RÜCKBLICK - DEZEMBER 2006

Montag, den 4. Dezember 2006
Zu Hause! Heidi hat es wieder geschafft. Wurde am Freitag etwas munterer, kam so langsam wieder aus dem Bett, fragte nach etwas zu essen.
Als ich zum Klinikshop flitzte, um ihr ein Brötchen zu kaufen, lege ich ihr zur Sicherheit den Klingelknopf ins Bett. Als ich nach sechs Minuten zurückkomme, sehe ich im Display auf dem Korridor unsere Zimmernummer blinken. "Ist etwas passiert? Hast du den Klingelknopf gedrückt?" frage ich, worauf Heidi unsicher antwortet: "Ich weiss von nichts." Der kleine Strolch, konnte es sich wohl nicht verkneifen, den Knopf mal auszuprobieren. Na ja, für uns ein gutes Zeichen. Das bedeutet, dass wieder Leben in sie kommt.
Dank Spültropf im Rucksack können wir das Klinikeinerlei ein bisschen verlassen und machen eine Runde in der Stadt. Alles läuft in die richtige Richtung, bloß der MTX-Wert nicht, der alle sechs Stunden gemessen wird. Der hält uns dieses Mal zum Narren. Sinkt, bleibt auf dem selben Niveau, sinkt, steigt wieder. Sehr frustrierend.
Am Sonntag ist Heidi zu Matildas Geburtstag eingeladen. Muss sie den jetzt verpassen? Immer mit der Ruhe, keine Panik. Am späten Abend liegt der Wert nämlich bei 0,23 und am Morgen erwarte ich demzufolge eine abgeschaltete Infusionspumpe. Aber nein, als ich erwache, tickt die Pumpe. Nicht nach Hause, tick, tick, nicht nach Hause, tuck, tuck. Oh nein...
Erst will Heidi nicht zu dem Geburtstag gehen. Mit Nadel und Schlauch und Tropf - nein. Aber dann lässt sie sich überreden und ausgrerüstet mit dem Tropf im Spezialrucksack, dem Geschenk und frohem Mute, nicht zu vergessen die Ausrüstung zum Einsammeln des Urins (2,5 ? 3,5 l Tropf pro Tag ergeben das Eine und Andere im Töpfchen...). Ab geht's nach Staffanstorp.
Die Fotos unten sind kurz vor der Abfahrt entstanden. Es ist schwer sich vorzustellen, dass Heidi vor nur zwei Tagen noch völlig breit war, die kleine Festmaus. Die dunklen Ringe unter den Augen waren gerade am Verschwinden und das Leben hatte wieder begonnen.
Am Tag vor dem Geburtstag waren wir mit dem Tropf im Rucksack in der Stadt gewesen, um ein Geschenk für Matilda und neue silberglitzernde Strumpfhosen für Heidi zu kaufen. Die Perücke und den Haarschmuck hatte Heidi schon zu Hause in die Krankenhaustasche gepackt. Es kann ja sein, dass man zu irgendeiner Gelegenheit plötzlich mal chick sein muss. Nicht schlecht, wie sie sich da vor der Kamera zurecht stellt, oder? Dass sie Nadel und Schläuche wie die Pest hasst, hat sie fast vergessen. Den Schlauch schwingt sie ganz lässig wie eine Handtasche. Tja ja, viel geht. Man muss es eben nur versuchen...




Mit Mama oder Papa im Schlepptau, ungefähr wie ein Hund an der Leine, bekommt Heidi ein paar fröhliche Stunden auf dem Geburtstag, isst zwei kleine Wiener Würstchen mit Brot und bleibt gleich noch eine Stunde extra, als alle anderen Gäste schon gegangen sind.
Zurück in die Klinik. Das nächste Blutabnehmen abwarten. Endlich - 0,14. Heidi hüpft förmlich hinter Krankenschwester Ewa hinterher, die die Nadel wegmachen wird und verspricht hoch und heilig, nicht zu "pucken, zu leten oder leien" (d.h. spucken, treten, schreien). 20 Meter vor dem Behandlungszimmer ändert sie ihr Versprechen. Ein bisschen schreien, vielleicht. Sie zittert fast vor Anstrengung, ihre Angst unter Kontrolle, die Beine an derselben Stelle und die Stimme im Hals zu behalten. Kein Piep, kein Mucks ist zu hören. Mein Gott!

Kurz nach halb acht sind wir zu Hause, Heidi isst zwei Wiener, badet und schläft halb elf ein, wacht heute früh Viertel nach sechs wieder auf und ist voll drauf. Wahnsinn, was in dieser Göre für Kraft drin steckt. Volles Ballett im Kindergarten, dasselbe danach hier am Nachmittag und Abend zu Hause. Es ist halb zehn und endlich dürfen wir müde in die Couch sinken.


Donnerstag, den 7. Dezember 2006
Heute werden Ruhe und Freiheit nach dem letzten anstrengenden Klinikaufenthalt abrupt unterbrochen. Am Morgen gehen wir zum Blutabnehmen und kurz vor 12 klingelt das Telefon. Wir machen immer einen extra Atemzug, bevor wir abnehmen, wenn auf dem Display keine Nummer zu sehen ist. Und ja, es ist vom Krankenhaus. Heidis Hb-Wert, also die roten Blutkörperchen, liegt wieder mal total zu tief. Arme Maus... Gerade heute wollte sie bis zum Nachmittagskaffee im Kindergarten bleiben. Stattdessen holen wir sie ab, als sie gerade ihre Suppe ausgelöffelt hat. Den ganzen Nachmittag verbringen wir in der Klinik, Nadel in den Port, Blutprobe (vor jeder Transfusion wird die Blutgruppe des Patienten kontrolliert, damit auch wirklich das richtige Blut gegeben wird), Warten auf die Laborbefunde und Warten, dass die dicken, tiefroten Tropfen in Heidis bleichen Körper tröpfeln.
Als die Schwester die Infusion vorbereitet, sagt sie Heidi, dass sie nun bald wieder viel munterer sein wird. Heidi sieht nachdenklich aus und es fällt uns nicht schwer, ihre Gedanken zu lesen: Wieso munterer? Ich bin doch schon total munter. Freilich, Heidi ist blass, aber müde oder kraftlos? Nein, nein. Heidi ist nicht zu bremsen.
Das ist nun die vierte Bluttransfusion seit Beginn der Chemotherapie. Ein Mal bekam Heidi Trombozyten. Im Grossen und Ganzen hat sie das also ziemlich gut geschafft. Aber viele krebskranke Kinder brauchen sehr oft Transfusionen. Darum richten wir eine grosse Bitte an die Leser von Heidis Blogg: Spendet Blut! Manche haben vielleicht schon immer dran gedacht, aber es ist nie was daraus geworden. Also: Tut was - jeder Tropfen wird gebraucht!

Sonntag, den 10. Dezember 2006

Weihnachtsfeier im Kindergarten. Adventskaffee, Tanz um den Weihnachtsbaum, Bonbonangeln und viel Spiel und Spass.

 Dienstag, den 12. Dezember 2006
Die heutige Blutprobe zeigt, dass die Roten wieder auf einem akzeptablem Stand sind. Stattdessen sind die Trombozyten und die Weissen richtig schlecht. Für die, die es genau wissen wollen: Weisse, d.h. Leukozyten, sollen bei 5 bis 15 (Heidi 0,79) liegen. Für die neutrophilen Granulozyten, die 40 bis 75 Prozent der Gesamtmenge der Weissen ausmachen, gilt 1,5 bis 8,0 (Heidi 0,1). Heidis Werte in Klammern zeigen deutlich, in welchem mieserablen Zustand ihr Immunsystem ist. Darum würde es uns nicht überraschen, wenn sie mit irgendeiner Infektion nach Hause kommt, hohes Fieber kriegt und richtig krank wird. Aber einstweilen tuckert ihr Körper gleichmässig wie ein kleiner Motor vor sich hin.
Wie ist es möglich, fragen wir uns immer wieder. Unglaublich. Wenn ihr Körper doch nur genauso stark wäre, wenn es um den Kampf gegen die widerlichen Krebszellen geht. 

Mittwoch, den 13. Dezember 2006
6.45 Uhr - Luciafest im Kindergarten. Vor genau einem Jahr um diese Uhrzeit liefen die Vorbereitungen auf Heidis erste Operation auf vollen Touren. Eine lange und komplizierte Operation, bei der der Neurochirurg einen 7 cm grossen Tumor aus Heidis Kopf herausschnitt. Der grösste Tumor, den er jemals aus dem Gehirn eines Kindes operiert hat.
Als unsere "Königin des Lichtes" Heidi dann vor Glück strahlend mit ihren Kindergartenfreunden und Erzieherinnen auf die Bühne zieht, kriegen wir ein bisschen extra Gänsehaut. 



Eine Stunde später müssen wir schon wieder zur nächsten Blutprobe. Die Werte sind ein bisschen besser. Gut, dass es in die richtige Richtung geht. Eine Chemo kann diese Woche natürlich nicht vom Stapel gehen. Neue Blutprobe am Montag. So viele Proben. Heute war es Nummer 75! Das Laborpersonal in Staffanstorp ist wirklich super. Danke an alle dort!
Und auch Danke an Saga (die Oma von Kindergartenfreund Hugo), die Prinzessin Heidi mit einer Karte und einem "Scheinchen" überrascht hat. Danke für die wärmenden Worte. Wir brauchen Euch da draussen. Heidi wird sich bestimmt etwas Süsses vom Prinzessinnenangebot aussuchen.

Freitag, den 22. Dezember 2006
Am Dienstag war Heidi zur Chemo Nr. 22. Eine Chemo, bei der der Spültropf auf acht Stunden verkürzt worden ist, weswegen wir am selben Abend wieder nach Hause fahren können. Es ist bedeutend leichter, an einem Chemomorgen aus dem Bett zu steigen, wenn man weiss, dass man am selben Abend wieder in diesem Bett einschlafen darf. 
Heidi war beim Nadeleinstechen wirklich sehr tapfer. Muss das bisher beste Mal gewesen sein. Sie hatte zwar Angst und schrie, als sich das Nadelungetüm ihrem Körper näherte, aber ihr Widerstand war doch ziemlich gering. Besser kann es einfach nicht gehen, mehr kann Heidi nicht geben. Am Tag vorher hatte sie uns gesagt, dass sie es versuchen will. Und sie hat wirklich gekämpft. Aber tapfer, nein, also tapfer war sie wirklich nicht, war ihr eigenes, wieder mal sehr hartes Urteil, kurz nachdem das Schlimmste vorbei war. Na ja, wir fanden es jedenfalls und darum soll sie nun die versprochene Dora-Puppe bekommen. Aber nicht sofort, nein - Heidi möchte die Puppe nämlich vom Weihnachtsmann haben.
In der Nacht geht es ihr trotz Anti-Übelkeit-Medizin gar nicht gut. Sie entleert ihren Magen ordentlich, schläft dann aber recht ruhig und ist einige Stunden später putzmunter und bereit für einen neuen Tag.Heidi will natürlich in den Kindergarten. Wie des öfteren fällt es uns auch heute schwer zu beurteilen, wie es Heidi eigentlich wirklich geht. Sie sagt ja nie einen Piep, wenn etwas nicht stimmt. Ihr Widerstand gegen das Schlucken von Tabletten ist nach wie vor sagenhaft. Es hat also kaum Sinn, sie dazu zu bewegen, eine Tablette gegen Übelkeit zu schlucken. Nach einer anstrengenden Chemo haben wir überhaupt keine Lust, sie zu weiteren Dingen zu zwingen. Aber Heidi schafft den Tag prima und isst im Kindergarten sogar eine gute Portion Mittag.
Ansonsten ist sie momentan für nichts zu haben. Von Bonbons oder Eis will sie gar nichts wissen und zum Abendbrot probiert sie mehrere Dinge hintereinander, ohne dass auch nur ein einziges Gericht ihrem chemoverwirrten Geschmackssinn irgendwie zusagt.
In den letzten Tagen war unser Briefkasten ungewöhnlich voll. Danke Euch allen, die Heidi Grüsse und Geschenke geschickt haben. Sie wird so verwöhnt! Aber das ist völlig in Ordnung. Sie soll verwöhnt werden. Unsere Post brauchen wir nun jedenfalls nicht mehr selbst durchgehen. Das erledigt Heidi. Sie hat volle Kontrolle darüber, welcher Brief an wen in der Familie gerichtet ist.



Nun hoffen wir auf ruhige Weihnachtsfeiertage. Wir werden einige Male zum Blutabnehmen gehen müssen, aber ansonsten gedenken wir, mit dem Gesundheitswesen nicht in Berührung zu kommen. Leider fühle ich mich in den letzten Tagen ein wenig unruhig. Was, wenn gerade über Weihnachten etwas passiert und wir in die Klinik müssen? Ach was, es wird schon klappen.  

                                    ALLEN LESERN EINE FROHE WEIHNACHTEN!     


Montag, der 25. Dezember 2006
Wir sind zu Hause. Es geht uns gut. Wir faulenzen den lieben langen Tag, essen gut, geniessen die Feiertage. Gestern hatten wir einen wunderschönen Heiligabend. Heidi bekam viele Spielsachen (...und eine Erkältung).
Der Weihnachtsmann hatte zu Heidis grosser Verwunderung seine "Assistentin" Belinda geschickt. Mit Unmengen Weihnachtsgeschenken. Ach so, Ihr wollt wissen, wer Belinda ist. Nun ja, Belinda ist die Stimme unseres Anrufbeantworters. Glaubt bloß nicht, dass man bei Heidi den Weihnachtsmann anrufen kann und dann in einen tutenden Hörer quatschen kann. Das hätte sie uns nie abgekauft. Belinda ist also seit gut zwei Jahren unser Nordpol-Ansprechpartner und hat auf diese Art und Weise hin und wieder Heidis Entwicklung beeinflusst. Anfangs, wenn keine anderen Erziehungstricks mehr helfen wollten, später vor allem um zu berichten, wie tapfer Heidi im Kampf gegen ihre Krankheit ist.
Nun stand Belinda also in allerhögster Person vor der Verandatür, während Heidi einen ganz ?normalen? Weihnachtsmann, an dem sie allerdings schon zu zweifeln begonnen hatte, erwartete. Das machte grossen Eindruck. Vielleicht können wir nun doch noch ein weiteres Jahr zum Nordpol anrufen, bevor der Bluff auffliegt. 


 

Ausser der Geburt von Jesus feierten wir auch die Geburt eines neuen Sterns: Heidi - Gesang und Gitarre. Ein Traum wurde wahr. Da Heidi sich in letzter Zeit meistens auch mit ihrem eigenen Haar wohlfühlt, tritt sie ohne Perücke auf und man könnte fast denken, dass da eine kleine Sinead O'Connor steht und rockt.



Eine halbe Stunde vor Mitternacht waren Heidis Kräfte erschöpft und sie schlief auf dem Sofa ein. Was für ein wunderbarer Tag!




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