schwester von der Krebsstation wird hinzugerufen und kommt unmittelbar. Wir atmen ein wenig auf. Es ist Anna, eine tüchtige Schwester. In Sekundenschnelle beurteilt sie die Lage. Es gibt eine Chance, dass die Nadel im Port bleiben kann, wenn der Schlauch mit dem geronnenen Blut sofort ausgetauscht wird. Heidi hört das Wort Nadel und flippt aus. Jan und ich halten sie fest. Wir sind rasend vor Wut. Anna arbeitet febril, reisst die grossen Pflaster von Heidis Brust, entfernt den alten und schliesst einen neuen Schlauch an, desinfiziert die Haut, drauf mit dem neuen Pflaster ? fertig. Der Port funktioniert! Wir beruhigen uns. Wollen einfach nur nach Hause. Jan und Heidi packen unsere Siebensachen wieder ein, warten im Auto, während ich fix zum Klinik-Shop laufe, um Anna einen Strauss Tulpen zu kaufen. Flitze damit hoch auf ihre Station. Sie drückt mich ganz fest. "Ihr wollt doch nicht etwa jetzt gleich nach Hause fahren?" fragt sie erstaunt. "Bleibt noch eine Stunde und guckt erst mal, dass alles okay ist." Sie will auch gleich den Bereitschaftsarzt der Krebsstation anrufen, um die Sache mit ihm zu besprechen.
Also laden wir Heidi wieder aus dem Auto aus. Sie trägt es überraschenderweise mit Fassung. Jan geht zur Infektionsstation, um mit den Schwestern dort zu reden. Aber dort meint man, wir könnten ruhig nach Hause fahren. Wir fühlen uns unsicher, glauben eher, was Anna sagt. Bleiben in der Klinik. Jan geht wieder hoch zu Anna, Heidi und ich zum Klinik-Shop. Heidi will so gern wissen, welche Farbe die Tulpen hatten, die ich Anna gekauft habe. Ach ja, Blumen - wie sehr Heidi sie doch liebt. Wir kehren zurück und mit der Hand an der Eingangstür zur Infektionsstation klingelt mein Handy.
Auf einmal steht alles auf dem Kopf und wir müssen die Nacht in der Klinik bleiben. Ein Arzt kommt (sieht man sonst selten). Neue Blutproben sollen gemacht werden und Heidi wird die ganze Nacht unter Observation stehen. Puls, Blutdruck und Sauerstoffgehalt des Blutes werden jede Stunde gemessen, damit man schnell entdecken kann, falls mit Heidi etwas nicht stimmt. Genauer gesagt, um rechtzeitig feststellen zu können, dass ein eventuelles Blutgerinsel versucht, die Maschinerie aus dem Gange zu bringen.
An diesem Abend haben wir viele Fragen. Wie kann eine ausgebildete Krankenschwester so ungeschickt sein? Was wäre passiert, wenn es in Heidis Schlauch in die andere Richtung gegangen wäre, d.h., wenn Luft in die grosse Vene eingedrungen wäre? Was wäre gewesen, wenn wir Anna nicht die Tulpen gekauft und sie darum an diesem Abend noch einmal getroffen hätten, wenn sie sich nicht in die Angelegenheiten einer anderen Station eingemischt und mit ihrem Bereitschaftsarzt Rücksprache gehalten hätte? Gott sei Dank gibt es Leute mit Kopf und Verstand und Gott sei Dank, dass wir das eine und andere in Frage stellen und nicht alles einfach hinnehmen.
Ich fahre also nach Staffanstorp, um einige Übernachtungsutensilien zu holen. Es ist spät, aber eine Nachbarin und ihr Sohn helfen mir, mit unseren zwei Autos zurück nach Lund zu kommen. Jan hat am kommenden Tag einen Termin in Halmstad. Wie sollen Heidi und ich dann nach Hause kommen? Es ist schon nicht so einfach, alles unter einen Hut zu kriegen... Ihr habt keine Ahnung.
In der Nacht ist alles ist ruhig. Heidi schläft gut. Am Vormittag müssen wir wieder lange warten. Gegen elf kommt Doktor Helena, Chefarzt der Kinderkrebsstation. Sie kritisiert das Vorgefallene mit aller Schärfe. Ausserdem hat sie drei gute Nachrichten. Zum einen hat die Blutkultur nichts ergeben, zum zweiten wird die Antibiotikakur nun abgebrochen und zum dritten sind Heidis Werte gut genug, um ihr morgen die nächste Chemo zu verabreichen.
Halb eins gehen wir dann noch mal fix zum Hörtest. Mit Erleichterung beobachte ich, wie Heidi problemlos ihren Turm baut, Stein auf Stein für jeden Piep, den sie hört. Also ist mit dem Gehör noch alles in Ordnung. Jetzt aber schnell zum Auto und ab nach Hause. Der beste Platz auf der ganzen Welt.
Mittwoch, den 17. Januar 2007
Heute sind Papa und Heidi in der Klinik - Chemo Nr. 21. Die Nadel muss nicht in den Port, sie ist ja schon drin. Heidi hat super Laune, sie ist putzmunter und froh und plappert wie ein Wasserfall. Die Chemo geht gut.
Doktor Helena gibt uns zwei richtig gute Nachrichten hinbsichtlich der letzten MRT. Zum einen sind die Schatten, die im Oktober zu sehen waren, kleiner geworden. Zum anderen sind keine Tumöre im Spinalkanal (Wirbelkanal) entdeckt worden. Bei Heidis Tumorform befinden sich die Geschwülste in den Hohlräumen des Gehirns, wo sich auch die sogenannte Liquorflüssigkeit befindet. Mit Hilfe dieser Flüssigkeit können die Tumorzellen in den Spinalkanal gelangen und dort Metastasen bilden. Gar nicht gut.
Donnerstag, den 18. Januar 2007
Die Nacht zu Hause verläuft ruhig. Kein Brechen. Am Morgen sieht Heidi ein wenig mitgenommen aus, aber sie ist mehr als glücklich darüber, in den Kindergarten gehen zu dürfen. Dort isst sie zu Mittag drei Portionen Suppe und drei kleine Brötchen. So viel hätte sie hier zu Hause nie gegessen. Sowohl Jan als auch ich sind heute auf Arbeit. Schön, ein bisschen normalen Alltag zu erleben.
Am Abend will Heidi nichts essen. Sie ist plötzlich extrem geruchsempfindlich, genau so wie sie immer ist, wenn sie die Chemogifte kriegt. Ein deutliches Zeichen, dass ihr schlecht ist. Sie fühlt sich auch ein bisschen warm an und richtig: Da ist es wieder, dieses verdammte Fieber. Nur 37,8 aber doch genug, um uns zu beunruhigen. Was werden die nächsten Stunden bringen? Heidi ist gerade eingeschlafen, da beginnt eine Folge kräftiger Brechanfälle. Jan sitzt den ganzen Abend an Heidis Bett, während sie eine nach der anderen Brechtüte füllt. Wenn wir doch bloß nicht heute Nacht noch in die Klinik müssen. Wir waren ja diesen Monat schon 12 Tage dort.
Und so klettert das Fieber auf 39 hoch. Ein langes Gespräch mit einer Schwester der Kinderkrebsstation. Vielleicht, vielleicht ist alles nur ein Nachbeben. Gestern hatte Heidi ja Carboplatin bekommen, das oft noch lange herumspuken kann. Es ist schon mehrere Male passiert, dass Heidi Fieber hatte, wenn auch nicht 39, und gleichzeitig brechen musste. Die Schwester meinte, wir könnten Heidi eine fiebersenkende Tablette geben und eine Stunde abwarten. Gegen Mitternacht zeigt die Fieberkurve glücklicherweise wieder nach unten.
Freitag, den 19. Januar 2007
In der Nacht messe ich einmal pro Stunde Fieber. Habe Angst, dass es einfach nur in die Höhe schiessen könnte. Wenn es sich tatsächlich um eine gefährliche bakterielle Infektion handelt, könnte es mit jeder Stunde, die vergeht, schwerer werden, die Infektion unter Kontrolle zu kriegen. Vorige Woche habe ich eine Menge über Blutvergiftung gelesen und gelernt, dass es von äusserster Wichtigkeit ist, eine solche schnellstens zu identifizieren und mit starken Antibiotika zu behandeln. Mit diesen Gedanken im Kopf herumkreisend, ist es unmöglich einzuschlafen. Zum Morgen hin ist Heidis Fieber weg, aber sofort nach dem Aufstehen ist es wieder da. Wir gehen zum Ambulatorium, um eine Blutprobe machen zu lassen. Der CRP-Schnelltest ergibt 10 - etwas zu hoch, aber nicht so schlimm. Die weissen Blutkörperchen, die bei einer bakteriellen Infektion ruckartig in die Höhe schnellen, sind eher schlecht als erhöht. Das Fieber bleibt um die 38 und Heidi scheint ein bisschen erkältet zu sein.
Nun hoffen wir, auch die nächste Nacht zu Hause bleiben zu können. Dann ist vielleicht das Schlimmste überstanden und wir kriegen ein bisschen Ruhe. Wir haben im Moment nicht mehr allzu viel Kraft übrig. Mögen unsere Gebete erhört werden.
Montag, den 22. Januar 2007
Wir haben es geschafft! Ohne Klinik! Heidi braucht all die mit akuten Klinikbesuchen verbundenen Untersuchungen und den dazugehörenden Stress nicht durchzustehen. Wir waren so erleichtert, als das Fieber in der Nacht zum Samstag endlich verschwand.
Für Heidi hatte das auch eine andere Konsequenz: Sie kann zu Emmas Geburtstagsfeier gehen und ausserdem hat das Turnen wieder angefangen.
Wie schnell sich die Lage ändern kann. Unglaublich. Das kleinste Krümchen neue Kraft und schon ist Heidi wieder voll drauf.
Grosstante Lore in Deutschland, die immer auf alle erdenkliche Weise versucht, Heids Dasein eine Goldkante zu verleihen und die oft traurig ist, uns nicht mehr helfen zu können, schickt einen wunderschönen Strauss Tulpen, um Heidi eine Freude zu machen. Das Foto, das ich gemacht habe, könnte heissen: Glückliche Heidi = glücklicher Papa. Stimmt's?
Sonntag, den 28. Januar 2007
Heidi ist Heidi zum Geburtstagsfest, Smilla hat Schlafanzugparty. Heidi macht das viel Spass. Dass heute ein Geburtstagsfest auf dem Tagesprogramm steht, erfährt Heidi erst ein paar Stunden vor dem Fest. Wie immer haben wir uns nicht grtraut, etwas im Voraus zu sagen. Stellt Euch vor, wie traurig Heidi wäre, wenn wir stattdessen in die Klinik müssten. Und dann wären wir garantiert auch traurig.In Staffanstorp ist am Anfang der Woche so viel Schnee gekommen, dass Heidi endlich das Skifahren ausprobieren kann. Zum ersten Mal. Sie war so neugierig darauf gewesen. Nicht so leicht, stellt sie fest und hat schnell genug. Schlittenfahren ist doch viel einfacher.
Heidi und wir anderen Familienmitglieder sind seit einigen Tagen erkältet. Ansonsten war die Woche ruhig und wir haben uns von den Zwischenfällen der vorigen Woche erholt. Am Mittwoch ist die nächste Chemo dran und das bedeutet mindestens fünf Tage Klinik.
RÜCKBLICK - DEZEMBER 2006
Als ich zum Klinikshop flitzte, um ihr ein Brötchen zu kaufen, lege ich ihr zur Sicherheit den Klingelknopf ins Bett. Als ich nach sechs Minuten zurückkomme, sehe ich im Display auf dem Korridor unsere Zimmernummer blinken. "Ist etwas passiert? Hast du den Klingelknopf gedrückt?" frage ich, worauf Heidi unsicher antwortet: "Ich weiss von nichts." Der kleine Strolch, konnte es sich wohl nicht verkneifen, den Knopf mal auszuprobieren. Na ja, für uns ein gutes Zeichen. Das bedeutet, dass wieder Leben in sie kommt.
Dank Spültropf im Rucksack können wir das Klinikeinerlei ein bisschen verlassen und machen eine Runde in der Stadt. Alles läuft in die richtige Richtung, bloß der MTX-Wert nicht, der alle sechs Stunden gemessen wird. Der hält uns dieses Mal zum Narren. Sinkt, bleibt auf dem selben Niveau, sinkt, steigt wieder. Sehr frustrierend.
Am Sonntag ist Heidi zu Matildas Geburtstag eingeladen. Muss sie den jetzt verpassen? Immer mit der Ruhe, keine Panik. Am späten Abend liegt der Wert nämlich bei 0,23 und am Morgen erwarte ich demzufolge eine abgeschaltete Infusionspumpe. Aber nein, als ich erwache, tickt die Pumpe. Nicht nach Hause, tick, tick, nicht nach Hause, tuck, tuck. Oh nein...
Erst will Heidi nicht zu dem Geburtstag gehen. Mit Nadel und Schlauch und Tropf - nein. Aber dann lässt sie sich überreden und ausgrerüstet mit dem Tropf im Spezialrucksack, dem Geschenk und frohem Mute, nicht zu vergessen die Ausrüstung zum Einsammeln des Urins (2,5 ? 3,5 l Tropf pro Tag ergeben das Eine und Andere im Töpfchen...). Ab geht's nach Staffanstorp.
Die Fotos unten sind kurz vor der Abfahrt entstanden. Es ist schwer sich vorzustellen, dass Heidi vor nur zwei Tagen noch völlig breit war, die kleine Festmaus. Die dunklen Ringe unter den Augen waren gerade am Verschwinden und das Leben hatte wieder begonnen.
Am Tag vor dem Geburtstag waren wir mit dem Tropf im Rucksack in der Stadt gewesen, um ein Geschenk für Matilda und neue silberglitzernde Strumpfhosen für Heidi zu kaufen. Die Perücke und den Haarschmuck hatte Heidi schon zu Hause in die Krankenhaustasche gepackt. Es kann ja sein, dass man zu irgendeiner Gelegenheit plötzlich mal chick sein muss. Nicht schlecht, wie sie sich da vor der Kamera zurecht stellt, oder? Dass sie Nadel und Schläuche wie die Pest hasst, hat sie fast vergessen. Den Schlauch schwingt sie ganz lässig wie eine Handtasche. Tja ja, viel geht. Man muss es eben nur versuchen...
Mit Mama oder Papa im Schlepptau, ungefähr wie ein Hund an der Leine, bekommt Heidi ein paar fröhliche Stunden auf dem Geburtstag, isst zwei kleine Wiener Würstchen mit Brot und bleibt gleich noch eine Stunde extra, als alle anderen Gäste schon gegangen sind.
Zurück in die Klinik. Das nächste Blutabnehmen abwarten. Endlich - 0,14. Heidi hüpft förmlich hinter Krankenschwester Ewa hinterher, die die Nadel wegmachen wird und verspricht hoch und heilig, nicht zu "pucken, zu leten oder leien" (d.h. spucken, treten, schreien). 20 Meter vor dem Behandlungszimmer ändert sie ihr Versprechen. Ein bisschen schreien, vielleicht. Sie zittert fast vor Anstrengung, ihre Angst unter Kontrolle, die Beine an derselben Stelle und die Stimme im Hals zu behalten. Kein Piep, kein Mucks ist zu hören. Mein Gott!
Kurz nach halb acht sind wir zu Hause, Heidi isst zwei Wiener, badet und schläft halb elf ein, wacht heute früh Viertel nach sechs wieder auf und ist voll drauf. Wahnsinn, was in dieser Göre für Kraft drin steckt. Volles Ballett im Kindergarten, dasselbe danach hier am Nachmittag und Abend zu Hause. Es ist halb zehn und endlich dürfen wir müde in die Couch sinken.
Donnerstag, den 7. Dezember 2006
Heute werden Ruhe und Freiheit nach dem letzten anstrengenden Klinikaufenthalt abrupt unterbrochen. Am Morgen gehen wir zum Blutabnehmen und kurz vor 12 klingelt das Telefon. Wir machen immer einen extra Atemzug, bevor wir abnehmen, wenn auf dem Display keine Nummer zu sehen ist. Und ja, es ist vom Krankenhaus. Heidis Hb-Wert, also die roten Blutkörperchen, liegt wieder mal total zu tief. Arme Maus... Gerade heute wollte sie bis zum Nachmittagskaffee im Kindergarten bleiben. Stattdessen holen wir sie ab, als sie gerade ihre Suppe ausgelöffelt hat. Den ganzen Nachmittag verbringen wir in der Klinik, Nadel in den Port, Blutprobe (vor jeder Transfusion wird die Blutgruppe des Patienten kontrolliert, damit auch wirklich das richtige Blut gegeben wird), Warten auf die Laborbefunde und Warten, dass die dicken, tiefroten Tropfen in Heidis bleichen Körper tröpfeln.
Als die Schwester die Infusion vorbereitet, sagt sie Heidi, dass sie nun bald wieder viel munterer sein wird. Heidi sieht nachdenklich aus und es fällt uns nicht schwer, ihre Gedanken zu lesen: Wieso munterer? Ich bin doch schon total munter. Freilich, Heidi ist blass, aber müde oder kraftlos? Nein, nein. Heidi ist nicht zu bremsen.
Das ist nun die vierte Bluttransfusion seit Beginn der Chemotherapie. Ein Mal bekam Heidi Trombozyten. Im Grossen und Ganzen hat sie das also ziemlich gut geschafft. Aber viele krebskranke Kinder brauchen sehr oft Transfusionen. Darum richten wir eine grosse Bitte an die Leser von Heidis Blogg: Spendet Blut! Manche haben vielleicht schon immer dran gedacht, aber es ist nie was daraus geworden. Also: Tut was - jeder Tropfen wird gebraucht!
Sonntag, den 10. Dezember 2006
Weihnachtsfeier im Kindergarten. Adventskaffee, Tanz um den Weihnachtsbaum, Bonbonangeln und viel Spiel und Spass.
Die heutige Blutprobe zeigt, dass die Roten wieder auf einem akzeptablem Stand sind. Stattdessen sind die Trombozyten und die Weissen richtig schlecht. Für die, die es genau wissen wollen: Weisse, d.h. Leukozyten, sollen bei 5 bis 15 (Heidi 0,79) liegen. Für die neutrophilen Granulozyten, die 40 bis 75 Prozent der Gesamtmenge der Weissen ausmachen, gilt 1,5 bis 8,0 (Heidi 0,1). Heidis Werte in Klammern zeigen deutlich, in welchem mieserablen Zustand ihr Immunsystem ist. Darum würde es uns nicht überraschen, wenn sie mit irgendeiner Infektion nach Hause kommt, hohes Fieber kriegt und richtig krank wird. Aber einstweilen tuckert ihr Körper gleichmässig wie ein kleiner Motor vor sich hin.
Wie ist es möglich, fragen wir uns immer wieder. Unglaublich. Wenn ihr Körper doch nur genauso stark wäre, wenn es um den Kampf gegen die widerlichen Krebszellen geht.
Mittwoch, den 13. Dezember 2006
6.45 Uhr - Luciafest im Kindergarten. Vor genau einem Jahr um diese Uhrzeit liefen die Vorbereitungen auf Heidis erste Operation auf vollen Touren. Eine lange und komplizierte Operation, bei der der Neurochirurg einen 7 cm grossen Tumor aus Heidis Kopf herausschnitt. Der grösste Tumor, den er jemals aus dem Gehirn eines Kindes operiert hat.
Als unsere "Königin des Lichtes" Heidi dann vor Glück strahlend mit ihren Kindergartenfreunden und Erzieherinnen auf die Bühne zieht, kriegen wir ein bisschen extra Gänsehaut.
Eine Stunde später müssen wir schon wieder zur nächsten Blutprobe. Die Werte sind ein bisschen besser. Gut, dass es in die richtige Richtung geht. Eine Chemo kann diese Woche natürlich nicht vom Stapel gehen. Neue Blutprobe am Montag. So viele Proben. Heute war es Nummer 75! Das Laborpersonal in Staffanstorp ist wirklich super. Danke an alle dort!
Und auch Danke an Saga (die Oma von Kindergartenfreund Hugo), die Prinzessin Heidi mit einer Karte und einem "Scheinchen" überrascht hat. Danke für die wärmenden Worte. Wir brauchen Euch da draussen. Heidi wird sich bestimmt etwas Süsses vom Prinzessinnenangebot aussuchen.
Am Dienstag war Heidi zur Chemo Nr. 22. Eine Chemo, bei der der Spültropf auf acht Stunden verkürzt worden ist, weswegen wir am selben Abend wieder nach Hause fahren können. Es ist bedeutend leichter, an einem Chemomorgen aus dem Bett zu steigen, wenn man weiss, dass man am selben Abend wieder in diesem Bett einschlafen darf.
Heidi war beim Nadeleinstechen wirklich sehr tapfer. Muss das bisher beste Mal gewesen sein. Sie hatte zwar Angst und schrie, als sich das Nadelungetüm ihrem Körper näherte, aber ihr Widerstand war doch ziemlich gering. Besser kann es einfach nicht gehen, mehr kann Heidi nicht geben. Am Tag vorher hatte sie uns gesagt, dass sie es versuchen will. Und sie hat wirklich gekämpft. Aber tapfer, nein, also tapfer war sie wirklich nicht, war ihr eigenes, wieder mal sehr hartes Urteil, kurz nachdem das Schlimmste vorbei war. Na ja, wir fanden es jedenfalls und darum soll sie nun die versprochene Dora-Puppe bekommen. Aber nicht sofort, nein - Heidi möchte die Puppe nämlich vom Weihnachtsmann haben.
In der Nacht geht es ihr trotz Anti-Übelkeit-Medizin gar nicht gut. Sie entleert ihren Magen ordentlich, schläft dann aber recht ruhig und ist einige Stunden später putzmunter und bereit für einen neuen Tag.Heidi will natürlich in den Kindergarten. Wie des öfteren fällt es uns auch heute schwer zu beurteilen, wie es Heidi eigentlich wirklich geht. Sie sagt ja nie einen Piep, wenn etwas nicht stimmt. Ihr Widerstand gegen das Schlucken von Tabletten ist nach wie vor sagenhaft. Es hat also kaum Sinn, sie dazu zu bewegen, eine Tablette gegen Übelkeit zu schlucken. Nach einer anstrengenden Chemo haben wir überhaupt keine Lust, sie zu weiteren Dingen zu zwingen. Aber Heidi schafft den Tag prima und isst im Kindergarten sogar eine gute Portion Mittag.
Ansonsten ist sie momentan für nichts zu haben. Von Bonbons oder Eis will sie gar nichts wissen und zum Abendbrot probiert sie mehrere Dinge hintereinander, ohne dass auch nur ein einziges Gericht ihrem chemoverwirrten Geschmackssinn irgendwie zusagt.
In den letzten Tagen war unser Briefkasten ungewöhnlich voll. Danke Euch allen, die Heidi Grüsse und Geschenke geschickt haben. Sie wird so verwöhnt! Aber das ist völlig in Ordnung. Sie soll verwöhnt werden. Unsere Post brauchen wir nun jedenfalls nicht mehr selbst durchgehen. Das erledigt Heidi. Sie hat volle Kontrolle darüber, welcher Brief an wen in der Familie gerichtet ist.
Nun hoffen wir auf ruhige Weihnachtsfeiertage. Wir werden einige Male zum Blutabnehmen gehen müssen, aber ansonsten gedenken wir, mit dem Gesundheitswesen nicht in Berührung zu kommen. Leider fühle ich mich in den letzten Tagen ein wenig unruhig. Was, wenn gerade über Weihnachten etwas passiert und wir in die Klinik müssen? Ach was, es wird schon klappen.
ALLEN LESERN EINE FROHE WEIHNACHTEN!
Montag, der 25. Dezember 2006
Wir sind zu Hause. Es geht uns gut. Wir faulenzen den lieben langen Tag, essen gut, geniessen die Feiertage. Gestern hatten wir einen wunderschönen Heiligabend. Heidi bekam viele Spielsachen (...und eine Erkältung).
Der Weihnachtsmann hatte zu Heidis grosser Verwunderung seine "Assistentin" Belinda geschickt. Mit Unmengen Weihnachtsgeschenken. Ach so, Ihr wollt wissen, wer Belinda ist. Nun ja, Belinda ist die Stimme unseres Anrufbeantworters. Glaubt bloß nicht, dass man bei Heidi den Weihnachtsmann anrufen kann und dann in einen tutenden Hörer quatschen kann. Das hätte sie uns nie abgekauft. Belinda ist also seit gut zwei Jahren unser Nordpol-Ansprechpartner und hat auf diese Art und Weise hin und wieder Heidis Entwicklung beeinflusst. Anfangs, wenn keine anderen Erziehungstricks mehr helfen wollten, später vor allem um zu berichten, wie tapfer Heidi im Kampf gegen ihre Krankheit ist.
Nun stand Belinda also in allerhögster Person vor der Verandatür, während Heidi einen ganz ?normalen? Weihnachtsmann, an dem sie allerdings schon zu zweifeln begonnen hatte, erwartete. Das machte grossen Eindruck. Vielleicht können wir nun doch noch ein weiteres Jahr zum Nordpol anrufen, bevor der Bluff auffliegt.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht waren Heidis Kräfte erschöpft und sie schlief auf dem Sofa ein. Was für ein wunderbarer Tag!
RÜCKBLICK - NOVEMBER 2006
Heidi kämpft nun mit ihrer Chemo, die "Vier" der Serie, Cisplatin, ist richtig schlimm. Heidi zählt die Kliniknächte und warten innigst darauf, von hier wegzukommen. Wenn alles gut läuft, schaffen wir es, am Samstag Abend rechtzeitig zu Hause zu sein, um noch ein gutes Essen zu kochen.
Dieses Mal bekommt Heidi ausser ihrer Tagesdosis Anti-Übelkeit-Medizin und Kortison noch ein weiteres Medikament, um den schrecklichen Übelkeitsattacken, die sie nun seit einiger Zeit quälen, zu entgehen. Sie ist blass und die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Dieser Tag ist nicht der beste in ihrem Leben, aber 28 Stunden nach Beginn der Chemo hat Heidi immer noch nicht gebrochen! Auch wenn sie am liebsten in ihrem Bett bleibt, macht sie hin und wieder einen Spass mit uns - ein sicheres Zeichen, dass es ihr nicht total elendig geht.
Der Befund der letzten MRT ist gut - es gibt keine neues Geschwür in Heidis Kopf. Da, wo Heidi operiert worden ist, sieht man aber immer noch einen Schatten, doch ist es schwer zu sagen, ob es sich um vernarbtes oder Tumorgewebe handelt. Die Ärzte der Vormittagsvisite hatten noch keien Details gehört und wollen morgen mehr sagen.
Kein neuer Tumor bedeutet trotz allem gute Nachrichten. Ein Rückfall während der Chemo wäre eine Katastrophe. Gute Nachrichten nähren natürlich unsere Hoffnung, dass Heidi es schaffen wird. Das brauchen wir...
Der restliche Donnerstag vergeht langsam. Heidi geht es nicht besonders gut, sie ist müde und mitgenommen, bleibt die ganze Zeit in ihrem Bett. Am Nachmittag sind die 48 Stunden Cisplatin vorüber und 24 Stunden Spültropf stehen noch aus. Wir bekommen den Tropf in einen Rucksack und machen einen Ausflug in die Stadt. Sitzen auf einer Bank und schauen dem Verkehr vor dem Bahnhof zu. Ja, es gibt eben verschiedene Ausflüge.
Samstag, den 4. November 2006
Am Vormittag setzen wir Heidi in ihren Wagen und machen einen Spaziergang. Heidi geht es kurz vor ihrer Tagesration Anti-Übelkeit-Medizin schlecht, ansonsten geht es wieder aufwärts. Sie weiss, dass alle Nächte vorbei sind und wird langsam wieder fit. Als wir frühstücken, immer noch sechs Stunden übrig, sagt sie plötzlich: "Ich muss euch etwas sagen. Heute werde ich nicht traurig werden, wenn sie die Nadel rausmachen." Wir schauen überrascht von unseren Tellern auf. "Na, jedenfalls nicht sooo traurig. Nur ein bisschen...." Wir waren ganz sprachlos. Gerührt. Da überlegt sie, versucht sich selbst anzupfeffern, stark zu sein. Solche Momente zeigen, in welcher Gedankenwelt Heidi eigentlich lebt, wie schwer sie es zeitweise hat. Und wir werden traurig darüber, dass es so sein muss. Manchmal fällt es mir so schwer, klug und verständig zu sein, immer alles einfach so hinzunehmen, wie es ist. Na ja, die Nadel wird nicht ganz ohne Protest herausgezogen, aber es geht ziemlich gut. Wir fahren nach Hause und verraten Heidi, dass wir in ein paar Stunden auf Robban und Marlenes Halloweenfest gehen würden. Geniessen das Leben ausserhalb der Krankenhausmauern.Sonntag, den 5. bis Samstag, den 11. November 2006
Am Sonntag spielt Heidi mit Smilla und am Montag geht es wieder zum Kindergarten. Oft fragt Heidi am Abend: "Fahren wir morgen ins Krankenhaus? Darf ich in den Kindergarten gehen? Müssen wir zu Marita (Blutprobe im Labor in Staffanstorp)"? In letzter Zeit sind die Blutproben aus unerklärlichen Gründen wieder richtig schwer. Aber am Dienstag ist es plötzlich überhaupt kein Problem und auch am Freitag geht es auch recht gut. Ein Dankeschön an das Personal im Labor - Marita, Anki, Elsie u.a. - für all die Zeit und Kraft, die sie für Heidi aufbringen.
Ansonsten vergeht eine ganz normale Woche. Heidi ist immer noch ein wenig erkältet, aber schafft es weiterhin, trotz ihres so gut wie nicht existierenden Immunsystemes dem Schlimmsten zu entgehen. Das ist schon fast ein bisschen komisch. Wir sind schon im November und Heidi kann immer noch in ihren gelieben Kindergarten gehen - phantastisch!
Freitag, den 17. November 2006
Total unglaublich - am Mittwoch konnten wir Chemo Nr. 17 abhaken. Es ist lange her, dass Heidi die Chemos im Intervall von zwei Wochen kriegen konnte. Die letzten Wochen hat es richtig geflutscht. Als Bonus ist nun auch Chemo eins der Serie auf einen Tag verkürzt worden. Spültropf von 24 Stunden ist nicht notwendig, sagen die Ärzte, da Heidis Nieren- und Leberfunktion nicht beeinträchtigt worden ist. Vielleicht gerade wegen des Spültropfes? Wir hoffen, dass das nicht mit irgendwelchen Einsparungen zu tun hat. Man weiss ja nie. Wir überreden Heidi zur Sicherheit, richtig viel zu trinken. Sie schluckt 1,4 l an diesem Tag... Ansonsten freuen wir uns natürlich darüber, nicht in der Klinik übernachten zu müssen. Der ganze Prozess wird psychisch bedeutend leichter für Heidi.
Schwer ist dieses Mal allerdings das Setzen der Nadel. Heidi ist völlig ausser sich, faucht und spuckt, ist nahe dran, eine der Krankenschwestern zu beissen und ihre Tritte haben ein deutliches Ziel. Ach, das war richtig schlimm.
Das Treffen mit der Psychologin war sicherlich nicht völlig sinnlos, wir konnten jedenfalls ein bisschen über alles sprechen, aber etwas direkt Neues ist dabei nicht herausgekommen. Unseren Beschreibungen zufolge geht es Heidi gut, meint man. Gestern sprach ich mit Heidi über das Nadelsetzen. "Ich kann nicht anders", sagt Heidi. "Ich muss schreien. Es ist so schlimm, die Nadel zu kriegen". Und ich verstehe sie. Wir reden darüber, dass man aber nicht spucken und nach der Schwester treten darf. Heute nehme ich den Faden dann noch mal auf. Wir reden darüber, dass Heidi versuchen soll, nächstes Mal ein bisschen stärker zu sein, ein bisschen zu kämpfen. Heidi: "Aber ich bin kein Kämpfer." Pause. "Oder vielleicht ein kleiner... Doch, ein kleiner Kämpfer bin ich. Gut, ich werde es versuchen." Wenn sie es nächstes Mal besser schafft, verspreche ich, würde sie die tolle Dora-Puppe bekommen, die Deutsch und Englisch sprechen kann. "Ja, dann werde ich es versuchen. Die Dora will ich gern haben." Man könnte fast meinen, dass es klappen könnte...
Gestern bekam Heidi wieder mal ihren Heisshunger auf Restaurant-Fleischbällchen (schwedische Variante von Bratklopsen, nur eben kleine runde Bällchen). Darum gehen wir ins Restaurant "Zwei Köche" in Staffanstorp. Und genau wie vor ein paar Wochen verdrückt Heidi 14 Fleischbällchen (4 cm im Durchmesser) mit ein wenig Soße und Kartoffelbrei. Einen Tag nach der Chemo, verrückt, oder? Fleischbällchen im Restaurant sind also in Beziehung Essen der neueste Hit. Wie bereits beschrieben, wird die Theamtik Essen immer interessanter. Nun zieht Heidi uns auch noch ins Restaurant. Und wir machen alles, damit sie nur isst. Na ja, was soll's. Wann sonst könnten Mama und Papa mal im Restaurant sitzen, um ein gutes Bier zu trinken...
Mittwoch, den 29. November 2006
Seit dem letzen Eintrag sind fast zwei Wochen vergangen. Alles war soweit in Ordnung, die Tage waren ziemlich ruhig, Heidi ging es gut. Im Kindergarten hat sie, aller Annahmen zum Trotz, nicht die grasierende Magengrippe aufgeschnappt, die nun schon zum zweiten Mal ihre Runde machte. Unglaublich, wo doch Heidis weisse Blutkörperchen relativ schlecht waren.
Die Blutproben laufen wieder viel besser. Am Freitag bekam Heidi endlich die Belohnung für eine Vielzahl Proben. Im Sommer hatten wir ihr nämlich eine "Karusselkarte" angefertigt. Für jedes Blutabnehmen durfte sie ein kleines Männchen ausmalen. Wenn alle ausgemalt sind, würden wir ganz viel Karussel fahren gehen. Nun war es so weit, nach Kopenhagen zu fahren, um den Gewinn einzulösen. Wie immer sagten wir nichts im Voraus.
Als Heidi am diesem Morgen merkte, dass Jan ihren Wagen ins Auto packte, legte sie voller Entsetzen ihre Hand auf ihren Port und frägte ängstlich, ob wir zum Krankenhaus fahren würden. Arme, kleine Maus... Da bereiten wir den lustigsten Ausflug vor, den Heidi sich denken kann, und sie kriegt Angst, dass es in die Klinik geht. Es ist schon alles ein Elend.
Jedenfalls hatten wir einen wunderschönen Tag. Dachten, wir seien so gegen fünf wieder zu Hause, aber es wurde zehn. Es war unmöglich, Heidi und Tim von den Karusellen herunter zu kriegen. Sie fuhren und fuhren und fuhren.
Nun sind wir seit heute Vormittag wieder in der Klinik. Zu unserer grossen Verwunderung geht es also wie noch nie zuvor im Zwei-Wochen-Intervall weiter. Jetzt also Nr. 18 - so eine Chemo, wo wir nicht wissen, wann wir nach Hause kommen. Kommt darauf an, wie schnell oder langsam der Metothrexatgehalt in Heidis Blut sinkt und unter dem magischen Wert von 0,2 ist. Ein bisschen blöd, dass man nicht weiss, wie lange das dauert.
Das Setzen der Nadel ist schlimm, geht aber zweifellos besser. Kein Versuch zu spucken und zu beissen. Heidi beruhigt sich auch ziemlich schnell. Sie hatte sich wirklich mental vorbereitet, auch einige Kampfgehilfen mitgenommen: eine Barbie, ein kleines Plüschtier, einen magsichen Stein und ein Stück Papier aus einem Werbeblatt mit Dora darauf. Ihr wisst schon, die Dora, die Heidi sich so sehr wünscht. Es war ganz deutlich, dass sie es wirklich versuchen wollte. Die Schwestern lobten sie, aber Heidis eigenes Urteil war hart: "Nein, ich war nicht tapfer." Mein Gott, welch hohe Anforderungen sie an sich stellt.
Bei der Visite haben wir eine lange Diskussion mit den Ärzten, welche Anti-Übelkeit-Medizin Heidi dieses Mal bekommen soll. Nach viel Gelaber wird das dritte Medikament, das Heidi bei Chemo 16 so gut geholfen hatte, genehmigt. Später zeigt sich, dass man stattdessen das Kortison weglässt, das die Wirkung der Anti-Übelkeit-Medizin verstärken soll. Hoffentlich klappt das. Ich bin nicht besonders verzückt von dem "Wir werden sehen." der Ärzte. Heidi kan sich nämlich kein "Wir werden sehen" leisten. Wenn es ihr erst mal schlecht geht, gibt es so schnell keinen Weg zurück und es geht ihr so erbärmlich.
Donnerstag, den 30. November 2006
Es ist Vormittag. Wir sind müde und hängen durch. Heidi liegt total erschöpft in ihrem Bett. Ich hab?s ja gleich gewusst... Das "Wir werden sehen" ist nämlich voll vor den Baum gegangen. Heute Nacht ging es Heidi richtig schlecht und sie brach immer wieder, bis sie schliesslich doch die Kortisoninjektion bekam und ihr Körper sich etwas beruhigte. Leider geht die Übelkeit nicht einfach so vorüber, wenn sie erst mal in Heidis Körper Einzug genommen hat. Ach, sie tut uns so leid!
Bei der Visite bitten die Ärzte um Entschuldigung, versichern, dass Heidi von nun an immer alle drei Medikamente bekommen wird. Na ja, dann brauchen wir nächstes Mal jedenfalls nicht bitteln und betteln, immerhin etwas.Trotzdem bin ich ziemlich sauer, war es doch von Anfang an klar, dass das nicht gut gehen würde. Mein Gott! Heidi bekommt 28 Chemos, die diesen relativ bösartigen Krebs, Grad III (von vier) auf der WHO-Skala, vernichten sollen. Die Chance für Kinder, Ependymom zu überleben, ist 50:50. Die, die es schaffen, haben oft sog. Spätfolgen... Als ob ein paar Dosen Kortison da noch eine Rolle spielen würden.
Manchmal habe ich Lust, einfach mit meiner kleinen Maus zum schönsten Platz dieser Erde abzuhauen, alles Geld zu verprassen und in Saus und Braus zu leben, um dann alles hinzuschmeissen, all das Böse einfach nicht mehr sehen zu müssen... Ich weiss, dass das wohl keine gute Idee ist. Vielleicht kriegt Jan einen Schreck, wenn er das liest. Aber man muss auch mal davon träumen, dem Elend entrinnen zu können, von einem Ausweg phantasieren.
RÜCKBLICK - OKTOBER 2006
Heidi wirkt ein wenig müde. Zum Abend hin bekommt sie Fieber und bricht. 38,7 - da müssen wir zur Klinik. Heidi ist sehr traurig. "Ich will zu Hause bleiben", jammert sie immer und immer wieder. Es tut so weh, dass wir ihrem Betteln nicht nachgeben können, erklären ihr tausend Mal, dass wir machen müssen, was die Ärzte sagen... Oh, wie ich das hasse.
Wir sind zur Abfahrt bereit, aber die Ärzte von der Krebsstation meinen, dass wir noch eine Stunde abwarten sollen. Wenn Heidi einen Magen-Darm-Virus hat, ist es wegen der schlimmen Ansteckungsgefahr gar nicht gut, auf die Station zu kommen. Zum Glück steigt das Fieber nicht weiter und wir dürfen die ganze Nacht zu Hause verbringen, auch wenn wir nicht besonders viel Schlaf kriegen. Heidi bricht und bricht. Erst gegen vier wird es ruhiger.
Dienstag, den 3. Oktober 2006
"Das war ja ein komischer Morgen. So kurz", sagt Heidi, als es schon nach einer Stunde Spielen dunkel wird.
Mittwoch, den 4. Oktober 2006
Nach einer ruhigen Nacht erwacht Heidi. Sie ist blass und still. Es geht ihr nicht gut, sie bricht. Also wie immer nunmehr. Heidi muss es ziehmlich absurt finden, dass sie von der Medizin, die sie gesund machen soll, richtig krank wird. Wenn man ihr das nur richtig erklären könnte. Sie weiss ja schon so viel. Über ihre Krankheit, den Körper, das Blut.
Dienstag, den 10. Oktober 2006
Wieder zu Hause. Schon am Samstag war der Metothrexatwert in Heidis Blut unter 0,2. Eine Stunde vor Heidis Schlafenszeit kam das Laborergebnis und wir schafften es, noch am Samstag Abend nach Hause zu kommen. Wie froh wir waren! Fünf Tage, Ihr macht Euch keine Begriffe, wie langweilig und ermüdend es in der Klinik immer ist. Brrr... Die Stunden kriechen in Zeitlupe dahin. Man kriegt Kopfschmerzen von der ganzen Warterei. Heidi gleicht, sobald sie die Nadel im Port hat, einer alten Oma. Ihr ist schlecht, sie schafft nicht viel, will nur nach Hause. Sie ist total schlecht drauf, empfindlich und gereizt. Fragt sie nach einem Spielzeug oder etwas zu essen, das wir nicht dabei haben und auch nicht im Handumdrehen herbei zaubern könnne, wird sie fürchterlich traurig. Die Tage mit Chemo haben ganz einfach nichts Positives an sich, abgesehen davon, dass dieser doofe Krebs ordentlich eine auf die Mütze kriegt.
Auf der Station begegnet man dieser enormen Konzentration schwerkranker Kinder, vom Baby bis zum Jugendlichen, alle mitten im schlimmsten Kampf ihres Lebens? Alle im eisernen Griff dieses gottverdammten Krebses, gefangen in dieser verfluchten Hölle. Der Anblick aller dieser armen Würmchen stimmt einen sehr traurig. Man kommt einfach nicht drumherum.
Das beste, was es nunmehr in unserem Leben gibt, ist nach Hause zu kommen, das Leben ausserhalb der Klinikwände zu leben, sei es auch noch so eingeschränkt.
Am Sonntag um 9 Uhr ist Heidi fürs Turnen bereit. Am Nachmittag geht die ganze Familie zum zweiten Mal in den Zirkus und auch dieses Mal ist es sehr lustig. Voriges Wochenende durfte Papa, vom Clown persönlich ausgesucht, in der Manege mitwirken. Das war ein Spass! Jedenfalls für uns, die zugucken durften.
Leider befindet Heidi sich derzeit in einer recht schweren Phase. Die Chemo hat ihren Geschmackssinn wieder mal total verdreht und zu eine Reihe anderer unbehaglicher Nebenwirkungen gefüht. Sie will nichts essen oder trinken, aber Flüssigkeit muss sie ja zu sich nehmen. Darum müssen wir schrecklich viel herumlabern. Dann sieht man ihr kleines, geplagtes Gesicht, ihre bettelnden Augen. Will nichts anderes, als aufhören zu reden und sie einfach zu drücken. Stattdessen macht man weiter: bitte, bitte, trink! Aber nichts geht runter, der Mund tut weh. Heidi hat Schmerzen in den Beinen, sie schläft unruhig, zum Morgengrauen hin liegt sie wach in ihrem Bett. Vielleicht stundenlang. Das ist so fürchterlich hart.
Heidi hat sich sehr nach ihrem Kindergarten gesehnt, darum war sie schon gestern das erste Mal dort. Am Nachmittag durfte sie dann endlich mit Papa zum Supermarkt gehen, um ein Geschenk und Blumen zu Mamas Geburtstag zu besorgen. Sie hat so darauf gewartet. Monatelang hat sie immer wieder die Farbe der Blätter und den Reifegrad der Eicheln kontrolliert hat, um zu sehen, wie lange es noch bis zum Herbst und somit bis zu Mamas Geburtstag dauern würde. Unser kleines Mädchen?
Sonntag, den 15. Oktober 2006
Heidi geht es besser, die Nächte sind wieder ruhiger, sie hat angefangen zu essen, auch wenn wir immer noch viel auf sie einreden und sie meistens füttern müssen. Sie bekommt immer das, was sie sich wünscht. Darum werden in unserer Küche zu jeder Mahlzeit mindestens zwei Gerichte vorbereitet. Viel Arbeit, aber es dauert eben auch Monate, ein halbes ?Heidikilo? aufzubauen und nur einige wenige Tage, es loszuwerden. Das mit dem Essen ist so wichtig, nicht zuletzt, damit die Chemos gut anschlagen können, damit Heidi kräftemäßig alles schafft. Ausserdem soll sie vom Schlauch in der Nase - Heidis grosser Albtraum, verschont bleiben.
An diesem Wochenende sind wir wieder unterwegs, nutzen die letzen Tage schöner Herbstsonne aus. Die Zeit im Wohnwagen ist immer etwas Besonderes. Wir sind auf eine andere Art als zu Hause zusammen.
Heute früh sind wir mit dem Hahn aus dem Bett, um pünktlich zum Turnen zurück in Staffanstorp zu sein. Einerseits macht es Heidi viel Spass, andererseits ist Bewegung für sie sehr nützlich, fördert den Appetit, die durch die Chemo trägen Darme werden aktiviert und vieles mehr.
Die nächste Chemo soll am Donnerstag beginnen, aber wie immer sind es Heidis Werte, die das letztendlich entscheiden. Sie hat blaue Flecken an den Beinen, die ziemlich tieflila gefärbt sind, ein Zeichen für niedrige Trombozyten. Wir wissen es nicht genau, weil wir am Dienstag und Freitag darauf gepfiffen haben, nach den Ergebnissen der Blutproben anzurufen. Haben mal von weissen, roten und Trombozyten frei gemacht. Neun Monate Chemo? Wir haben die Nase so voll, sind von diesem intensiven Leben, wo Tag und Nacht ein und dieselbe Sache im Fokus steht, so erschöpft.
Bilder von heute: Heidi und Kindergartenfreund Oskar beim Verspeisen von Erdbeertorte und Eis
Freitag, der 20. Oktober 2006
Zum Bild unten: Heidi in ihrem Element: Neues Festkleid, Eurovision Song Contest im Fernsehen und ein Mikrophon in der Hand. Wir können von diesem Anblick nie genug kriegen.
Heute stehen wir ziemlich spät auf, schieben einen Ruhigen, machen im Prinzip nichts. 24 Stunden nach der gestrigen Dosis Anti-Übelkeit-Medizin und Kortison, das zur Ünterstützung der Anti-Übelkeit-Medizin gegeben wird, geht es Heidi immer noch recht gut. Von Milch will sie überhaupt nichts wissen, aber Wassermelone und frische Erdbeeren schmecken gut. Im Supermarkt hat sie mich ausserdem dazu überredet, eine Hand voll Blaubeeren für gut zwei Euro zu kaufen. Aber die schmecken heute nicht? Na ja.
Zum Abendbrot bestellt Heidi zum zweiten Mal diese Woche frittiertes Hähnchen von Malmös bestem China-Restaurant (das zum Glück am Stadtrand in unsere Richtung liegt). Scheint Heidis neuestes Lieblingsessen zu sein.
Das Essen nach Wunsch beansprucht also immer Zeit. Den ganzen Frühling waren es Fischstäbchen, die Heidi manchmal mehrmals täglich aß. In sieben Minuten gebraten, kein Problem. Den ganzen Sommer waren es dann gebratene Hähnchenkeulchen. Fertig in 25 Minuten, etwas schwieriger, da Heidi möglichst direkt nach aufgegebener Bestellung essen möchte. Jetzt haben wir Malmö hin und zurück, was immerhin mindestens 30 Minuten dauert. Ziemlich viel Zeit, abgesehen davon, was das Ganze kostet. Aber wir sind seelig, wenn sie zwei der drei frittierten Hähnchenstücke, aus der eine Portion besteht, verputzt. Ja, unser Leben ist schon komisch.
Unten ein Bild von Heidi mit der neuen Puppe Dora. Seht ihr den angewinkelten rechten Arm? In dieser Stellung landet der Arm, sobald Heidi die Nadel in ihrem Port hat? und da bleibt er dann, Tag und Nacht, bis Heidi ihre Nadel und alles wieder los ist.
Mittwoch, der 25. Oktober 2006
Gestern war wieder eine MRT. Bevor wir in die Klinik fuhren, war Heidi noch eine Dreiviertelstunde im Kindergarten, um beim grossen jährlichen Forografieren dabei sein zu können. Arme Maus, mit nüchternem Magen, da sie ja ja um 12 eine Vollnarkose kriegen sollte. Schon am Abend vorher hatte sie gefragt, ob sie denn die Nadel in ihr Port kriegen würde. War entzetzt und traurig. Das tut mir so weh. Alla Versuche, Heidi zu trösten, erscheinen armseelig und das ewige ?Wir müssen das doch machen? klingt nach elf Monate langer Anwendung richtig ausgeleiert.
Als die Nadel gesetzt wird, kämpft Heidi mehr denn je. Wir werden uns wohl wieder mal mit der Psychologin hinsetzten müssen. So kann das nicht weitergehen. Fünf Erwachsene, die so ein kleines Mädchen runter drücken müssen. Das ist doch total verrückt. Wie soll sich so ein kleines Wesen jemals von all diesen traumatischen Erlebnissen erholen?
Die MRT geht dieses Mal sehr schnell. Nach knapp einer Stunde werden wir schon zur Aufwachstation gerufen, wo Heidi schon dabei ist, ein Eis am Stiel zu verzehren. Die Untersuchungsbefunde werden wir sicher erst in einer Woche bekommen. Erst wird eine Sitzung einberufen, wo verschiedene Ärzte ihre Meinung zu den Aufnahmen sagen. Dass keiner direkt nach der MRT zu uns kam, deuten wir insofern als gutes Zeichen, dass wenigstens keine riesengrosse Knolle in Heidis Kopf zu sehen war. Das hätte man ja schon während der MRT gesehen und uns garantiert wissen lassen. Glauben wir jedenfalls. Man muss eben irgendwie die Rosinen im Kuchen finden.
Um Heidis Elend des Gestochenwerdens an diesem Tag zu vollenden, wird dann hinterher auch noch ein Nierenfunktionstest durchgeführt, von dem uns vorher niemand ein Wort gesagt hatte. Zu diesem Test werden im Abstand von einer Stunde zwei Röhrchen Blut vom Finger benötigt. Wir fühlen uns Heidi gegenüber wie die grössten Verräter, hatten wir ihr doch gesagt, dass wir nach Hause fahren würden, wenn sie aus der Narkose erwacht ist. Aber nein, stattdessen noch mehr Qualen. Super. Nichts Neues in unserem vom Gesundheitswesen geregelten Dasein, aber trotzdem recht nervend.
Glücklicherweise ist Heidi wieder gut drauf, als wir endlich nach Hause fahren dürfen. Die ganze Fahrt über reden wir nur davon, wieviel Spass es machen wird, den Rest der Woche im Kindergarten zu sein.
Donnerstag, der 26. Oktober 2006
Heidi heute früh um neun Uhr: fertig für das Halloween-Kostümfest im Kindergarten. Sie wacht um viertel fünf auf, hat nichts ausser dem grossen Ereignis des Tages im Kopf?
RÜCKBLICK - SEPTEMBER 2006
Sei unserer Heimkehr aus der Klinik am 29. August geht es Heidi recht gut. Jeden Tag ist sie für ein paar Stunden im Kindergarten, obwohl ihre Werte sehr niedrig sind, der Husten immer noch nicht weg und ihr Appetit irgendwo tief im Keller ist.
Am Wochenende waren wir mit dem Wohnwagen in Falsterbo. Als wir am Meer vorbei kamen, wo es schrecklich nach vergammeltem Tang roch, sagte Heidi: "Hier riecht es nach Pfefferkuchen." Angesichts des Zusammenhangs zwischen Geruch und Geschmack ist es also gar nicht komisch, dass Heidi nicht besonders viel Spass am Essen hat, wenn sie meint, dass vergammelter Tang und Pfefferkuchen genauso riechen. Dank der Sahne, die wir in ihre Milch mischen, hat sie aber ihr Gewicht einigermassen halten können.
Aus der nächste Chemo am Mittwoch (13.9.) wird wohl nichts werden. Sämtliche Werte sind unter aller Kritik. Aber wie immer merkt man Heidi nicht viel an, ausser dass ihre Laune nicht immer ganz stabil ist, sie immer recht blass aussieht und eine Menge blauer Flecken an den Beinen hat.
Heidi hat in letzter Zeit viel davon geredet, dass sie einen Hund oder eine Katze haben will. Nicht so ungewöhnlich in ihrem Alter. Nun darf sie mit Tim zu einer Familie mitgehen, die gerade ganz kleine Hunde- und Katzenbabies hat. Glücklich hält Heidi diese süßen, kuschligen Kleinen im Arm und trägt sie herum, streichelt und streichelt das weiche Fell. Zu Hause erwarten wir nun einen Grossangriff - aber nein, zum Glück erst mal keine Drängelei nach einem Kätzchen. Tim hat sich nämlich zwei Wüstenmäuse angeschafft, die Heidi gern beobachtet und die sie sehr niedlich findet.
Dienstag, den 12. bis Mittwoch, den 20. September 2006
Am Freitag ziehen wir den Wohnwagen wieder mal zu Skånes Tierpark. Fahren am Samstag zurück, um bei Robban und Marlene zu Abend zu essen. Für Heidi ist das immer ein Fest. Sie ist froh und aufgedreht und verspeist zwei Miniwürstchen und ein Stück Brot, ohne dass wir das Geringste auf sie einzureden brauchen. In den letzten Monaten habe ich oft mehrere Stunden pro Tag damit verbracht, Heidi zu füttern. Damals, am Anfang dieser schrecklichen Reise, hätte ich nie gedacht, dass ich das je durchstehen würde.
Der Sonntag lädt zu mehreren Zerstreuungen ein - das Turnen hat wieder angefangen. Am Nachmittag geht Heidi nochmal mit Tim zu den Hundewalpen und Kätzchen. Es muss für so ein kleines Mädchen ganz einfach ein Traum sein, mit diesen kleinen Tierchen spielen zu dürfen.
Eine neue Blutprobe am Montag, dem 18. - ein Jubileum. Zum 50. Mal wurde Heidi ein Röhrchen Blut vom Finger gezapft. Meistens geht das jetzt recht gut, was für alle Beteiligten eine Erleichterung ist.
Halb zwei ruft die Klinik an. Heidis Hb-Wert liegt bei 63 - nun geht es nicht mehr, wir müssen zur Transfusion kommen. Ich verlasse Hals über Kopf die Schule. Wir müssen Heidi vom Kindergarten abholen, sie mitten aus dem Spiel reissen. Kurz vor drei wird die Nadel gesetzt und Heidi strampelt mit den Beinen, tritt in alle Richtungen, schreit aus vollem Hals, dass sie nach Hause will. Sie wird das nie akzeptieren. Und wir leiden jedes Mal aufs Neue mit ihr.
Die Transfusion geht gut. Heidi hat dieses Mal keine Angst vor der Tüte mit dem Blut und und dem tiefroten Schlauch. Wir gehen sogar zum Klinikshop, wo Heidi um ein Wiener Würstchen bittet. Hurra!
Heute wieder zum Blutabnehmen. Zwar liegen die Roten nun bei 102, aber die anderen Werte sind immer noch ziehmlich mies. Da gibt's diese Woche wohl wieder keine Chemo. Aber die Ärzte wollen scheinbar nicht länger warten. Also packen wir die Taschen. Morgen beginnt also die Nummer 14. Wenn wir dann in fünf, sechs Tagen wieder nach Hause kommen, haben wir die Hälfte hinter uns.
Donnerstag, der 21. September 2006
Zwischen halb und um zehn sollen Papa und Heidi heute in die Klinik. Jan lastet gerade die Taschen ins Auto, als die Krebsstation anruft, um die beiden in letzter Sekunde zu stoppen. Keine Chemo diese Woche, lautet der neueste Beschluss. Heute findet man wahrscheinlich, was wir gestern auch meinten: Heidis Werte sind zu schlecht, um Gifte in ihren Körper pumpen zu können.Wieder mal völlig unnötig eine Menge Unruhe und Hektik. Schon, Heidi hüpfte vor Freude in die Luft, als sie hörte, dass sie statt in die Klinik in den Kindergarten fahren würde. "In der Klinik macht es ja keinen Spass", kommentierte sie. Aber all die Zeit, die für die Vorbereitung auf diese Tage wieder drauf gegangen ist - das Taschenpacken, Essen vorbereiten usw. Ist schon blöd, dass unsere Kraft so verschwendet wird. Na ja.Nun wird morgen und am Montag wieder Blut abgenommen, dann werden wir sehen...
Freitag, der 29. September 2006
Immer noch keine Chemo Nr. 14 - wir kommen nicht vom Fleck. Heidis neutrophilen Granulozyten wollen einfach nicht steigen und die Wochen ticken dahin. Wir fragen uns, ob der Krebs bei einer so langen Chemopause nicht die Gelegenheit nutzt, um zu wachsen und sich zu verbreiten. Anaplastisches Ependymom ist laut Heidis Neurologen Dr. Johan eine aggressive Krebsform, die ässerst aggressiv behandelt werden muss. Wie aggressiv ist es dann, wenn der Intervall statt zwei Wochen fünf beträgt?
Aber solange Heidis neutrophilen Granulozyten so niedrig sind, kann sie keine Chemo kriegen. Ihr Körper würde das nicht schaffen. Zwei Alternativen, von denen die eine genauso schlecht wie die andere ist. Der Termin für die nächste MRT am 24. Oktober, der uns ins Haus segelt, verstärkt nur die Unruhe und die Angst vor neuen, schrecklichen Nachrichten schleicht sich heran. Wie stark wir auch hoffen...
In letzter Zeit gibt es sowieso eine Menge bedrückender Gedanken. Schlaflose Nächte und viele Tränen, nicht zuletzt wegen eines kleinen Dreijährigen und dessen Familie, die wir auf der Krebsstation kennengelernt haben. Trotz richtig starker Chemos und Strahlungen hat der Gehirntumor des Kleinen gewonnen. Nachdem die Ärzte festgestellt hatten, dass nichts mehr zu machen sei, blieben der Familie noch knapp 10 Tage. Wie kann das Leben nur so grausam sein und uns unsere Kinder nehmen? Wie soll man je wieder auf die Beine kommen?
Wir hoffen nur, dass es der kleine Noel da drüben besser hat, dort auf der anderen Seite, in dem Land ohne Schmerzen, Chemos und Krankenhaus. Und dass die Eltern ein bisschen Seelenfrieden und Trost darin finden, wenn auch nur ab und zu für eine kleine Weile.
RÜCKBLICK - AUGUST 2006
Dann geht es zum Campingplatz von Skånes Tierpark. Wohnwagennomaden nennt Tim uns. Stimmt wohl. Wir waren viel unterwegs und haben Heidis gute Verfassung, den neuen Wohnwagen und das herrliche Wetter ausgenutzt. Ein guter Sommer, trotz all der grauen Wolken...
Donnerstag, den 3. August und Freitag, den 4. August 2006
Am Nachmittag fühlt sie sich warm an. Sie trinkt viel. "Ich werde kämpfen", sagt sie, als wir sie bitten, so viel wie möglich zu trinken. Sie ist so tüchtig! Die Säule des Fieberthermometers bleibt bei 38,0 Grad stehen und in der Nacht verschwindet das Fieber ganz.
Am nächsten Morgen geht es Heidi recht gut. Sie ist verschnupft, aber guter Laune. Nach einer Blutprobe kommt Freundin Smilla und die beiden baden und planschen wie die Wilden. Heidi hat Smilla vermisst. Sie haben viel Spass zusammen.
Montag, den 7. August 2006
In der Klinik wird erst eine Blutprobe entnommen. Am Freitag lagen Heidis neutrophile Granulozyten bei 0,8. Vor der bevorstehenden, relativ schweren Chemo, der "Vier" in der Serie, 48 Stunden Cisplatin nonstop, wollen die Ärzte einen Wert von mindestens 1,0 sehen. Die Probe schafft Heidi richtig gut, sie macht keinen Mucks. Wir freuen uns sehr darüber. Ausserdem ist heute auch wieder ein Hörtest, auch da alles okay. Aber richtig gut drauf ist Heidi nicht. Sie fühlt sich wieder ein bisschen warm an, hat keinen Appetit. Dann bricht sie.
Auf die Laborergebnisse warten wir stundenlang. Wider aller Erwartung sind ihre neutrophilen Granulozyten auf 0,18 gesunken statt um die zwei notwendigen Zehntel zu steigen. Verdammt! Also wieder alles einsacken, Essen aus dem Kühlschrank holen, nach Hause fahren. Heidi geht es besser, vor allem, als sie das Geschenk sieht, dass sie eigentlich kriegen sollte, wenn die Nadel im Port steckt. Nun bekommt sie die tolle Bratzpuppe, obwohl gar keine Nadel in ihrem Port ist. Toll, findet Heidi.
Jan ist gerade zur Arbeit losgefahren, da klingelt es. Marlene und Matilda gucken vorbei. Heidi kriegt ein bisschen Gesellschaft und Appetit. Gut.
Gegen Abend kommt wieder ein wenig Fieber. Heidi strengt sich an zu trinken. Als sie endlich schläft, wird ihre Stirn kühler. Vielleicht schafft sie es auch dieses Mal wieder.
Dienstag, den 8. Augusti 2006
Mittwoch, den 9. August 2006
Es geht ihr gut und sie verbringt ein paar Stunden im Kindergarten. "Es hat heute solchen Spass gemacht", murmelt sie beim Einschlafen. Ein Dankeschön an das Kindergartenpersonal. Und an Euch - Moa, Smilla und Amanda - dass Ihr an Heidi gedacht und vom Urlaub aus Ansichtskarten geschickt habt! Heidi war froh und stolz.
Donnerstag, den 10. bis Sonntag, den 13. August 2006
Heidi fühlt sich gut, aber mit dem Essen klappt es nicht. Rein gar nichts will schmecken und wir machen uns Sorgen. Heidi tut uns leid. Manchmal freut sie sich auf etwas und wenn es dann vor ihr steht, schmeckt es überhaupt nicht. Es bedarf einer halben Stunde und viel Gerede, ein einziges Fischstäbchen runter zu kriegen.
Stolz erntet Heidi grüne Bohnen und macht sich eine Suppe. Kann kaum warten, bis sie fertig ist. Aber die Suppe schmeckt auch nicht.
Zum Glück trinkt Heidi viel Milch. Auf jede 100 ml kommen 20 ml fette Sahne, unsere einzige Chance, Heidi bei totalem Geschmacksstop ordentlich mit Kalorien zu versorgen.
Montag, den 14. August 2006
Chemo Nr. 12. Um neun sind wir auf der Station, Nadel in den Port, zwei Stunden Prähydrierung. Aber es vergehen mehr als fünf Stunden, bis das Carboplatin endlich angeschlossen wird. Zeit, die wir gut und gerne zu Hause sein könnten... Ein richtig zäher Start, der auch Heidi mürbe macht. Dieses ewige Warten und Herumhängen ist so langweilig. Sobald die Nadel in Heidis Port ist, schrumpft sie mehr denn je zusammen. Ein trauriges Bild, wenn sie mit nach vorn gebeugtem Körper und schleppenden Schritten langsam dahin zottelt, den rechten Arm angewinkelt fest an den Körper drückend. Auch dieses Mal wird der Arm so lange in dieser Stellung bleiben, bis die Nadel wieder weg ist.
Dienstag, den 15. August 2006
An diesem Vormittag geht es Heidi richtig beschissen. Sie bricht wiederholt. Mehr Medizin gegen die Übelkeit kann sie erst am Nachmittag bekommen, da sie ihre Tagesdosis schon weg hat. Mit viel Überredungskunst isst sie ein bisschen Frühstück und Nudeln zum Mittag. Am Nachmittag kommen Marlene und Matilda zu Besuch. Heidi schaltet das Notstromaggregat an und wird munter. Wir sind, bis sie um vier Uhr schliessen, in der Spieltherapie der Kinderklinik. Nachdem Marlene und Matilda abgefahren sind, geht die Luft aus Heidi raus. Sie ist total erschöpft, plappert ununterbrochen von Hähnchenkeulen. Sie ist müde, aber wartet bis Papa kommt, der auf dem Weg eine fertig gegrillte Hähnchenkeule besorgt hat. Heidi verschlingt das ganze Stück. Das nennen wir einen glücklichen Augenblick. In der Nacht geht es Heidi allerdings wieder total mies. So ein Elend!
Mittwoch, den 16. August 2006
Diese Chemo ist wirklich eine harte Runde. Heidi bricht den ganzen Morgen lang. Der Anblick unserer von Brechattacken geplagten Maus macht uns so traurig. Essen oder Wasser braucht man überhaupt nicht mehr zu erwähnen. Am Nachmittag ist die 48 Stunden dauernde Infusion zu Ende. Bleiben noch 24 Stunden Spültropf, den wir ihm Spezialrucksack haben können. Als Tim kommt, wird Heidi froh und etwas munterer. Wir machen sogar einen Ausflug zu Papas Zimmer und dem Spielplatz im Ronald McDonalds Haus.
Donnerstag, den 17. August 2006
Heidi ist müde und kaputt, kommt den gaznen Tag nicht aus dem Bett raus. Sie sieht fern, schläft zwischendurch immer mal, ist irgendwie nicht ansprechbar, reagiert nicht, wenn wir etwas fragen. Es geht ihr wahrscheinlich richtig mies. Sie will absolut nichts essen, kann nicht mal den Geruch von einem in unserer Nase fast geruchlosen Keks vertragen. Arme Maus...
Bleibt nur die Hoffnung, dass Heidi ein bisschen munterer wird, wenn die Nadel verschwindet. Und so ist es, Gott sei Dank, tatsächlich. Auf einen Schlag ist sie wie ausgewechselt, plappert und hüpft herum, läuft zum grossen Steinelefanten vor der Kinderklinik, um tschüss zu sagen.
Zu Hause bricht Heidi immer noch und zum ersten Mal geben wir ihr eine Tablette gegen die Übelkeit. Als ich die Nebenwirkungen im Beipackzettel durchgehe, fühle ich mich unruhig. Das ist starkes Zeug, aber was soll man machen. Heidi muss wirklich etwas essen und etwas im Magen behalten. Nach den vergangenen vier Tagen wollen wir gar nicht wissen, wieviel sie abgenommen hat.
Freitag, den 18. August 2006
Alle sind wir glücklich darüber, wieder zu Hause zu sein. Heidi spielt eifrig, während wir Tims Geburtstagsfest vorbereiten. Heidi hat tagelang von nichts anderem gesprochen. Sie freut sich wahnsinnig auf morgen. Und auch wir freuen uns darauf, Tims 20. Geburtstag zu feiern.
Das Bild, das Heidi für Tim gemalt hat, ist ihr zu wenig. Sie will Tim auch etwas "Richtiges" schenken. Im Supermarkt sucht sie eine kleine Kiste Werkzeug für ihn aus. Das Mädchen weiss Bescheid...
Und dann passiert es. Mitten in der Nacht werde ich von Heidis lauten Atemzügen wach. Kurz darauf sitzt sie in ihrem Bett, kriegt keine Luft, hustet, bricht krampfhaft... Wir sind zu Tode erschrocken. Heidi ringt um Luft. Meine Gedanken fliegen direkt zu den Nebenwirkungen des Medikaments, die sich bis zu akut lebensbedrohlichen Zuständen strecken. Schnell den Notdienst anrufen. Als der Krankenwagen ankommt, ist Heidi und somit die Situation etwas ruhiger, aber das Atmen fällt ihr immer noch fürchterlich schwer. Tim, der zu Hause bleibt, ist sehr besorgt, aber wir können ihn schon nach einer Weile von der Notaufnahme aus anrufen und beruhigen. Der Arzt, der Heidi untersucht, ist mehr als sicher, dass Heidi Pseudokrupp hat. "Nur" das, denken wir und sind trotz all Aufregung erleichtert.
Heidi soll nun über eine Maske Sauerstoff und Adrenalin einatmen. Anfangs führt da kein Weg rein, aber so nach und nach überreden wir sie, doch wenigstens ein bisschen zu probieren und da merkt sie, dass es tatsächlich hilft. Es geht ihr augenscheinlich besser und die Lage ist wieder unter Kontrolle. Was kommt nun? Muss Heidi zwecks Observation auf die Krebsstation oder wagen wir zu hoffen, nach Hause fahren zu dürfen? So muss es einfach sein, wir wollen doch Tims Geburtstag feiern und Heidi sehnt sich so danach.
Samstag, den 19. August 2006
Ja, wir haben Glück. Im Morgengrauen sind wir wieder zu Hause, wenn auch nach dem nächtlichen Intermezzo ganz schön kaputt. Als Heidi halb elf aufwacht, geht es ihr gut und sie ist fit genug, sich stark gegen den Hustensaft, den der Arzt verschrieben hat, aufzulehnen. Ach ja...
Wir singen für Tim, überreichen ihm die Geschenke, bereiten das Fest vor. Wieder mal back on track. Als die Gäste kommen, sind wir bereit, und alles ist, als wäre nichts passiert.
Heidi hat viel Spass und spielt mit Matilda und deren Halbschwester Lina bis spät abends. Erst halb eins schläft sie - es dauert nämlich eine gute halbe Stunde, sie zum Einnehmen des Hustensafts zu kriegen. Hilfe, was sollen wir bloß tun? Nach 20 Minuten Überredungsversuchen drohe ich damit, dass wir zum Krankenhaus fahren, damit ihr dort ein Doktor den Hustensaft verabreicht. Und was passiert? Heidi willigt ein. Diese Göre hat einen Willen aus Stahl. Und clever ist sie, Hilfe! Wir haben keine Wahl, ziehen sie wieder an. Verdammt, daran habe ich doch nciht gedacht, dass sie auf dieses Weise Zeit schinden könnte, bevor das Unvermeidliche geschieht. Fertig zum Losfahren mache ich einen letzten Versuch... und es klappt. Sie schluckt den Saft runter. Wie schön wäre es gewesen, mitten in der Nacht noch mal nach Lund zu fahren?
Sonntag, den 20. August und Montag, den 21. August 2006
Bald wird Heidi auch wieder in den Kindergarten gehen können, um sich richtig auszuspielen. Wir müssen diese letzten Sommertage ausnutzen, bevor die erste grosse Erkältungswelle das Land überflutet. Dann muss sie vielleicht zu Hauese bleiben.
Dienstag, den 22. - Donnerstag, den 24. August 2006
Am Donnerstag Abend erwarten wir Gäste: Tante Regina und Onkel Jürgen aus Deutschland kommen endlich zu Besuch. Im März 2005 sahen wir uns das letzte Mal und Heidi ist sehr neugierig auf den Besuch. Wird sie Regina und Jürgen wieder erkennen?
Ja, kein Problem. Sie setzt sich sogar sogar mit an den Tisch, als wir spät am Abend noch ein paar Bratwürste verspeisen. Sonst isst sie nämlich meistens vor dem Fernseher. Nicht so schön, aber das Wichtigste ist ja, dass Heidi überhaupt etwas isst. Es sind so viele Kleinigkeiten, die den Alltag und das ganze Leben so verändert haben.
Freitag, den 25. bis Sonntag, den 27. August 2006
Die Tage mit Regina und Jürgen vergehen viel zu schnell. Wir machen eine Ausflug nach Mölle und Heidi ist über den Leuchtturm und die Aussicht über das Meer entzückt. "Wie schön", ruft sie auf ihre altkluge Art aus. Am zweitbesten sind alle Brombeeren. Die ganze Mannschaft pflückt die ersten reifen Früchte dieses Spätsommers. Fast ausschliesslich für Heidis Mund, wie sollte es anders sein.
Am Sonntag ist es für Regina und Jürgen schon wieder Zeit, nach Hause zu fahren. Heidi spielt am Nachmittag ein paar Stunden mit Felix und wir packen für die nächste Chemo. Die Werte vom Freitag waren gut genug. Der Plan hält also dieses Mal.
Montag, den 28. und Dienstag, den 29. August 2006
Wieder mal Hörtest. Das grosse Mädchen Heidi erklärt Papa ihren Plan: Sie wird allein hineingehen, während Papa draussen im Wartezimmer bleibt. Es ist so lustig, wenn Heidi anfängt, die Dinge in die Hand zu nehmen. Sie sagt das alles, als sei es die normalste Sache der Welt. Sie bestimmt, was und wie?s gemacht wird.
Auf der Krebsstation ist es wie immer. Ein Drama, als die Nadel in den Port muss. Heidi sinkt zusammen, ist aber einigermassen gut gelaunt und verbringt den Nachmittag in der Spieltherapie.
Essen ist kein Vergnügen und das Bisschen, was runter geht, ist zu keinem weiteren Nutzen: Am Abend bricht Heidi richtig schlimm, bis der Magen völlig leer ist.
Die Nacht ist ruhig, aber am Morgen erwacht eine blasse Heidi, der es richtig schlecht ist. Das scheint nun gang und gäbe zu sein. Heidis Körper ist ganz einfach so gebeutelt, dass die Chemos immer belastender werden. Die Medikamente gegen die Übelkeit schlagen nicht mehr genauso gut wie anfangs an. Schaudernd fragen wir uns, wie das später werden soll. Aber was soll's, ein Tag nach dem anderen. Das Jetzt ist anstrengend genug. Wir können es uns nicht leisten, uns auch noch über das Morgen zu sorgen.
Den ganzen Vormittag geht es Heidi hundeelend. Sie will nach Hause. Nur eine kleine Weile kommt sie aus dem Bett, als der Gesang der Frauen von der Spieltherapie auf dem Korridor zu hören ist. Sie kommen manchmal auf die Station, um den Kindern eine Freude zu machen, haben immer einen kleinen Wohnwagen voller Plüschtiere und Märchenfiguren dabei, über die sie Lieder singen. Wirklich toll, wie die das machen.
Als Heidi wieder von ihrer Nadel befreit ist, kehrt ihre Lebensfreude langsam zurück. Mit den Worten: "Ich will Fischstäbchen essen, wenn wir nach Hause kommen." lehnt sie das Klinikmittagessen ab. Zu Hause isst sie dann fast vier Fischstäbchen und zwei grosse Scheiben Wassermelone. Sie badet, spielt und guckt einen Film, schläft zeitig ein, total kaputt.
RÜCKBLICK - JULI 2006
Sontag, der 2. Juli 2006
Blutprobe am Vormittag, unser kleiner Sonntagsausflug nach Lund... Leider ging es heute richtig schlecht. Heidis Tapferkeit war am Boden, während Jan und ich wegen der mangelhaften Fertigkeit der Schwester an die Decke gingen. Wie immer vor einer Blutprobe saß Heidi gespannt wie eine Feder da. Nicht so komisch, der Einstich tut ja ein bisschen weh, auch wenn der Schmerz schnell vorbei geht. Weder die erste noch die zweite Lanzette, die die Schwester mit hatte, funktionierte. Sie musste noch mal los laufen, um eine neue zu holen. Da hatte Heidi schon genug. Als der Stich endlich vorüber war, dauerte es ewig, das Blut aufzufangen. Das bisschen, was im Röhrchen landete, schüttet die Schwester auch noch aus. Dann gerann das Blut und die Probe war dahin. Die Schwester unterbrach das ganze Theater, um neues Zeug zu holen. Neuer Stich, quetschen und drücken... Dauerte es 20 Minuten oder gar eine halbe Stunde? Wir waren rasend. Jan ging in kleinen Kreisen, ununterbrochen mit dem Kopf schüttelnd, sprachlos und traurig. Ich tröstete Heidi und fluchte laut, wenn auch durch zusammengebissene Zähne. So eine Katastrophe! Nun war Heidi beim Blutnehmen so weit gekommen und plötzlich war alles wieder kaputt. Wie schade! Wie kann man nur auf einer Station arbeiten, wo solche Proben gang und gäbe sind und so tolpatschig sein. Unbegreiflich!
Endlich zu Hause gab es zum Glück einen Trost: Kigafreund Felix wartete sehnsüchtig auf unseren Anruf, so dass die beiden spielen könnten.Am Nachmittag warteten wir auf einen Anruf von der Klinik. Sollen wir packen oder nicht? Eine Chemo über mindestens fünf Tage, da wüsste man gern rechtzeitig Bescheid. Wir müssen unsere Arbeitszeiten zusammenpusseln, einer von uns ist ja immer bei Heidi. Sachen und Essen und alles Mögliche rundherum müssen vorbereitet werden. Erst um fünf kam der Anruf. Ja, die Chemo geht trotz weiterhin niedriger Blutblättchen vom Stapel.
Montag, den 3. Juli 2006
Die Nadel in Heidis Port zu kriegen ist schwer. Nach der letzten Blutprobe haben wir nichts anderes erwartet. Aber es geht recht schnell und nach einer Weile hat Heidi sich beruhigt. Nun kommen vier Stunden Prähydrierung, um Heidis Ph-Wert zu erhöhen. Von Anfang bis Ende dieser Chemo wird jeder Tropfen Urin gesammelt. Manchmal kommen 900 ml in sechs Stunden. Da könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Gerenne mit dem Topf ist... Vor allem, wenn man versucht, sich ein bisschen zu bewegen und nicht nur auf der Station ist. Ausserdem warnt Heidi nicht allzu zeitig, dass sie auf Toilette muss. Das ist also eine Geschichte für sich, kann ich euch sagen. Gegen fünf wird Heidi an das Gift, Metothrexat, angeschlossen. Die Infusion dauert 24 Stunden. Gegen Abend wird Heidi müder als sonst und schläft schon um sieben ein.
Dienstag, den 4. Juli 2006
Mama ist auf Arbeit und Tim ist gekommen, um Heidi zu sehen und Papa zu unterstützen. Das Gebäude, wo der Hörtest gemacht wird, liegt ein Stück von der Kinderklinik entfernt, und dahin soll Heidi. Mit dem ganzen Drum und Dran, sprich Infusionsständer. Wegen des Risikos, die Haut zu schädigen, dürfen weder Gift noch Heidis Haut der Sonne ausgesetzt werden. Sie findet es lustig, sich unter ihrem Regenschirm zu verstecken. Sowohl Transfer als auch Hörtest gehen gut. Seit Chemo Nr. acht waren wir unruhig, dass Heidis Ohren gelitten hatten, eine typische Nebenwirkung von "Giftmischung Nr. 4" der Serie (Cisplatin). Aber Heidi hatte neulich auch eine Ohrenentzündung und es war wohl die, die ihr ständiges Was? und Wie? verursacht hat.
Am Nachmittag wird eine Blutprobe entnommen, um die Metothrexatkonzentration im Blut zu kontrollieren. Diese Probe wird alle sechs Stunden entnommen. Der Wert soll unter 0,2 sinken, bevor man nach Hause fahren darf. Das dauert vier bis sieben Tage. Vor jedem neuen Ergebnis sind wir ein bisschen unruhig - wir wollen ja so schnell wie möglich nach Hause kommen. Der Wert kann prima sinken, um dann ganz unerwartet wieder zu steigen und man muss noch da bleiben. Heidi zählt immer die Nächte, die sie im Krankenhaus schlafen muss. Da passt sie scharf auf. Was sagt man ihr nun? Vier bis sieben Nächte??
Mittwoch, den 5. Juli 2006
Als die Kinder nach Hause fahren. ist Heidi total erschöpft. Kaum etwas zu essen, starke Chemo - wieder einmal war ihr Wille ihre Energiequelle.
Donnerstag, den 6. Juli 2006
Am Nachmittag bekommen wir einen heiss ersehnten Bescheid: Unser nagelneuer Wohnwagen ist endlich gekommen! Ende Juni sollte er kommen und nun hatten wir gewartet und gewartet.
Die Metothrexatkonzentration in Heidis Blut sinkt stetig und wir hoffen, dass wir bald nach Hause können. Als die Schwester kurz nach Mitternacht herein kommt und den Spültropf abschaltet, bin ich trotzdem überrascht. Schon? Oh, wie herrlich!
Freitag, den 7. Juli 2006
Jetzt brauchen wir nur noch packen und die Nadel aus dem Port kriegen. Das geht recht gut, Schwester Sofia ist schnell. Danach plappert Heidi wie ein Wasserfall. Ihre Erleichterung, wieder eine Runde geschafft zu haben, ist gross. Nun fahren wir nach Hause! Das klingt wie Musik in Heidis Ohren und sie tanzt und hüpft durch den Korridor.
Zu Hause versuchen wir, schnell das Wichtigste zu erledigen, um dann den Wohnwagen abzuholen. So ein Prachtstück, unser Hobby! Auf den knapp 14 qm gibt es das Meiste. Heidi ist von ihrem Kinderzimmer entzückt, zu dem sie die Tür schliessen und für sich sein kann. Wir sind ganz von unserem Doppelbett mit ordentlichen Federkernmatratzen angetan. Keine Sitzecke, die am Abend zum Bett umfunktioniert werden muss, einfach nur umfallen und schlafen - herrlich! So sauber und praktisch alles ist, die Küche, die Waschecke, die Toilette - wir sind total begeistert. Jetzt können wir jederzeit auf Miniurlaub fahren, genau dann, wenn es uns passt. Der Wohnwagen wird stets auf unserem Grundstück bereit stehen, wenn wir von der Klinik nach Hause kommen, perfekt.
Heidi liebt das Wohnwagenleben und will schon heute Abend in ihrem neuen "Zimmer" schlafen, zu Hause auf dem Grundstück, wohlgemerkt, aber sie ist so aus dem Häuschen und kann nicht einschlafen, darum ziehen wir diese Nacht wieder ins Haus zurück.
Samstag, den 8. bis Montag, den 10. Juli 2006
Stattdessen beladen wir den Wohnwagen am nächsten Tag mit allerlei Schleckerein und Nützlichem und fahren an den Strand nach Lomma. Heidi, die nicht gern lange Auto fährt, braucht sich keine Sorgen zu machen. Im Handumdrehen sind wir da, nur 20 Minuten Fahrt. Die drei Jogginganzüge im selben Modell und in derselben Farbe, so wie es sich für ordentliche Camperfamilien gehört, haben wir uns noch nicht angeschafft. Aber trotzdem verbringen wir einige schöne Tage mitten in der Natur.
Heidi, der es den Umständen entsprechend sehr gut geht, ist froh und munter und geniesst gemeinsam mit uns das freie Leben. Es macht den Eindruck, dass ihre Schleimhäute in einem schlechten Zustand sind. Wenn sie gross macht, kommt ein bisschen Blut, sie übergibt sich auch ein Mal, hat Entzündungen im Mund. Nach einer Metothrexatbehandlung ist Fieber nicht ungewöhnlich, aber Heidi bleibt bei ihren 37 Grad.
Vom ersten Campingausflug des Jahres wieder zu Hause, erledigen wir das Allernotwendigste im Haus und fahren dann zur Schwimmhalle. Tim ist dabei, was den ganzen Nachmittag richtig toll macht. Zu Hause sieht es aus wie nach einem Bombenangriff, aber was soll's...
Morgen geht es nach Kristianstad (ca. 100 km), wo wir ein Open-Air-Konzert mit Heidis Lieblingssängerin Carola besuchen wollen. Aber Heidi weiss noch nichts von ihrem Glück. Wir trauen uns nie, irgendwelche Pläne im Voraus zu verraten. Stellt euch vor, wenn sie Fieber bekommt und statt Carola Klinik angesagt wird. Heidi und nicht zuletzt wir wären so enttäuscht. Erst wenn wir im Auto sitzen, können wir dsas Geheimnis lüften, wohin wir fahren. Und das wird auch Spass machen.
Dienstag, den 11. Juli 2006
Der grosse Tag! Carola live. Wir freuen uns auf den Abend, auch wenn der Rest der Familie die Stones, Neil Young oder Guns N' Roses vorgezogen hätte. Aber nichts geht darüber, Heidi glücklich zu machen. Der Wohnwagen wird angehängt und auf geht es nach Kristianstad. Nach einer guten Stunde sind wir auf dem Campingplatz. Heidi nutzt die Gelegenheit, Tim auf den Spielplatz zu ziehen. Alles wird perfekt, wenn der grosse Bruder dabei ist. Dann fahren wir mit dem Bus in die Stadt, auch ein Erlebnis, wann fährt man schon mal Bus. Das Glück erreicht weitere Höhen als Heidi in der Stadt die Karuselle entdeckt. Sie bummelt über den Rummelplatz und hält nach den etwas aufregenderen Attraktionen Ausschau. Schnell soll es gehen, sagt sie. Nur der Anblick der Todesmaschinen, auf die sie zeigt, dreht uns den Magen um...
Viertel vor sieben stehen wir vor der Freilichtbühne. Zuerst kommt allerdings eine Vorgruppe und wir trösten Heidi die ganze Zeit: gleich, gleich, gleich... Oh, wir warten und warten. Es wird halb neun. Carolas spritziger Aufmarsch ist beeindruckend. Heidi scheint nicht richtig zu begreifen, was da eigentlich los ist. Sie sitzt auf Papas Schultern und sieht sehr nachdenklich aus. Vielleicht fragt sie sich nun, ob nicht auch Fix und Foxi demnächst in echt auftauchen.
Mittwoch, den 26. Juli 2006 - wegen Urlaub geschlossen
Wir haben lange nichts geschrieben, hatten in letzter Zeit zu viel anderes um die Ohren... Gäste, Klinik und Touren mit dem Wohnwagen, wir hatten ganz einfach keine Zeit zum Schreiben. Alles ist einigermassen unter Kontrolle.Freitag, den 14. bis Montag, den 17. Juli 2006
Am nächsten Tag knallt die Sonne wieder erbarmungslos, nichts für Heidis empfindliche Haut. Darum fahren wir alle in die Schwimmhalle. Herrlich - hier sind kaum Leute und sowohl Kinderpool als auch Schwimmbecken haben wir fast für uns allein.
Die Verschiebung führt etwas Gutes mit sich. Die für nächste Woche angesetzte MRT von Schädel und Spinalkanal (Wirbelsäule) könnte dann gleich mit der Chemo verbunden werden. Die MRT erfordert eine Vollnarkose, also muss die Nadel in den Port und die hat Heidi ja bei der Chemo sowieso. Schön, wenn ihr eine Nadel erspart bleiben kann. Das ist ja nach wie vor eine harte Sache.
Dienstag, den 18. bis Samstag, den 22. Juli 2006
Es ist Hochsommer - die Tage sind regelrecht heiss, die Luft steht still, die Sonne brennt schonungslos. Heidi meckert und bettelt - sie will zum See. Aber wir trauen uns das erst zum Abend hin. Heidi muss das ewige "Das geht leider nicht" so satt haben. Die Arme... Sie gibt sich zufrieden, als wir ein kleines, aufblasbares Pool kaufen, in dem sie unter dem schützenden Sonnendach des Wohnwagens planschen kann.
Es geht ihr rundherum ziehmlich gut und sicher ist es nur ihre etwas merkwürdige Frisur, die die Leute reagieren lässt. Nur im Nacken sind nämlich noch ein paar Haarsträhnen übrig, 10 cm lang und etwas dunkler als sonst. Den Rest des Kopfes bedeckt ein dünnes, helles, daunenweiches Babyhaar, das in den letzten Wochen gewachsen ist. Das bedeutet sehr viel für Heidi und immer öfter lässt sie ihre Perücke auf dem Ständer hängen. Und dann erzählt sie eingiebig von einer Zeit ohne Chemo, wenn das Haar wieder lang wird. Wir streicheln ihren Kopf so gern, mit und gegen den Strich, fühlen das weiche Haar... So wunderbar. Auch wenn das Haar im Grossen und Ganzen ziehmlich unbedeutend ist, kann man es doch nicht richtig verdrängen, dass es ein Zeichen von Gesundheit und Wohlbefinden ist. Wie man die Sache auch dreht und wendet, sehen die Krebskinder mit ihren kleinen blanken Glatzköpfen immer irgendwie krank aus.
Sonntag, den 23. Juli 2006
Wir wissen ja sowieso nie, was in den nächsten Stunden passiert. Es wäre schön, ein bisschen mehr planen zu können, wenn es rein praktisch möglich ist. Wie sollen wir Heidi nun wieder auf die Klinik vorbereiten? Vielleicht wird es so oder auch so... Blöd. Das geht so vollständig gegen unsere pädagogischen Prinzipien von klaren Regeln innerhalb eines deutlich begrenzten Rahmens. Kann man alles vergessen. Mist!
Am Abend können wir nicht einschlafen. Die Unruhe kommt schleichend. Was wird die MRT dieses Mal ergeben? Es muss ganz einfach gut sein. Der Magen zieht sich zusammen... Na ja, morgen werden wir sowieso nichts erfahren. Es dauert immer eine Zeit, bis die Ärzte mit den Befunden rausrücken.
Montag, den 24. Juli 2006
Wir fahren zur Klinik. Als Heidi neulich ihre Transfusion bekam, bot sich die erfahrene Schwester der ambulanten Krebsstation an, sich Heidi oder besser gesagt, dem Prozess Nadel in den Port, anzunehmen. Vielleicht eine Möglichkeit, dass es so nach und nach besser gehen kann, wenn es immer diesselbe Person macht, meinte Viveka. Das klang gut, fanden wir. Ausserdem haben die andere Nadeln, die irgendwie besser sind und mit denen alles noch schneller geht. Aber nun ist Viveka auf Urlaub. Darum übernimmt ihre Kollegin Karin den Job. Eine von Heidis Lieblingsschwestern der Krebsstation ist mit dabei und auch wenn Heidi wie gewöhnlich auf alle Art und Weise protestiert, ist alles in einigen Minuten erledigt.
Heute wiegt Heidi 18,6 kg und wir jubeln - sie hat ein weiteres Pfund zugenommen.
Viertel vor zehn rollen wir zur MRT. Nicht dahin, wo wir sonst immer waren, weswegen also auch ganz neue Gesichter auftauchen. Wir erklären dem Personal eingehend, wie Heidi zu behandeln sei: Zieht ihr nicht das hässliche Klinikhemd an, bevor sie schläft, vergesst die Nuckel nicht! Das Personal ist voll dabei. Heidi ist auch ohne das gängige Beruhigungsmittel (was man nie in Heidi rein kriegt) völlig entspannt und schläft friedlich ein. Sie ist so tüchtig!
Um eins werden wir zur Aufwachstation gerufen und nach einer Stunde sind wir auf der Krebsstation, wo die Chemo nun doch auf Heidi wartet, obwohl ihre neutrophilen Granulozyten schlecht sind. Nummer 11 von 28. Einen Schritt weiter.
Dienstag, den 25. Juli 2006
Nach einer sehr unruhigen Nacht erwacht Heidi nicht besonders ausgeruht. Sie hat Bauchweh, ihr ist schlecht, sie bricht. Bekommt mehr "Anti-Übelkeit-Medizin". Doktor Helena kommt mit einem unerwarteten MRT-Befund. Ich will es eigentlich fast nicht hören. Komisch, da ich ja sonst nicht der Typ bin, der den Kopf in den Sand steckt. Kurz und knapp erklärt sie, dass wohl kein neuer Tumor gewachsen ist, aber am Rand des Gebietes, wo Heidi operiert worden ist, sieht man noch irgendwas. Kann eine noch nicht verschwundene Gewebsirritation sein. Die Bilder bedürfen näherer Analyse. Freilich taucht da die Frage wieder auf: Kann es wieder ein Tumorrest sein? Aber weder Jan noch ich fragen weiter. Man kriegt so eine Angst. Einen endgültigen Befund beommen wir bei der nächsten Chemo. Solange werden wir die unruhigen Gedanken so gut wie möglich verdrängen und unser jederzeit quietschvergnügtes und unternehmungslustiges Mädel geniessen.
Mittwoch, den 26. und Donnerstag, den 27. Juli 2006
Heute schmecken weder Essen noch Milch. Und wir dachten, dass die "Drei" die Chemo mit den geringsten Neben- und Nachwirkungen sei. Am Nachmittag fahren wir nach Beddingestrand, natürlich mit dem Wohnwagen. Als wir ankommen, geht es Heidi schlecht und sie bricht ordentlich. Wir spielen eine Stunde am Strand, danach ruht Heidi sich aus und schläft ein. Sie fühlt sich warm an und ja, sie hat Fieber. Was sollen wir tun? Bleiben und abwarten? Das finden wir nicht so gut. Bei 38,5 müssen wir ja in die Klinik.
Dummerweise sind die Batterien im Fieberthemometer schwach. Geht es dann mitten in der Nacht plötzlich nicht mehr, stehen wir da. Besser, wir fahren zurück nach Staffanstorp, wechseln die Batterien, schlafen zu Hause und sind der Klinik etwas näher. Der Wohnwagen bleibt auf dem Campingplatz.
Um acht sind wir zu Hause. Heidi kämpft wie verückt, etwas Wasser zu trinken, aber übergibt sich wieder. Von einer Tablette gegen Übelkeit will sie nichts wissen. Braucht sie nicht, behauptet sie. Stattdessen will sie Hamburger essen. In Windeseile verschwindet dieser in Heidis Bauch. Sie erholt sich, bricht nicht mehr. Das Fieber bleibt auf dem selben Stand. Vielleicht brauchen wir doch nicht in die Klinik? Die Nacht wird unruhig, ich verfolge jeden Atemzug, messe die ganze Zeit Fieber. Am Vormittag ist Heidi fieberfrei. Super! Heidi schafft es. Welche Erleichterung! Wir packen das Fieberthermometer mit den neuen Batterien ein, nehmen auch noch Tim mit und in einer Stunde sind wir auf dem Campingplatz zurück. Back on track, sozusagen.
Freitag, den 28. - Sonntag, den 30 Juli 2006
Wir sind in Ystads Tierpark. Heidi ist von den Kamelen beeindruckt und Tim macht hunderte Bilder von den Tieren. Heidi und Tim sitzen lange bei den Kaninchen, füttern und streicheln sie. Ein schöner Familientag.
Am Sonntag fahren wir nach Hause. Heidi will Linnea anrufen, die sie lange nicht gesehen hat. Die beiden spielen den ganzen Nachmittag zusammen.
RÜCKBLICK - JUNI 2006
Montag Morgen, aber nicht irgendeiner. Heute darf Heidi für einige Stunden in den Kindergarten. Sie ist ganz aufgeregt und kann es kaum erwarten. Aber vorher muss sie noch zur Blutprobe. Zu unserem Erstaunen sitzt Heidi dieses Mal und plappert wie ein Wasserfall, wo sie sonst weint und schreit. Die Vorfreude auf den Kindergarten ist so enorm, dass sie die Blutprobe kaum wahrnimmt. Verrückt!
Im Kindergarten sind alle, Kinder und Erzieherinnen, mehr als glücklich, dass Heidi kommt. Sie ist genau wie alle anderen, spielt aus vollen Zügen und verlebt eine herrliche Woche. Abends ist sie bis 21 Uhr wach. Woher nimmt sie eigentlich all die Kraft, fragen wir uns.Ein besonderes Dankeschön an alle, die in Heidis Kindergarten arbeiten. Danke für all das Engagement und die Hilfe in unserem Kampf. Der Kindergarten ist so wichtig für Heidi. Niemand weiss so richtig, in welchem Umfang das seelische Wohlbefinden den Krankheitsverlauf und die Genesung beeinflusst, aber es wird ja immer wieder hervorgehoben, dass dieser Einfluss nicht unterschätzt werden soll. Dass es Heidi so gut geht, dass sie glücklich und zufrieden ist, hat nicht zuletzt einen grossen Effekt auf Schlafqualität und Appetit, was wiederum eine grosse Bedeutung für den ganzen Prozess hat.
Samstag, den 3. Juni 2006
Chemo Nummer neun. Am Morgen tragen wir den bisher schrecklichsten Kampf aus, um das Betäubungspflaster auf Heidis Port zu kleben. Nun fällt der Hammer: zu Hause machen wir das nicht mehr. Wir müssen Gewalt anwenden und weder Jan noch ich können das noch ein einziges Mal machen. Nächstes Mal fahren wir eine Stunde früher in die Klinik. Eine Stunde mehr oder weniger dort, was soll?s.
In der Klinik stellt ein Arzt fest, dass Heidis Ohren nicht ganz gut aussehen und wir müssen erst mal zum HNO-Arzt. Ohrenentzündung. Heidi ist tapfer und verspricht dem Arzt, das Antibiotikum einzunehmen, was er ihr verschreibt. Na, wir werden sehen...Erst am Nachmittag beginnt die Chemo. Zum Einsetzen der Nadel müssen dieses Mal Papa, Mama und drei Schwestern ran. Heidi hat ihren Ruf auf der Station. Nun werden wir uns mit einem Psychologen und einer Schwester hinsetzen, um das Problem zu besprechen. Viele der Schwestern haben sich schon Zeit genommen, um mit uns über eine mögliche Lösung zu reden. Heidi durfte eine richtige Nadel in ein Port einer Stoffpuppe stechen, sie hat die ganze Prozedur mit Betäuben, Reinigen, Nadel, Pflaster usw. mit Originalausrüstung nachgespielt, aber nichts scheint zu helfen. Vielleicht ist es gut, dass sie so kämpft, ihren Gefühlen Ausdruck verleiht: Ich will das nicht, das werde ich nie akzeptieren. Raus mit dem Frust und dann ist es vielleicht gut. Die Seele unmittelbar säubern, nicht erst warten, bis sich alles als Schlacke absetzt - auf diese Weise gibt es vielleicht keine bleibenden Ablagerungen? Hobbypsychologe Andrea grübelt viel.Am nächsten Tag gegen Abend geht es Heidi schlecht und sie muss mehrmals brechen. Es ist spät, als wir endlich nach Hause kommen. Aber Heidi ist so aus dem Häuschen und froh, aus der Klinik zu sein, dass sie sich erst beruhigt, als wir uns alle um 23 Uhr hinlegen.
Mittwoch, den 7. Juni 2006
Heidi geht es ganz gut, aber Essen und Trinken machen gar keinen Spass. Wie an den meisten anderen Tagen des vergangenen halben Jahres versuche ich es mit allem Möglichen, werfe ein Brot mit Butter weg, eins mit Wurst, das Knäckebrot auch. Schütte den Jogurt ins Spülbecken... Im Kühlschrank stehen gekochte Spirelli und Spaghetti, aber es sollen Makkaroni sein, na gut. Machen wir. Das Wiener Würstchen schmeckt auch nicht. Der Mülleimer ist geduldig. In der Küche fluche ich vor mich hin, lasse den Druck ab, beisse die Zähne zusammen - es ist ja nicht Heidis Schuld. Tief einatmen und dann brate ich zwei Fischstäbchen, feuere Heidi beim Essen an wie ein Trainer den Leistungssportler. Jede Kalorie zählt. So leicht gebe ich nicht auf!
Heute darf Heidi wieder in den Kindergarten gehen, aber nach zwei Tagen so gut wie ohne Essen ist sie doch etwas müde und bleibt nur drei Stunden. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt so viel schaftt, schliesslich sind das starke Gifte, die sie da verabreicht kriegt. Ihr Körper scheint mehr vom Willen als von Kalorien angetrieben zu werden.
Donnerstag, den 8. und Freitag, den 9. Juni 2006
Samstag, den 10. und Sonntag, den 11. Juni 2006
Montag, den 12. Juni 2006
Mittwoch, den 14. Juni 2006
Samstag, den 17. und Sonntag, den 18. Juni 2006
Montag, den 19. Juni 2006
Heidi ist wieder im Kindergarten. Die schlechten Werte merkt man ihr nicht an. Besonders müde wirkt sie nicht. Nur eine Menge blauer Flecken an den Beinen plaudern von schlechten Blutblättchenwerten. Am Nachmittag eröffnen wir die diesjährige Strandsaison und fahren an den Strand nach Lomma (ca. 20 min mit dem Auto). Jedes Jahr aufs Neue ein spezielles Gefühl, dieses erste Mal. Die Sonne, der Sand, das Wasser... Ihr wisst schon. Herrlich.Gleichzeitig sind wir dieses Mal ein bisschen schwermütig. Wie immer neuerdings, wenn wir irgendwohin kommen, wo wir früher mit Heidi waren. In diesem vorigen Leben da. Als aus heutiger Perspektive gesehen, alles so unbegreiflich normal war, als Heidis glückliches Lachen noch nicht diese traurigen Gedanken hervorrief. Diese Plätze erinnern uns so sehr an unsere früheres Leben, das wir so unglaublich vermissen. Wie war das eigentlich, fragen wir uns oft in diesen Tagen. Es ist so lange her.Seit sieben Monaten ist jede Kleinigkeit in unserem Dasein ein grosses Ereignis. Kleinigkeiten, die so alltäglich sind, dass sie eigentlich an einem vorbei gehen sollten. In seinem Bestreben, alle Eindrücke zu speichern, läuft das Gedächtnis ständig auf Hochturen. Das zehr an den Kräften. Wie schön es doch wäre, sich nur mal kurz davon auszuruhen, nur ein einziges Mal... Aber das geht einfach nicht. Wenn auch voller Hoffnung, so sind wir uns doch stets und ständig der grauenvolle Wahrheit über Heidis Krankheit bewusst. Die ist fürchterlich und schwer zu besiegen. Ependymom ist ein Krebs, der den Körper irgendwie nie zu verlassen scheint, der selbst nach vielen, vielen Jahren plötzlich wieder zuschlägt. Nur eines von zwei Kindern schaffen es, meistens mit mehr oder weniger ernsthaften Spätfolgen. Chemotherapie und Strahlung hinterlassen ihre Spuren.
Freitag, den 23. und Samstag, den 24. Juni 2006
Es ist Mittsommer. Wir gehen in den Stadtpark und sehen zu, wie die Mittsommerstange aufgerichtet wird. Heidi mag die Menschenmengen, die Musik, den grossen Teddy, der Bonbons verkauft. Sie fühlt sich wohl in ihrer Perücke, man merkt es ihr an. Viele Worte verliert sie allerdings nicht darüber.Am nächsten Tag kommt Felix zum Spielen rüber. Heidi mag ihren Kindergartenfreund und spielt gern mit ihm. Die beiden haben viel Spass zusammen.
Sonntag, den 25. Juni 2006
Heidi ist ein wenig erkältet. Wie immer fragen wir uns, wie sich das wohl entwickeln wird. Der Gedanke daran, dass es richtig ernst werden kann, erschreckt uns immer. Davon abgesehen ist es überhaupt nicht schön, in den Chemopausen auch noch im Krankenhaus wohnen zu müssen. Eine Tour müssen wir diesen Sonntag allerdings machen, nämlich wegen einer Blutprobe. Die Werte von Mittwoch waren immer noch schlecht. Rote und Blutblättchen wollen einfach nicht aus dem Knick kommen. Aber auch die heutige Probe sieht nicht besser aus. Heidis Knochemark ist wahrscheinlich schon so weit in Mitleidenschaft gezogen, dass die Neubildung von Blutzellen immer mehr gehemmt wird. Und trotzdem hat sie nur neun der insgesamt 28 Chemos bekommen. Wie soll das nur werden? Trotz der schlechten Werte sollen wir am Montag Morgen zur Station kommen. Ein Arzt will sich Heidi und ihre Erkältung ein bisschen näher anschauen. An diesem Abend packen wir die Taschen ohne richtig daran zu glauben. dass aus der Chemo etwas wird. Manchmal können sich die Blutblättchen in zwei, drei Tagen erholen, aber über eine Nacht... Fraglich.
Montag, den 26. Juni 2006
Wir fahren zur Klinik und Doktor Helga untersucht Heidi. Alle ist soweit in Ordnung, nur eine leichtere Erkältung. Die Blutprobe zeigt so ziehmlich diesselben Werte wie gestern. Wenn wir Erwachsenen so wenig Rote hätten, würden wir uns kaum von der Stelle rühren, erklärt Doktor Helga. Aber Heidis Körper scheint sich angepasst zu haben und kommt mit dem Mangel zurecht. Sie ist recht fit und nichts kann sie daran hindern, das Leben zu leben. Wie immer faszinierend.
Mittwoch, den 28. Juni 2006
Wieder eine Blutprobe. Zum dritten Mal hintereinander ging das richtig prima ? kein Schrei, keine einzige Träne. Verblüffend! Nach dem Labor machen wir eine Runde zum Supermarkt, wo Heidi für sich und ihren grossen Bruder Tim Blumen kauft. Ausserdem blieb sie zum hundertzehnten Mal bei den Prinzessinnenkleidern kleben. Das weisse wünschte sie sich so sehr. Na gut... Wenn ihr wüsstet, wie schwer es geworden ist, nein zu sagen.Von der Klinik bekommen wir zu hören, dass Heidis Blutplättchen endlich nach oben gingen, die Roten hingegen noch weiter gesunken seien. Trotzdem ist das Mädchen fit wie immer. Sie ist ja ordentlich erkältet und könnte schon deswegen durchhängen. Aber nein... Am Freitag ist dann jedenfalls die nächste Probe. Wenn der Hb-Wert sich nicht drastisch nach oben bewegt, wird man Heidi eine Transfusion geben. Heidi hat gefragt, ob sie nicht in den Kindergarten gehen kann, aber wegen der Erkältung behalten wir sie lieber zu Hause. Aber ohne Kindergarten ist es langweilig. Heidi macht einen deutlich unterstimulierten Eindruck und ihre Energie reicht bis spät am Abend.
Freitag, den 30. Juni 2006
Die Blutplättchen klettern sachte nach oben. Aber Heidis Hb war lange Zeit zu niedrig und nun soll sie eine Transfusion kriegen. Eine Tour zur Klinik. Dieses Mal kleben wir kein Betäubungspflaster auf Heidis Port, die Haut soll kurz vor dem Einstechen der Nadel mit Eis gekühlt werden. Das Ganze ging recht gut. Die Krankenschwester Viveka auf der ambulanten Krebsstation (da bekommen die Kinder Behandlungen, die keine Übernachtung erfordern) ist routiniert und schnell. Gut, denn dann schafft Heidi es gar nicht, sich so extrem aufzuregen. Während die Schwester die Infusion mit der Portion Blut anschliesst, erkärt sie Heidi, dass sie bald wieder ganz fit und munter sein wird. "Oh, dann bitte nur die halbe Tüte!" scherzen wir. "Heidi ist ja schon jetzt bis halb zehn wach."Nach vier Stunden konnten wir wieder nach Hause fahren. Heidi, die Blut und alles, was damit zu tun hat, überhaupt nicht mag, war stolz wie ein Hahn, als sie ihrem grossen Bruder Tim von der Transfusion erzählte. "Weisst du, was ich heute gekriegt habe?" platzte sie in sein Zimmer hinein. "Blut!!!"
Am Nachmittag fuhren wir zu "Bokskogen" (Buchenwald, ein beliebtes Erholungsgebiet in der Nähe von uns), wo Heidi x Mal über die Abenteuerbahn gehen, klettern und hangeln durfte. Nach zwei Stunden waren es dann doch wieder wir, die müden Eltern, die den Vorschlag machten, nach Hause zu fahren.
RÜCKBLICK - APRIL UND MAI 2006
Mittwoch, den 5. April 2006
Der Verdacht wird zur Gewissheit: Die MRT-Bilder zeigen einen Tumor oder Tumorrest am Rand des im Dezember operierten Gebietes. Eine weitere Operation? Handelt es sich um einen Rest oder ist der Tumor neu gewachsen? Letzteres ist ein äusserst erschreckender Gedanke. Das würde bedeuten, dass die Chemo nicht anschlägt. Welche Alternative gibt es dann? Es geht uns ziehmlich mies, aber wir versuchen, es so gut wie möglich zu verdrängen. Heidi wird es schaffen. Basta.
Donnerstag, den 7. und Freitag, den 8. April 2006
Zeit für ein bisschen Unterhaltung. Wir fahren alle vier nach Växjö, wohnen flott im Scandic-Hotel und machen uns einen schönen Abend. Heidi ist glücklich, als sie im Hotelpool badet. Am nächsten Tag probieren wir erst allerlei lustige Sachen in einer Experimentausstellung um uns später im Abenteuerbad der Stadt zu aalen. Die schwedische Kinderkrebshilfe hatte zu diesem Tag eingeladen. Heidi geniesst das Abenteuerbad, Mama, Papa und der grosse Bruder laben sich an Heidis riesiger Freude.
Dienstag, den 11. bis Samstag, den 15. April 2006
Chemo Nr. sechs. Das Einsetzen der Nadel in Heidis Port ist wieder ein Drama. Ansonsten geht es ganz gut, aber wie immer isst Heidi noch weniger als sonst. Nachts schläft sie unruhig, bricht, kratzt sich ununterbrochen die Brust. Die grossen transparenten Pflaster, die über dem Port mit Nadel und Schlauch kleben, reizen die Haut und führen zu einer Art Nesselausschlag, der sich schnell über Hals und Bauch ausbreitet.
Dieses Mal sinkt der Metothrexatgehalt nicht so gut und wir müssen bis Samstag Abend in der Klinik bleiben. Bevor wir entlassen werden, bekommt Heidi noch eine Transfusion mit roten Blutkörperchen, da ihr Hb-Wert unter dem Grenzwert 100 liegt. Heidi bricht. Manche Schwestern meinen, dass es einem von der Transfusion übel werden kann. Aber es kann auch die Angst vor dem Rausmachen der Nadel sein. Wer weiss. Jedenfalls gehen das ganze Mittagessen und die Milch, die Heidi vorher getrunken hat, zum Teufel. Kalorien, um die Heidi so gekämpft hat...
Sonntag, den 16. und Montag, den 17. April 2006
Wir besuchen unsere Freunde Johan und Helena in deren Wochenendhäuschen draussen auf dem Skåne-Lande. Heidi scheint es nicht besonders gut zu gehen, aber sie läuft trotzdem ein gutes Stück mit uns durch die Frühlingssonne.
Dienstag, den 18. April 2006
Es dauert lange, bis der Neurochirurg Nils Stål Zeit hat, sich Heidis MRT-Bilder anzusehen. Heute bekommen wir endlich Bescheid. Und ja, es soll eine zweite Operation durchgeführt werden. Heidi braucht aber mindestens eine Woche, um sich von der letzten Chemo zu erholen. Obwohl alle ihre Werte richtig schlecht sind, ist sie putzmunter, isst gut (am liebsten bei McDonalds), geht zum Turnen, spielt draussen mit den Kindern im Kindergarten und ihre Freunde Linnea, Amanda und Cornelia kommen zu uns zum Spielen.
Mittwoch, den 26. April 2006
Wir fahren zur Kinderklinik, werden wie alte Bekannte auf der Kinderneurologie aufgenommen. Morgen wird Heidi zum zweiten Mal operiert. Zum Glück sind ihre Werte wieder besser.
Der Neurochirurg Nils Stål kommt auch dieses Mal, um mit uns über die Operation zu reden. Seiner Meinung nach ist es ein Rest und kein Problem zu operieren. Er scheint seiner Sache sicher zu sein, obwohl der Tumor ziehmlich tief im Kopf liegt. Man wird noch einmal dieselbe Stelle im Schädel öffnen und ein hochentwickeltes Navigationssystem verwenden, um an den Tumor heranzukommen. Während Nils mit uns spricht, hält er Heidi fest in seinem Arm. Heidi hatte gerade die Nadel in den Port bekommen und schluchzt immer noch. Heidis Lieblingsschwestern Katarina und Malin sind wegen Heidis Widerstand ganz verzweifelt. Nils nimmt sich Zeit. Er wird sein Bestes geben. Das wissen wir. Auch wenn es unsagbar weh tut, wissen wir, dass Heidi in seinen Händen gut aufgehoben ist.
Donnerstag, den 27. April 2006
Um 6 Uhr ist Wecken, Heidi soll einen ekligen roten Saft (vorbeugendes Antibiotikum) trinken, aber sie kriegt ihn nicht runter. Ansonsten muss sie ja nüchtern sein. Nochmal zum Duschen, dann wird sie zur MRT gerollt, die vor der OP gemacht werden soll. Heidi wird für die Narkose vorbereitet. Wir kennen das nun schon recht gut und fühlen uns relativ ruhig. Auch Heidi macht einen entspannten Eindruck. Mit einem grossen, genussvollen Gähner sinkt sie in den Schlaf.
Alle Erinnerungen an Heidis erste Operation werden wieder wach. Wie wird es dieses Mal gehen? In welchem Zustand bekommen wir sie zurück? Wie wird sie reagieren? Wir fühlen, wie sich der Magen zusammenzieht. Die Gedanken wandern immer wieder zum 13. Dezember zurück.
Auch dieses Mal gehen wir in die Stadt, um etwas für Heidi zu kaufen. Auf dem Markt erstehen wir einen verzückenden Biedermeierstrauss mit rosa Rosen. Wir kaufen Goldspray, um den Strauss zum Glitzern zu bringen. Finden ein paar hübsche Kleider, einen Bikini in schimmernden Regenbogenfarben, niedliche Kopftücher, selbstverständlich in rosa und silber. Die ganze Zeit reden wir über Heidi, immer wieder über die selben Sachen, überlegen, was sie am liebsten mag. Das ist eine Art Therapie. Unser wunderbares kleines Mädchen. Warum nur?
Um die Mittagszeit gehen wir zurück zur Kinderneurologie. Wir müssen ganz einfach in Heidis Nähe sein. Das Warten ist nervenzerreibend. Schon um halb drei erfahren wir, dass die Operation beendet und nur noch eine abschliessende MRT übrig sei. Allerdings würde man Heidi unmittelbar ein weiteres Mal operieren, wenn die Bilder noch immer Tumorreste zeigen würden. Trotzdem gehen wir zur Intensivstation, um auf Heidi zu warten.
Um halb vier rollt man ihr Bett auf den Korridor. Heidis Kopf steckt, wie das vorige Mal, in einem riesigen Turban. Sie sieht gut aus, redet ein bisschen, hat Schmerzen, bekommt Morphium, übergibt sich immer wieder bis Mitternacht. Sie hat superhohes Fieber, Puls und Atmung gehen in einem rasenden Takt. Beängstigend. Ein Arzt wird gerufen. Gehirnhautentzündung? Heidi bekommt unmittelbar ein starkes, flächendeckendes Antibiotikum. Fieber und Puls beruhigen sich ein bisschen.
Den Rest der Nacht sieht Heidi Zeichentrickfilme, macht ein Nickerchen. Die Schwestern auf der Intensivstation sind nett und aufmerksam und die kleinen Patienten scheinen definitiv bevorzugt zu werden. Mein Bett steht direkt neben Heidis. Im Morgengrauen schlummere ich ein, schlafe ein paar Stunden. Die Schwester ist stolz, dass Heidi sie Fieber messen liess, ohne dass ich dabei war.
Freitag, den 28. April 2006
Am Vormittag geht es Heidi bedeutend besser, sie redet und isst ein wenig Eis. Nur einige Stunden später dürfen wir die Intensivstation schon verlassen. Auf dem Weg zur Neurologie verlangt Heidi etwas zu Essen, knabbert eine Scheibe Knäckebrot mit Butter und bestellt Chicken Nuggets von McDonalds. Papa organisiert in Windeseile und Heidi futtert drei Nuggets und trinkt das halbe Paket Milch. Was für ein Start!
Gegen Abend, als es langsam Zeit für eine weitere Injektion Morphium ist, verrät Heidis Körpersprache, dass sie starke Schmerzen hat, aber wie immer gibt sie nichts zu. So ein Dummerchen, sie hat doch die Nadel und den Schlauch im Port, da ist es doch nicht so schlimm, Medikamente zu kriegen. Im selben Moment, da das Morphium in Heidis Adern dringt, weicht die enorme Anspannung ihres Körpers und sie beginnt wie aufgezogen zu plappern.
Kurz darauf will sie zum Spielzimmer. Knapp 30 Stunden nach der Operation bewegt sie sich völlig normal, kann ohne Stütze gehen und kocht am Spielherd die erste Portion Essen.
Samstag, den 29. April 2006
Es geht weiter mit Morphium und Antibiotikum. Heidis CRP ist hoch. Am Vormittag wird sie ihren Druckförband los. Den musste sie das vorige Mal drei Wochen lang auf dem Kopf behalten. Am Nachmittag bekommen wir Ausgang, auch wenn es nur zum Ronald McDonald Haus auf dem Klinikgelände ist, wo Papa ein Übernachtungszimmer hat. Heidi fühlt sich gut. Endlich kommt auch ihr grosser Bruder Tim. Heidi ist seelig, mit ihm spielen zu können. Sonntag, den 30. April 2006
Der letzte Tag mit Morphium. Heidi geht es prima. Nur ein Netz auf dem Kopf, das zwei Kompressen über der langen Wunde festhält, verrät, dass irgendwas mit dem Kopf passiert ist. Total unglaublich! Schliesslich war es eine komplizierte Operation mit einer recht grossen Öffnung. Es ist so wunderbar, Heidi zu sehen. Vor der Operation wussten wir nicht, ob sie nach drei Tagen oder drei Monaten wieder auf den Beinen stehen würde. Die kleinste Komplikation kann zu enormen Problemen führen, empfindliche Stellen im Gehirn könenn gereizt werden und es kann lange dauern, bis sich alles wieder beruhigt hat.
Montag, den 1. Mai 2006
Ausgang am Nachmittag - wir fahren nach Hause nach Staffanstorp. Herrlich! Fast zu schön, um wahr zu sein.
Dienstag, den 2. Mai 2006
Heidis CRP-Wert fällt stetig. Alles deutet darauf hin, dass wir heute nach Hause fahren können. Leider ist Heidis Port irgendwie verstopft und es bedarf eines besonderen Arzneimittels, um das wieder in Ordnung zu bringen. Der ganze Tag geht ins Land, bevor wir entlassen werden. Aber schliesslich sind wir zu Hause und Heidi kann die Nacht vor ihrem Geburtstag in ihrem eigenen Bett schlafen. Am Donnerstag auf dem OP-Tisch, am Dienstag zu Hause. Verrückt.
Tausend Mal hatte Heidi gefragt, wie viele Male sie noch bis zu ihrem Geburtstag schlafen müsste. Tausend Mal haben wir wage mit den Fingern herumgefuchtelt. Wir wollten Heidis grossen Tag ganz einfach nicht im Krankenhaus feiern. Der Geburtstag war ja nur knapp eine Woche nach der Operation und darum hatten wir uns voll darauf eingestellt, den dritten Mai dieses Jahr etwas zu verschieben. Wochenlang hatten wir Heidi gesagt: Erst wirst du operiert, dann wird es draussen warm, und dann hast du Geburtstag. Und genau so kam es! Gerade nach Hause gekommen, mussten wir diesen Abend eine ganze Menge erledigen. Die Geschenke mussten eingepackt, Unmengen Ballons aufgepustet, die Erdbeertorte gebacken werden.
Mittwoch, den 3. Mai 2006
Der ersehnte Tag ist da. Heidi hat Geburtstag. Sie ist seelig! Packt ihre Geschenke aus und findet genau das, was sie sich so gewünscht hat. Wochenlang hatte sie von dem grossen Lastauto gesprochen, das einen grossen Karton voller Spielsachen an unserer Haustier abgeliefert hatte. So ein Glück, dass wir den deutschen Internetversand, der auch nach Schweden liefert, gefunden hatten. Heidi guckt nämlich sehr viele deutsche Kinderprogramme über Satellitfernsehen und da wird ja so viel Werbung gezeigt. Leider gibt es viele der Dinge nicht in Schweden oder es dauert viel länger, bis sie in unsere Geschäfte kommen. Es hat solchen Spass gemacht, Heidi zuzuschauen, wie sie ein heiss ersehntes Spielzeug nach dem anderen auspackt. Dass wir mehr oder weniger in Spielsachen ertrinken, ist eine ganz andere Geschichte.
Heidi hat heute eine sagenhafte Energie. Am Abend will sie im Restaurant essen gehen. Machen wir doch glatt. Was für ein Tag!
Freitag, den 5. bis Sonntag, den 7. Mai 2006
Rummelplatz in Staffanstorp. Heidi geht es ausgezeichnet. Sie fährt wie eine Wilde Karusell und kann kaum genug bekommen. Vor nur einer Woche operiert und nun saust sie durch die Luft und dreht sich in Colabechern. Es ist einfach nicht zu fassen! Ganze 21 Karusellrunden fährt sie an diesem Wochenende.
Montag, den 8. Mai 2006
Dienstag, den 9. Mai 2006
Heute ist Heidi im Kindergarten (eine Stunde ganz ohne Mama oder Papa). Sie isst mit den Kindern Mittag und lädt sie auf ein Eis ein. Die Kinder singen ?Hoch soll sie leben? und Heidi bekommt ein Geschenk. Ausserdem haben die Erzieherinnen aus Bildern und Fotos aller Kinder ein wunderschönes Buch über den Alltag im Kindergarten gebunden. Heidi ist glücklich, nicht zuletzt darüber, dass es herrliches Wetter ist und wir am Nachmittag Oma und Horst aus Deutschland erwarten.
Mittwoch, den 10. und Donnerstag, den 11. Mai 2006
Die Chemo geht wieder weiter. Nummer sieben steht auf dem Programm. Am Nachmittag besuchen Oma und Horst uns in der Klinik. Wir zeigen ihnen die Spieltherapie und laden sie zum Kaffeetrinken in die Cafeteria ein. Heidi verbringt eine unruhige Nacht, zuckt und ruckt ständig, beruhigt sich dann aber, als ich mich mit zu ihr ins Bett lege. Von Essen will sie nichts wissen. Sie hat Bauchschmerzen. Sicherlich spuken die Magenschleimhäute und Därme. Trotzdem hat Heidi strahlend gute Laune. Schwester Yvonne, die die Nadel aus dem Port nimmt, ist super. Es geht blitzschnell, so dass Heidi es kaum schafft, Angst zu kriegen.
Wir fahren nach Hause, wo Heidi ein sonnenüberfluteter Garten, Oma, Horst und viele Stunden Spiel und Spass mit dem Nachbarskind erwarten.
Sonntag, den 14. Mai 2006
Montag, den 15. bis Freitag, den 19. Mai 2006
Samstag, den 20. Mai 2006
Sonntag, den 21. Mai 2006
Wieder zu Hause ruft die Klinik an um mitzuteilen, dass die Probe nichts geworden ist, weil das Blut geronnen ist. Also wieder nach Lund, neue Probe. Die arme Heidi. Wieder zu Hause zeigt die Uhr fünf. So kann ein Sonntag aussehen.
Montag, den 22. bis Donnerstag, den 25. Mai 2006
Chemo Nr. acht. Zuerst ein Test, ob Heidis Gehör noch in Ordnung ist. Ja, sie hört immer noch sehr gut. Die Waage zeigt 17,4 kg an - gut, sie wiegt immer noch so viel wie im Dezember. Darauf sind wir mächtig stolz. Ihr ahnt nicht, wieviel Kraft und Zeit wir investieren, Heidi mit Kalorien zu versorgen. Sie ist wieder gewachsen und misst nun 105,5 cm - ein grosses Mädchen.
Dieses Mal ist es ruhiger auf der Station. Schön. Wir fühlen uns wieder sicherer. Alles geht so weit gut, auch wenn Heidi ziehmlich k.o. ist und sie hin und wieder brechen muss. Am letzten Tag, als nur noch Spültropf ansteht, bekommen wir einen Spezialrucksack für den Tropf. Auf dieses Weise brauchen wir den Infusionsständer nicht herumschieben und werden bedeutend mobiler. Wir setzen Heidi in ihren Wagen und machen einen Spaziergang zur Stadt. Herrlich, ein bisschen frische Luft zu kriegen, findet auch Heidi. Sie wirkt glücklich.
Die Nacht wird hart, Heidi muss sich immer wieder übergeben. Sie ist so tüchtig. Ruft mich schnell, damit ich es rechtzeitig schaffe, ihr den Spuckbeutel hinzuhalten. Sie weint nicht, sie beklagt sich nicht.
Endlich bekommen wir Bescheid, dass die Ärzte der Meinung sind, dass der im April operierte Tumor als ein Rest des im Dezember entfernten Klumpens anzusehen sei. Das Chemo-Programm soll wie geplant weiterlaufen. Gute Nachrichten.
Freitag, den 26. bis Sonntag, den 28. Mai 2006
Wunderbare Tage zu Hause. Heidi spielt sechs Stunden lang mi ihrer Freundin Smilla bei uns. Am nächsten Tag besucht sie Emma und am Tag darauf kommt Emma zu uns. Volles Ballett. Es ist so wichtig, dass Heidi sich mit ihren Freunden treffen kann. Man kann sich wirklich nicht vorstellen, dass die Verbindungen zu den Kindergartenfreunden so stark sind. Manchmal, wenn wir zum Kindergarten gehen, sind sogar die Allerkleinsten ganz aus dem Häuschen. Sie kleben am Zaun und rufen nach Heidi. Viel mehr können sie nicht mit Worten sagen, aber es ist so deutlich zu hören und zu sehen, wie sehr sie Heidi vermissen. Das berührt einen schon ganz schön.
RÜCKBLICK - JANUAR BIS MÄRZ 2006
Viele fragen sich wohl, wie wir zurecht kommen. Tja, was soll ich sagen. Es ist schwer. Wir leben nach dem Prinzip "Einen Tag nach dem anderen". Auf eine Weise, auf die man normalerweise nicht lebt. Erlauben uns nicht nachzufühlen, wie es uns geht. Bloss nicht zu viel grübeln. Wir dürfen uins nicht unterkriegen lassen. Wegen Heidi. Sie braucht starke und glückliche Eltern. Das werden wir sein. Punkt, aus, Schluss! Unsere Gefühle können wir dann immer noch analysieren, wenn alles wieder gut ist. Und es muss alles wieder gut werden. Wir haben eingesehen, dass wir nicht mehr so wie andere sind. Wir leben auf einem anderen Planet, sind wie kleine grüne Männchen. Jenseits des normalen Daseins. Aber wir werden uns durchbeissen, wir werden es schaffen, egal wieviel Kraft es kosten mag, wenn wir nur unser kleines Mädchen behalten dürfen.
Januar 2006
Der Neurologe Dr. Johan hat nun von seinen internationalen Kollegen Bescheid erhalten, wie Heidis Krankheit behandelt werden soll. Die Pathologen haben festgestellt, dass es sich bei Heidis Tumor um ein sog. anaplastisches Ependymom handelt, Grad III auf der viergradigen, die Bösartigkeit betreffenden WHO-Skala. Wir hatten auf Grad II gehofft, na ja...Wir haben ein Gespräch mit Heidis behandelndem Arzt Dr. Helena und erfahren mehr über den Behandlungsplan. Jede zweite Woche Chemotherapie, jedes Mal ein Kilinkaufenthalt von 2 bis 5 (oder mehr) Tagen. Vier verschiedene Chemotherapien bilden sozusagen eine Serie. Heidi soll sieben dieser Serien bekommen, insgesamt also 28 Chemotherapien. Wahnsinn.Die Zahl der Nebenwirkungen ist gross. Viel Übelkeit und Erbrechen. Überall im Körper werden die Schleimhäute geschädigt. Die Funktion von Nieren und Herz sowie Heidis Gehör kann beeinträchtigt werden. Sie wird ihre Haare verlieren. Schwer für eine kleine Prinzessin und Schlagerdiva wie Heidi. Auch wenn die Haare das kleinste Problem sind, die wachsen ja wieder. Heidi weiss das. Aber sie hat doch Angst, wie ein Junge auszusehen. Nun waren wir beim Frisör, um ihre langen Zöpfe zu einem frechen Pagenschnitt zu verwandeln, damit es nicht so dramatisch wird, wenn ihr plötzlich die langen Haare abfallen.
Das liegt nun also vor Heidi, vor uns allen. Es fühlt sich so schwer an. Alle diese Gifte und Medikamente, alle diese Nebenwirkungen. Das tut so weh! Ewig die Taschen packen, Heidi zur Klinik bringen. Wieder und wieder. Ihre Angst sehen, ihre Tränen trocknen, die eigenen herunterschlucken, gegen die Angst kämpfen... Wie soll das nur gehen?
Mittwoch, den 18. und Donnerstag, den 19. Januar 2006
Die erste Chemo. Nur eine Übernachtung. Über den Porth-a-cath, der Heidi im Dezember unterhalb des rechten Schlüsselbeins einoperiert worden war, bekommt sie erst die Chemogifte Vincrsitin und Carboplatin, dann noch 24 Stunden Spültropf. Ihr ist übel, sie übergibt sich enige Male, sonst schafft sie es ganz gut. Am schlimmsten ist das Einsetzen und Rausholen der Nadel in den Port. Die Prozedur bedarf uns Eltern und mindestens zwei Schwestern. Heidi kämpft aus voller Kraft. Hinterher ist sie völlig nassgeschwitzt und erschöpft. 56 Mal. Mit grosser Wahrscheinlichkeit noch viel öfter. Ich weine, während ich Heidi wie in einem Schraubstock festhalte. Ach, wie das weh tut! Wenn sie das alles doch bloss nicht erleben müsste!
Montag, den 23. Januar 2006
Wir besuchen Heidis Kindergarten, damit sie ein bisschen mit den Kindern spielen kann. Natürlich nur draussen. Es ist Schnupfenzeit und wegen des geschwächten Immunsystems ist das Infektionsrisiko hoch.
Mittwoch, den 25. Januar 2006
Heidi wird krank. Fieber über 38,5 Grad - das bedeutet immer eine Tour in die Klinik. Blutproben und Lungenröntgen, um die bei Chemopatienten gefürchtete Lungenentzündung auszuschliessen. Heidi fühlt sich mieserabel und nur allein das Rausstrecken der Zunge wird zum Drama. Das Röntgen ist noch schlimmer. Die arme Maus! Alles ist doch so weit in Ordnung und vier Stunden später können wir wieder nach Hause fahren.
Das Fieberthermometer liegt nun ständig in Reichweite. Es ist sehr schwierig, Heidi zum Essen und Trinken zu bewegen. Die Kiefer tun ihr weh, der Hals schmerzt, sie bricht... Die Därme wollen nicht arbeiten, eine andere Nebenwirkung. Heidi weigert sich, Medikamente für die geschädigten Mundschleimhäute und die trägen Därme zu nehmen. Es muss ohne gehen. Noch mehr Misshandel können wir einfach nicht ausüben. Wie Misshandel fühlt sich das alles nämlich an.
Dienstag, den 31. Januar bis Samstag, den 4. Februar 2006
Die zweite Chemo, Vincristin und Metothrexat. Eine harte Geschichte, die dem Körper mächtig zusetzt, deutlich an Heidis Gesicht zu sehen. Nach 24 Stunden Metothrexatinfusion bekommt Heidi Spültropf, bis der Metothrexatgehalt in ihrem Blut auf ein bestimmtes Niveau (unter 0,2) gesunken ist. Dieses Mal dauert das fünf Tage. Heidi muss ständig auf Toilette und jeder Tropfen Urin muss zwecks Mengenkontrolle aufgehoben werden. Heidi ist ein Kämpfer und liegt nur zum Schlafen in ihrem Bett. Sonst ist sie auf den Beinen und spielt. Mit gut zwei Metern Schlauch zwischen Infusionsständer und Heidi folgen wir jeden ihrer Schritte. Stunde für Stunde. Am liebsten geht sie zur "Spieltherapie" - eine von Pädagogen betreute Spieloase in der Kinderklinik, wo es Unmengen Spielzeug und Bastelmaterial gibt. Wie würden wir die Tage ohne Spieltherapie über die Runden bringen?
Wieder zu Hause geht der Kampf weiter, Heidi zum Essen und Trinken zu kriegen. Die Situation erinnert daran, ein an Magengrippe erkranktes Kind zu pflegen. Mit dem Unterschied, das es nicht in ein paar Tagen vorbei ist. Das zehrt an unseren Kräften. Gleichzeitig tut Heidi uns so leid. Es ist ja nicht ihre Schuld, dass das Essen eklig schmeckt, dass der ganze Mund voller Blasen ist usw. Trotzdem reden wir die ganze Zeit auf sie ein.
Manchmal fragen wir uns, wie es Heidi eigentlich geht. Mitunter fühlt sie sich bestimmt total mies. Wir Erwachsenen würden wahrscheinlich im Bett liegen und uns nicht von der Stelle rühren. Aber Heidi gibt nicht auf. Immer auf den Beinen.
Am Wochenende kommen ihre Kindergartenfreunde Oskar, Anna und Amanda zum Spielen zu uns.
Freitag, den 10. Februar 2006
Am Nachmittag bekommt Heidi Fieber und um 23 Uhr müssen wir sie aus dem Schlaf reissen, um in die Klinik zu fahren. Freitag Abend... Hohes Fieber, Erbrechen, niedriger Hb-Wert und wenige Blutblättchen, hoher CRP. Wieder zum Lungenröntgen, eine Transfusion mit roten Blutkörperchen, eine Transfusion mit Blutplättchen, Antibiotika. Auch die weissen Blutkörperchen liegen sehr niedrig und die sog. neutrophilen Granulozyten (Teil der weissen) sind so schlecht, dass sie nicht mehr messbar sind. Aber neutrophile Granulozyten können nicht über eine Transfusion gegeben werden, die muss der Körper selbst produzieren.
Sonntag, den 12. Februar 2006
Wir bekommen Ausgang und können den Nachmittag zu Hause verbringen. So geht es eine Woche lang. Heidi geht es immer besser, sie spielt mit ihrer Freundin Linnea und geht sogar zum Turnen. Eine Stunde lang Springen, Hüpfen und Purzelbäume und im Port unter dem Pullover hat Heidi ihre Nadel und den Schlauch mit allem Drum und Dran. So ein Kämpfer! Wir warten darauf, dass die Weissen wieder auf die Beine kommen, damit die dritte Chemo vom Stapel gehen kann. Das dauert eine Woche länger als geplant. Die erste Verzögerung...
Montag, den 20. Februar 2006
Dritte Chemo, Vincristin und Cyklophosfamid. Nur eine Übernachtung. Schön, nach all der Zeit, die wir in den letzten Wochen im Krankenhaus verbracht haben.
Dienstag, den 21. Februar 2006
Diesen Morgen stirbt Jans Vater. Nicht unerwartet, aber trotzdem sind wir sehr traurig. Im September hatte man die Diagnose Lungenkrebs mit Metastasen in einer Nebenniere und später dann auch im Gehirn erstellt. Für Heidi ist Opa Berndt im Himmel. Wir reden mit Åse, Sozialpädagogin in der Kinderklinik, die uns während Heidis Krankheit betreut. Eine prima Frau. Wir fühlen uns unsicher, wie wir Heidi den Tod von Jans Vater erklären sollen und Åse hilft uns, verschiedene Alternativen gegeneinander abzuwiegen. Wir haben Angst, dass Heidi Parallellen zwischen sich und dem Opa ziehen würde. Wieder und wieder erklären wir ihr den Unterschied zwischen einem älteren Menschen und einem Kind, hoffen, dass sie es uns auch wirklich abkauft.
Donnerstag, den 23. Februar bis Montag, den 6. März 2006
Heidi erholt sich dieses Mal recht gut, aber Essen und Trinken fällt ihr schwer. Ihr Geschmackssinn ist total verdreht. Sie mag nichts Süsses mehr, Schokolade und Kakaomilch können wir abhaken. Wir geben ihr alles, wonach sie fragt. Am liebsten soll es dann sofort auf dem Tisch stehen. Drei verschiedene Nudelsorten, gekochte Kartoffeln und Heidis Lieblingssuppe (Fleischklösschen-Tütensuppe von Knorr) sind jeder Zeit fertig. Viele andere Dinge stehen im Kühlschrank und im Tiefkühlschrank. Das ist eine Logistik! Wir werden alle Kräfte aufbringen, um Heidi vor der Ernährung über eine Sonde (Schlauch in der Nase bzw. in den Magen einoperiert) zu bewahren. Einstweilen hält sie ihre 17 kg, die sie im Dezember hatte.Sie ist den ganzen Tag bis spät abends auf den Beinen. Das ist wirklich herrlich und wir sind dankbar dafür. Viel Zeit zum Entspannen bleibt uns allerdings nicht. Das ist anstrengend. Arbeiten, Hausarbeit, Heidi... mehr schaffen wir nicht. Fernsehen ist reiner Luxus.
Einen Nachmittag spielen wir im Kindergarten: Schneeballschlacht mit Anna, Minnea und Smilla.
Zwei Mal jede Woche müssen wir zum Blutabnehmen ins Labor. Heidi hasst das. Wie immer macht sie kein Geheimnis daraus. Marita im Labor ist gschickt, geduldig und nett. Trotzdem ist es immer ein Kampf. Heidi schreit und wehrt sich. Wir werden immer so traurig. Gott sei Dank hat Heidi alles immer schnell wieder vergessen. Vielleicht gewöhnt sie sich eine Tages daran. Vielleicht...
Dienstag, den 7. März 2006
Auch die vierte Chemo wird um eine Woche verschoben. Wir kommen mit Sack und Pack in die Klinik, haben ein Betäubungspflaster auf Heidis Port geklebt und erfahren, dass Dr. Helena die Chemo wegen schlechter neutrophilen Granulozyten nicht zulässt. Am Abend vorher hatte ein anderer Arzt der Behandlung zugestimmt. So viel unnötiger Stress für uns alle, besonders für Heidi. Nur allein das Betäubungspflaster auf Heidis Port zu kleben ist ein Kampf, der Heidi fürchterlich aufregt. Ich selbst weine dann auch noch, wiege Heidi in meinem Schoss, bemitleide sie und uns und fluche laut über unser elendiges Schicksal.
Wir fahren also wieder nach Hause, um auf bessere Werte zu warten.
Dienstag, den 14. bis Freitag, den 17. März 2006
Alle Werte in Ordnung - die vierte Chemo. Die dauert insgesamt vier Tage. Erst 48 Stunden nonstop Cisplatin und dann Spültropf. Auf der Station ist es dieses Mal noch stressiger. Es kommt zu weiteren Ausrutschern. Als die Cisplatininfusion nach zwei Stunden Prähydrierung (Tropf) beginnen soll, ist das Cisplatin für Heidi nicht zu finden. Irgendwie weg. Erst nach zwei Stunden ist die neue Ladung da.
Dann, nach 24 Stunden, muss eine neue Tüte dran. Aber die hatte eine Schwester am Vormittag aus Versehen in den Kühlschrank gelegt. Darum kommt es zu weiteren zwei Stunden Warterei, dieses Mal also mitten in der Chemo. Wie ich mich aufgreregt habe. Was hilft es mir, dass der Zwischenfall gemeldet wurde. Die Schwestern scheinen zeitweise völlig überlastet zu sein. Da fühlt man sich nicht gerade geborgen. Andere Eltern berichten von ähnlichen Dingen, was das Ganze nicht besser macht. Wir versuchen, alles, was mit Heidi gemacht wird, ein bisschen zu überwachen. So gut, wie es gut und in dem Ausmass, wie wir uns auf die Dinge verstehen. Schade, dass man auch noch dieser Belastung ausgesetzt sein muss.
Die Chemo ist schwer. Heidi sieht total kaputt aus. Aber sie ist trotzdem fast die ganze Zeit auf den Beinen, spielt und will beschäftigt werden. In der letzten Nacht geht es ihr nicht gut und sie muss trotz des starken Medikaments, das sie immer vorbeugend bekommt, brechen. Hat wohl dieses Mal nicht gereicht.
Samstag, den 18. und Sonntag, den 19. März 2006
Wieder zu Hause ist Heidi super gut drauf. Als unsere Freunde Robban, Marlene und Matilda zum Kaffee kommen, freut sich Heidi riesig. Die Tage zu Hause sind lang und auch wenn Heidi ab und zu von ihren Freunden Linnea, Oskar, Anna und Cornelia Besuch bekommt, ist sie ziehmlich isoliert. Viele Kinder sind um diese Jahreszeit erkältet und manchmal gelingt es uns nicht, gesunde Kinder zu erreichen. Heidi sehnt sich wahnsinnig nach ihrem Kindergartenleben, aber wegen des Infektionsrisikos darf sie nicht dort sein. Manchmal gehen wir hin, damit Heidi wenigstens draussen ein bisschen mit den Kindern spielen kann. Hin und wieder schummlen wir und gehen mit rein, um an der Nachmittagsmahlzeit teilzunehmen.
Heidi geht auch weiterhin zum Turnen, trotz Kontakt mit anderen kleinen Kindern. Dienstag ist ein herrlicher Tag - Turnstunde. Alles ist ein ewiges Abwägen. Schwere Infektionen können während einer Chemotherapie lebensbedrohlich werden.
Montag, den 20. März 2006
Wir machen uns Sorgen, dass Heidi die Grippe aufgeschnappt haben kann. Der Junge, mit dem wir kürzlich das Doppelzimmer teilten (eine andere Geschichte, mit anderen, so kranken Kindern im Doppelzimmer zu liegen), hatte die Grippe bekommen. Das Fieberthermometer liegt immer zur Hand. In den letzten Monaten hat Heidi oft ein wenig Fieber, Husten und Schnupfen. Zum Glück hat sie sich bei dem Jungen nicht angesteckt und bleibt von der Grippe verschont.
Handhygiene ist nun mehr denn je die absolute Nummer eins. Wir reiben unsere Hände überall und jederzeit mit Handdesinfektion ein. Heidi wird eines Tages sicherlich einen Bakterienschreck haben. Aber was soll's - das sind Sorgen von Morgen. Solche Kleinigkeiten kümmern uns nicht, alles, was zählt, ist, dass Heidi dann auch lebt - eines Tages.
Donnerstag, den 23. März 2006
Mammas langjährige Chefin Maria und deren Tochter Emmy kommen zum Kaffee. Für Heidi ist das wieder wie ein Fest.
Freitag, den 24. März 2006
Wir sind im Kindergarten und spielen draussen, trotzen dem Gesetz und gehen mit rein. Essen zusammen, spielen und basteln ein bisschen. Ab und zu muss man ganz einfach mal nachgeben...
Dienstag, den 28. und Mittwoch, den 29. März 2006
In aller Frühe kommen wir zur Klinik. Eine neue MRT ist angesagt, was jeden dritten Monat gemacht wird. Nachdem Heidi aus der Narkose erwacht ist, beginnt die fünfte Chemo, Nr. 1 in der Viererserie. Eine Übernachtung, alles geht gut.
Aber wir kriegen einen erschreckenden MRT-Befund mit nach Hause: Es besteht ein Verdacht auf Tumorrest. Oh, was für ein Schock! Gerade haben wir uns an den neuen Alltag gewöhnt, uns ein wenig daran angepasst, was wir nicht ändern können. Gerade haben wir die Nase über die Wasseroberfläche bekommen, da schlagen die Wellen der Angst wieder über uns zusammen.
RÜCKBLICK - NOVEMBER UND DEZEMBER 2005
(am 8. Januar 2006 an Freunde, Bekannte und Kollegen in Schweden geschickt)
Samstag, den 26. November 2005
Heidi war an diesem Samstagmorgen gerade erwacht, als sie einen sehr starken, langanhaltenden und äusserst erschreckenden Krampfanfall bekam, der schliesslich in Bewusstlosigkeit endete. Mit Blaulicht ging es zur Notaufnahme in Lund. Später wurden wir auf der Kinderneurologie stationär zur Beobachtung aufgenommen. Nach ein paar Tagen durften wir wieder nach Hause fahren. In den kommenden Wochen waren einige Untersuchungen angesagt, u.a. ein EEG, um auf eventuelle Epilepsie hin zu untersuchen. Anfang Januar sollte eine MRT von Heidis Kopf durchgeführt werden. Aufgrund einer Absage von einem anderen Patienten konnte die MRT aber schon am 6. Dezember stattfinden. Heidi war noch nicht lange aus ihrer Narkose erwacht, als uns die grauenvolle Nachricht überbracht wurde: Heidi hatte einen grossen Tumor im Hirn. Es ist einfach unmöglich, in Worten auszudrücken, wie wir uns nach diesem Bescheid fühlten. Die Welt stürzte zusammen, fiel in tausend und aber tausend Stücke. Irgendwie irreparabel.
Wir wurden an diesem Nachmittag wieder in die Kinderneurologie eingewiesen. Einige Tage später bekamen wir den Operationstermin: der 13. Dezember, Lucia-Tag in Schweden. Der operierende Neurochirurg, Nils Stål, kam und erklärte uns, was er vorhatte, sprach von einem komplizierten, kniffligen Eingriff, der lange Zeit in Anspruch nehmen würde. 12, 15 oder noch mehr Stunden. Nach der Operation könnte Heidi Probleme mit ihrer linken Körperhälfte haben, was sie aber mit Krankengymnastik wieder in Griff kriegen würde. Um welchen Tumortyp es sich handelte, konnte man erst nach der Operation sagen. Die Ärzte nahmen an, dass der Tumor langsam gewachsen sei, vielleicht schon sehr lange in Heidis Kopf war. Das könnte bedeuten, dass der Tumor nicht so bösartig sei. Auch wenn man hier in Schweden alle Tumöre im Hirn als Krebs einstuft.
Die Tage vor der Operation vergingen mit einer Anzahl vorbereitender Proben und Tests. Es tat weh, Heidis Angst vor allen Ärtzen und Schwestern und deren Nadeln, Schläuche usw. zu erleben. Sie war doch völlig gesund, es ging ihr super, genau wie immer! Psychisch waren wir total am Boden, verbrachten aber Tag und Nacht jede Sekunde mit Heidi, spielten ununterbrochen mit ihr und hatten viel Spass zusammen. Jede ihrer Bewegungen, jedes Lachen saugten wir in uns hinein. Die Nächte hindurch weinten wir, redeten und redeten. Welch fürchterlicher Schmerz.
Dienstag, den 13. Dezember 2005. Ein grosser Tag in Schweden: Lucia
Überall hatten Verwandte, Freunde und Kollegen eine Kerze nur für Heidi angezündet. Wir durften Heidi zuwider der Vorschriften bis in den Op-Saal hinein begleiten und waren bis zu dem Augenblick, als sie einschlief, an ihrer Seite. Heidi dort zu verlassen, war unglaublich schwer. Was würden wir zurück bekommen? Wie würde sie eine solch schwere Operation und alle möglichen Komplikationen überstehen?
Wir gingen in die Stadt, irgendwie. Saßen in einem Café. Kauften allerlei Dinge für Heidi. Flauschige Hosen und Jacken, die nach der Operation praktisch sein würden. Ihr erstes Nachthemd, rosa, mit Volang, auf der Vorderseite ein Druck mit den Prinzessinnen Aschenputtel, Dornröschen, Schneewittchen und Belle. Flitterpuder für die Haut, Spielsachen. Überlegten die ganze Zeit, was ihr Freude bereiten würde. Durchstöberten die Lebensmittelgeschäfte nach kleinen Chipstüten. Alles wie in Zeitlupe. Wir gingen und gingen. Verliefen uns in der kleinen Stadt sogar ...
Am Nachmittag führten uns unsere Schritte zurück zur Klinik. Wir mussten einfach in Heidis Nähe sein, obwohl es sicher noch viele Stunden dauern würde. Auf einem Zettel hatten wir die vollen Stunden bis Mitternacht geschrieben, strichen sie eine nach der anderen ab.Wider aller Erwartungen rief man uns bereits um 17 Uhr zur Neuro-Intensivstation. Wir sprachen mit einem zufriedenen Chirurgen. Die Operation war seiner Meinung nach sehr gut verlaufen. Der ganze Tumor konnte entfernt werden. Ausser einer Blutung waren keine Komplikationen aufgetreten und Heidi hatte nur eine Bluttransfusion erhalten. Oh Gott, so eine Erleichterung!
Kurz darauf rollte man Heidi, die mit dünner Stimme nach Mama rief, auf die Intensivstation. So herrlich, jedenfalls ein Wort, das sie noch beherrschte! Was für ein Gefühl, sie zu sehen! Vorsichtig durfte ich ihre Hand halten. Unser kleines Mäuschen lebte!Heidi bekam starke schmerzstillende Medikamente. Die Nacht war relativ ruhig und Heidi brauchte kaum irgendwelche Unterstützung, abgesehen von einer Sauerstoffmaske, die aber nur vor ihrem Gesicht lag und dem Tropf, der sie mit Flüssigkeit versorgte. Sie sprach nicht, gab nur mit den Augen Zeichen, wenn wir sie fragten, ob sie Schmerzen hat. Mussten erst um Erlaubnis fragen, wenn wir ihr die Wange streicheln wollten. Aufgrund der starken Schmerzen konnte Heidi es wohl nicht ertragen, wenn man zu viel an ihr herumfummelte. Sie übergab sich von dem starken Morphium. Bekam Gegenmedizin, damit es ihr besser gehen sollte. Kam durch die Nacht. Den ganzen Mittwoch flimmerte Winnie Puh über den Bildschirm. Heidi wollte aufstehen, um auf die Toilette zu gehen, schaffte es aber nicht. Das linke Bein und der linke Arm funktionierten. Heidi konnte das Bein bewegen und leicht mit der Hand zudrücken. Begann zu trinken. Interessierte sich für die Sachen, die wir für sie gekauft hatten. Zitternd und schwach kam ein kleiner Zeigefinger unter der Bettdecke hervor, um uns auf unsere Frage hin Aschenputtel auf dem neuen Nachthemd zu zeigen. Wie schön...
Zwei Tage später verliessen wir die Intensivstation. Heidis Kopf war sehr geschwollen und das rechte Auge war vollständig verschwunden. Tim kam zum ersten Mal. Am Abend wollte Heidi ihre eigenen Sachen anziehen. Die Krankenhausmontur mochte sie überhaupt nicht. Ein kompliziertes Unternehmen, ihr Hemd und Jacke anzuziehen. Als der sonst sehr technische Tim es spät am Abend nicht schaffte, den Fernseher mit der Fernbedienung auszuschalten, während es für Mama überhaupt kein Problem war, kam das erste Lachen. Herrlich!
Freitag, den 16. Dezember 2005
Heidi fand ihr Dasein unausstehlich. Sie hatte viel zu lange in ein und derselben Stellung gelegen. Den Kopf oder Oberkörper zu bewegen, war schier unmöglich. Sie hatte Angst. Nadeln und Schläuche wollte sie nicht sehen, Schmerzen zu haben, stritt sie aus Furcht vor möglichen Konsequenzen ab. Wie schnell sie das begriffen hatte... Nalle Puh spendete Trost. Als wir ihr eine kleine Dose Flitterpulver gaben, lebte sie plötzlich auf. Flitter überall, im Bett, auf Heidi, auf Mama, Papa - das war ein Spass! Nun wollte sie aus dem Bett. Schwer - aber es ging! Am vierten Tag nach der OP stand sie - wenn auch noch recht wacklig - wieder auf ihren Beinen. Und sie konnte laufen. Ihr Körper funktionierte wie vorher. Am Tage darauf tanzte sie zur Radiomusik im Spielzimmer. Unglaublich!
Die Operationswunde, ein gut 20 cm langer bogenförmiger Schnitt, der oberhalb des linken Ohres beginnt und sich dann bis zum unteren Hinterkopf zieht, heilte gut. Nur ein schmaler Streifen Haar war verschwunden. Aber das anhaltende Fieber beunruhigte uns. Der sog. CRP-Wert war hoch und wir befürchteten, dass Heidi eine Gehirnhautentzündung im Anmarsch hatte. Aber es ging gut und der CRP-Wert sank Tag für Tag.
Dienstag, den 20. Dezember 2005
Gespräch mit den Ärzten über die Tumoranalyse der Pathologen. Eine weitere schreckliche Nachricht. Der Tumor heisst Ependymom. Eine böse Sorte, wir hatten den Namen von einer anderen Mutter auf der Kinderneurologie schon mal gehört. Alles fühlte sich an, als ob wir wieder ganz von vorn beginnen würden. Man sprach von acht Monaten Chemotherapie, Strahlung, die man aber wegen Heidis jungen Alters nicht machen wollte. Die Rede war von einer MRT des Rückens sowie einer Knochenmarkpunktion, um festestellen zu können, ob es Metastasen in der Wirbelsäule bzw. Krebszellen in der Liquorflüssigkeit (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) gäbe. Also weitere Befunde, die auf uns warten würden. Was, wenn der Krebs sich schon verbreitet hatte? Aller Optimismus war wie weggeblasen. Das einzig Positive, woran wir uns klammern konnten, war, dass eine geglückte OP eine entscheidende Bedeutung für die Prognose dieser Krebsform hat. Und die OP war ja gut gegangen, der ganze Tumor konnte entfernt werden.
Donnerstag, den 22. Dezember 2005
Nächste Vollnarkose. Eine MRT des Rückens, weiter zur Knochenmarkpunktion und Einoperieren eines sog. Porth-a-cats unterhalb des rechten Schlüsselbeins. Bei einem solchen Port sticht man "nur" durch die Haut und hat dann eine direkte Verbindung mit einer grossen Vene, um Medikamente oder Chemogifte intravenös verabreichen bzw. Proben entnehmen zu können. Immer, wenn Heidi an Händen, Füssen oder in den Armbeugen Nadeln bekam oder Nadeln, Pflaster usw. entfernt wurden, war sie ausser sich vor Furcht und Entsetzen.Wir hatten auch Angst und fühlten uns elendig, während wir auf die neuen Befunde warteten. Im Rückgrat fand man nichts, Gott sei Dank! Auf die Auswertung der Liquorflüssigkeitsprobe mussten wir bis nach Weihnachten warten.
Mehr Tests und Proben waren notwendig: Herz, Nieren, Zähne, Gehör und vieles mehr. Für den ganzen kleinen Heidikörper wurde ein kompletter Status benötigt. Chemotherapie tötet, sowohl die Krebszellen als auch alles das, was eigentlich wachsen soll. Und ein Mädchen von 3 1/2 Jahren soll doch wachsen... Es schmerzte so verdammt, an all die möglichen Folgen und Nebenwirkungen der Chemo zu denken. Und es ist so schwer, Heidi zu erklären, dass sie krank ist. Neuerdings wäscht sie ihe Hände mehr als gerne, sie will ja nicht (wieder) krank werden...
Weihnachten 2005
Am Heiligabend bekamen wir für ein paar Stunden Ausgang. Putzten den Baum, schoben fix etwas zu essen rein, und die Kids bekamen ihre Weihnachtsgeschenke (die ich schon Mitte November gekauft hatte...) Heidi war seelig. Ja, wirklich - der Weihnachtsmann hatte gehört, dass sie da im Krankenhaus so ein tüchtiges Mädchen gewesen war. Hatte er doch solche phantastischen Geschenke mitgebracht.
Die Nacht zwischen erstem und zweitem Feiertag schliefen wir dann zum ersten Mal seit langem zu Hause. Unser Freund Robban hatte bei IKEA ein kleines Bett besorgt, das im Schlafzimmer quer vor unserem Doppelbett Platz finden würde, Tim hatte es zusammengebaut und so bekamen wir eine gemeinsame Nacht in unserem geliebten Heim. Heidis Druckverband rutschte immer wieder runter, aber wir waren schon geübt, ihn wieder fachgerecht auf den Kopf zu rollen.
Mittwoch, den 28. Dezember 2005
Wir werden zu einem weiteren Gespräch mit den Ärzten gerufen. Jedes Mal zieht sich einem der Magen zusammen. Aber zum Glück war die Liquorflüssigkeitsprobe auch okay. Es wurden keine Krebszellen festgestellt. Wie die Chemo, die im neuen Jahr beginnt, konkret aussehen soll, hatte man noch nicht festgelegt. Auch den Grad der Bösartigkeit (nach der WHO-Skala Grad I bis IV) von Heidis Tumor bekamen wir noch nicht zu wissen. Der Neurologe hatte sich mit Kollegen im Ausland kurzgeschlossen, um Heids Fall zu besprechen. In Schweden gibt es nicht so viele Kinder mit diesem Krebs und Heidis junges Alter mache die Sache besonders schwierig. Strahlung ist nämlich keine gute Alternative für so junge Köpfe und was die Chemo anbelangt, will man natürlich die optimalste aber doch schonsamste finden. Erst KW 2 könnten wir die Antwort erwarten. Über die Feiertage gibt es keine Krankheiten... Nach diesem Gespräch wurden wir entlassen. Sollten laut Neurologe so viel wie möglich zu Hause sein. Zwei "Bällchen" (Nadel mit Schlauchstück) mussten aber erst noch weg. Heidi weinte, schrie und übergab sich. Wollte lieber im Krankenhaus bleiben als die "Bällchen" wegmachen zu lassen. Wenn wir ihr doch nur helfen, an ihre Stelle treten könnten.
Heidi spielt immer wieder Doktor. All die Wochen in der Klinik hat sie fast nichts anderes gespielt. Sie bearbeitet ihre Erlebnisse...
Samstag, den 31. Dezember 2005
Silvester feierten wir bei unseren Freunden Robban, Marlene und Matilda in Staffanstorp. Heute wurde Heidi endlich ihren Druckverband los. Es ging ihr strahlend! Wir bürsteten ihr langes Haar über die Wunde. Kaum, dass man irgendwas sah.
Wir warten nun auf weitere Direktiven, wie es mit Heidis Behandlung und unserem Leben weitergehen soll. Versuchen, stark zu bleiben.
Heidi, Tim, Jan und Andrea
PROLOG
Anfangs war Heidis Blogg vor allem dafür gedacht, den schwedischen Teil der Familie, Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Geschäftsfreunde auf dem Laufenden zu halten. Wie bekannt, ist es in unserer Situation ganz und gar unmöglich, die Verbindung mit allen aufrecht zu erhalten und über alle Details zu sprechen. Darum können sich in Schweden alle, die etwas über Heidi wissen wollen, einfach im Internet informieren. Praktisch. Im Laufe der Zeit haben aber auch ganz Fremde zu Heidis Blogg gefunden. Ausserdem haben Eltern von ebenfalls krebskranken Kindern gefragt, ob sie einen Link zu Heidis Blogg auf ihrem Blogg veröffentlichen dürfen und auf dieses Weise lesen nun noch mehr Leute über Heidi. An manchen Tagen werden bis zu 500 Seiten von Heidis Blogg gelesen. Es gibt auch die Möglichkeit, die jeweiligen Berichte zu kommentieren, Grüsse zu schicken usw. Viele Fremde haben sich auf diesem Weg bei uns gemeldet, sprechen Mut zu, teilen ihre eigenen Erfahrungen mit und vieles mehr.
Es war natürlich schade, dass der Teil der Familie und natürlich auch Freunde in Deutschland kein Schwedisch beherrschen und somit immer zu kurz gekommen sind. Darum nun endlich eine deutsche Version von Heidis Blogg. Im Moment noch nicht komplett, aber ich versuche, alle Einträge, die es auf schwedisch gibt, demnächst auch in der deutschen Version zu bloggen.
Soweit es meine Zeit und Kraft erlauben, werde ich dann auch versuchen, die deutsche Version einigermaßen auf dem Laufenden zu halten (ohne Garantie).