RÜCKBLICK - NOVEMBER 2006

Donnerstag, den 2. November 2006
Chemo Nr. 16 - zweiter Tag in der Klinik. Gestern war Psychologin Dr. Ingrid zwecks Observation dabei, als die Nadel in Heidis Port gesteckt wurde. Wir hoffen, dass sie mit konkreter Hilfe kommen kann. Und wenn nicht, dass sie jedenfalls mal mit Heidi reden kann, um zu sehen, wie es Heidi eigentlich rein psychisch geht. Wir werden sehen.
Heidi kämpft nun mit ihrer Chemo, die "Vier" der Serie, Cisplatin, ist richtig schlimm. Heidi zählt die Kliniknächte und warten innigst darauf, von hier wegzukommen. Wenn alles gut läuft, schaffen wir es, am Samstag Abend rechtzeitig zu Hause zu sein, um noch ein gutes Essen zu kochen.
Dieses Mal bekommt Heidi ausser ihrer Tagesdosis Anti-Übelkeit-Medizin und Kortison noch ein weiteres Medikament, um den schrecklichen Übelkeitsattacken, die sie nun seit einiger Zeit quälen, zu entgehen. Sie ist blass und die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Dieser Tag ist nicht der beste in ihrem Leben, aber 28 Stunden nach Beginn der Chemo hat Heidi immer noch nicht gebrochen! Auch wenn sie am liebsten in ihrem Bett bleibt, macht sie hin und wieder einen Spass mit uns - ein sicheres Zeichen, dass es ihr nicht total elendig geht.
Der Befund der letzten MRT ist gut - es gibt keine neues Geschwür in Heidis Kopf. Da, wo Heidi operiert worden ist, sieht man aber immer noch einen Schatten, doch ist es schwer zu sagen, ob es sich um vernarbtes oder Tumorgewebe handelt. Die Ärzte der Vormittagsvisite hatten noch keien Details gehört und wollen morgen mehr sagen.
Kein neuer Tumor bedeutet trotz allem gute Nachrichten. Ein Rückfall während der Chemo wäre eine Katastrophe. Gute Nachrichten nähren natürlich unsere Hoffnung, dass Heidi es schaffen wird. Das brauchen wir...
Der restliche Donnerstag vergeht langsam. Heidi geht es nicht besonders gut, sie ist müde und mitgenommen, bleibt die ganze Zeit in ihrem Bett. Am Nachmittag sind die 48 Stunden Cisplatin vorüber und 24 Stunden Spültropf stehen noch aus. Wir bekommen den Tropf in einen Rucksack und machen einen Ausflug in die Stadt. Sitzen auf einer Bank und schauen dem Verkehr vor dem Bahnhof zu. Ja, es gibt eben verschiedene Ausflüge.

Samstag, den 4. November 2006

Am Vormittag setzen wir Heidi in ihren Wagen und machen einen Spaziergang. Heidi geht es kurz vor ihrer Tagesration Anti-Übelkeit-Medizin schlecht, ansonsten geht es wieder aufwärts. Sie weiss, dass alle Nächte vorbei sind und wird langsam wieder fit. Als wir frühstücken, immer noch sechs Stunden übrig, sagt sie plötzlich: "Ich muss euch etwas sagen. Heute werde ich nicht traurig werden, wenn sie die Nadel rausmachen." Wir schauen überrascht von unseren Tellern auf. "Na, jedenfalls nicht sooo traurig. Nur ein bisschen...." Wir waren ganz sprachlos. Gerührt. Da überlegt sie, versucht sich selbst anzupfeffern, stark zu sein. Solche Momente zeigen, in welcher Gedankenwelt Heidi eigentlich lebt, wie schwer sie es zeitweise hat. Und wir werden traurig darüber, dass es so sein muss. Manchmal fällt es mir so schwer, klug und verständig zu sein, immer alles einfach so hinzunehmen, wie es ist. Na ja, die Nadel wird nicht ganz ohne Protest herausgezogen, aber es geht ziemlich gut. Wir fahren nach Hause und verraten Heidi, dass wir in ein paar Stunden auf Robban und Marlenes Halloweenfest gehen würden. Geniessen das Leben ausserhalb der Krankenhausmauern. 

Sonntag, den 5. bis Samstag, den 11. November 2006
Am Sonntag spielt Heidi mit Smilla und am Montag geht es wieder zum Kindergarten. Oft fragt Heidi am Abend: "Fahren wir morgen ins Krankenhaus? Darf ich in den Kindergarten gehen? Müssen wir zu Marita (Blutprobe im Labor in Staffanstorp)"? In letzter Zeit sind die Blutproben aus unerklärlichen Gründen wieder richtig schwer. Aber am Dienstag ist es plötzlich überhaupt kein Problem und auch am Freitag geht es auch recht gut. Ein Dankeschön an das Personal im Labor - Marita, Anki, Elsie u.a. - für all die Zeit und Kraft, die sie für Heidi aufbringen.
Ansonsten vergeht eine ganz normale Woche. Heidi ist immer noch ein wenig erkältet, aber schafft es weiterhin, trotz ihres so gut wie nicht existierenden Immunsystemes dem Schlimmsten zu entgehen. Das ist schon fast ein bisschen komisch. Wir sind schon im November und Heidi kann immer noch in ihren gelieben Kindergarten gehen - phantastisch!

Freitag, den 17. November 2006
Total unglaublich - am Mittwoch konnten wir Chemo Nr. 17 abhaken. Es ist lange her, dass Heidi die Chemos im Intervall von zwei Wochen kriegen konnte. Die letzten Wochen hat es richtig geflutscht. Als Bonus ist nun auch Chemo eins der Serie auf einen Tag verkürzt worden. Spültropf von 24 Stunden ist nicht notwendig, sagen die Ärzte, da Heidis Nieren- und Leberfunktion nicht beeinträchtigt worden ist. Vielleicht gerade wegen des Spültropfes? Wir hoffen, dass das nicht mit irgendwelchen Einsparungen zu tun hat. Man weiss ja nie. Wir überreden Heidi zur Sicherheit, richtig viel zu trinken. Sie schluckt 1,4 l an diesem Tag... Ansonsten freuen wir uns natürlich darüber, nicht in der Klinik übernachten zu müssen. Der ganze Prozess wird psychisch bedeutend leichter für Heidi.
Schwer ist dieses Mal allerdings das Setzen der Nadel. Heidi ist völlig ausser sich, faucht und spuckt, ist nahe dran, eine der Krankenschwestern zu beissen und ihre Tritte haben ein deutliches Ziel. Ach, das war richtig schlimm.
Das Treffen mit der Psychologin war sicherlich nicht völlig sinnlos, wir konnten jedenfalls ein bisschen über alles sprechen, aber etwas direkt Neues ist dabei nicht herausgekommen. Unseren Beschreibungen zufolge geht es Heidi gut, meint man. Gestern sprach ich mit Heidi über das Nadelsetzen. "Ich kann nicht anders", sagt Heidi. "Ich muss schreien. Es ist so schlimm, die Nadel zu kriegen". Und ich verstehe sie. Wir reden darüber, dass man aber nicht spucken und nach der Schwester treten darf. Heute nehme ich den Faden dann noch mal auf. Wir reden darüber, dass Heidi versuchen soll, nächstes Mal ein bisschen stärker zu sein, ein bisschen zu kämpfen. Heidi: "Aber ich bin kein Kämpfer." Pause. "Oder vielleicht ein kleiner... Doch, ein kleiner Kämpfer bin ich. Gut, ich werde es versuchen." Wenn sie es nächstes Mal besser schafft, verspreche ich, würde sie die tolle Dora-Puppe bekommen, die Deutsch und Englisch sprechen kann. "Ja, dann werde ich es versuchen. Die Dora will ich gern haben." Man könnte fast meinen, dass es klappen könnte...
Gestern bekam Heidi wieder mal ihren Heisshunger auf Restaurant-Fleischbällchen (schwedische Variante von Bratklopsen, nur eben kleine runde Bällchen). Darum gehen wir ins Restaurant "Zwei Köche" in Staffanstorp. Und genau wie vor ein paar Wochen verdrückt Heidi 14 Fleischbällchen (4 cm im Durchmesser) mit ein wenig Soße und Kartoffelbrei. Einen Tag nach der Chemo, verrückt, oder? Fleischbällchen im Restaurant sind also in Beziehung Essen der neueste Hit. Wie bereits beschrieben, wird die Theamtik Essen immer interessanter. Nun zieht Heidi uns auch noch ins Restaurant. Und wir machen alles, damit sie nur isst. Na ja, was soll's. Wann sonst könnten Mama und Papa mal im Restaurant sitzen, um ein gutes Bier zu trinken...

Mittwoch, den 29. November 2006
Seit dem letzen Eintrag sind fast zwei Wochen vergangen. Alles war soweit in Ordnung, die Tage waren ziemlich ruhig, Heidi ging es gut. Im Kindergarten hat sie, aller Annahmen zum Trotz, nicht die grasierende Magengrippe aufgeschnappt, die nun schon zum zweiten Mal ihre Runde machte. Unglaublich, wo doch Heidis weisse Blutkörperchen relativ schlecht waren.
Die Blutproben laufen wieder viel besser. Am Freitag bekam Heidi endlich die Belohnung für eine Vielzahl Proben. Im Sommer hatten wir ihr nämlich eine "Karusselkarte" angefertigt. Für jedes Blutabnehmen durfte sie ein kleines Männchen ausmalen. Wenn alle ausgemalt sind, würden wir ganz viel Karussel fahren gehen. Nun war es so weit, nach Kopenhagen zu fahren, um den Gewinn einzulösen. Wie immer sagten wir nichts im Voraus.
Als Heidi am diesem Morgen merkte, dass Jan ihren Wagen ins Auto packte, legte sie voller Entsetzen ihre Hand auf ihren Port und frägte ängstlich, ob wir zum Krankenhaus fahren würden. Arme, kleine Maus... Da bereiten wir den lustigsten Ausflug vor, den Heidi sich denken kann, und sie kriegt Angst, dass es in die Klinik geht. Es ist schon alles ein Elend.
Jedenfalls hatten wir einen wunderschönen Tag. Dachten, wir seien so gegen fünf wieder zu Hause, aber es wurde zehn. Es war unmöglich, Heidi und Tim von den Karusellen herunter zu kriegen. Sie fuhren und fuhren und fuhren.
Nun sind wir seit heute Vormittag wieder in der Klinik. Zu unserer grossen Verwunderung geht es also wie noch nie zuvor im Zwei-Wochen-Intervall weiter. Jetzt also Nr. 18 - so eine Chemo, wo wir nicht wissen, wann wir nach Hause kommen. Kommt darauf an, wie schnell oder langsam der Metothrexatgehalt in Heidis Blut sinkt und unter dem magischen Wert von 0,2 ist. Ein bisschen blöd, dass man nicht weiss, wie lange das dauert.
Das Setzen der Nadel ist schlimm, geht aber zweifellos besser. Kein Versuch zu spucken und zu beissen. Heidi beruhigt sich auch ziemlich schnell. Sie hatte sich wirklich mental vorbereitet, auch einige Kampfgehilfen mitgenommen: eine Barbie, ein kleines Plüschtier, einen magsichen Stein und ein Stück Papier aus einem Werbeblatt mit Dora darauf. Ihr wisst schon, die Dora, die Heidi sich so sehr wünscht. Es war ganz deutlich, dass sie es wirklich versuchen wollte. Die Schwestern lobten sie, aber Heidis eigenes Urteil war hart: "Nein, ich war nicht tapfer." Mein Gott, welch hohe Anforderungen sie an sich stellt.
Bei der Visite haben wir eine lange Diskussion mit den Ärzten, welche Anti-Übelkeit-Medizin Heidi dieses Mal bekommen soll. Nach viel Gelaber wird das dritte Medikament, das Heidi bei Chemo 16 so gut geholfen hatte, genehmigt. Später zeigt sich, dass man stattdessen das Kortison weglässt, das die Wirkung der Anti-Übelkeit-Medizin verstärken soll. Hoffentlich klappt das. Ich bin nicht besonders verzückt von dem "Wir werden sehen." der Ärzte. Heidi kan sich nämlich kein "Wir werden sehen" leisten. Wenn es ihr erst mal schlecht geht, gibt es so schnell keinen Weg zurück und es geht ihr so erbärmlich.

Donnerstag, den 30. November 2006
Es ist Vormittag. Wir sind müde und hängen durch. Heidi liegt total erschöpft in ihrem Bett. Ich hab?s ja gleich gewusst... Das "Wir werden sehen" ist nämlich voll vor den Baum gegangen. Heute Nacht ging es Heidi richtig schlecht und sie brach immer wieder, bis sie schliesslich doch die Kortisoninjektion bekam und ihr Körper sich etwas beruhigte. Leider geht die Übelkeit nicht einfach so vorüber, wenn sie erst mal in Heidis Körper Einzug genommen hat. Ach, sie tut uns so leid!
Bei der Visite bitten die Ärzte um Entschuldigung, versichern, dass Heidi von nun an immer alle drei Medikamente bekommen wird. Na ja, dann brauchen wir nächstes Mal jedenfalls nicht bitteln und betteln, immerhin etwas.Trotzdem bin ich ziemlich sauer, war es doch von Anfang an klar, dass das nicht gut gehen würde. Mein Gott! Heidi bekommt 28 Chemos, die diesen relativ bösartigen Krebs, Grad III (von vier) auf der WHO-Skala, vernichten sollen. Die Chance für Kinder, Ependymom zu überleben, ist 50:50. Die, die es schaffen, haben oft sog. Spätfolgen... Als ob ein paar Dosen Kortison da noch eine Rolle spielen würden.
Manchmal habe ich Lust, einfach mit meiner kleinen Maus zum schönsten Platz dieser Erde abzuhauen, alles Geld zu verprassen und in Saus und Braus zu leben, um dann alles hinzuschmeissen, all das Böse einfach nicht mehr sehen zu müssen... Ich weiss, dass das wohl keine gute Idee ist. Vielleicht kriegt Jan einen Schreck, wenn er das liest. Aber man muss auch mal davon träumen, dem Elend entrinnen zu können, von einem Ausweg phantasieren.

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