RÜCKBLICK - OKTOBER 2006

Montag, den 2. Oktober 2006
Die Blutprobe von heute ergibt etwas bessere Werte. Endlich! Sogar Heidi war es aufgefallen, dass sie schon lange nicht zur Chemo war. Sie hat sich erholt, ihr Appetit ist bedeutend besser und sie isst sogar Bonbons. Jetzt sagen wir ihr, dass die nächste Chemo bevorsteht. Heidi fragt sofort, wie viele Nächte wir in der Klinik bleiben müssten und versichert sich, dass wir aber erst noch ein Mal zu Hause schlafen würden. Am Nachmittag bereiten wir wieder alles für den Klinikaufenthalt vor. Kleidung, Essen, Plüschtiere und Spielsachen...
Heidi wirkt ein wenig müde. Zum Abend hin bekommt sie Fieber und bricht. 38,7 - da müssen wir zur Klinik. Heidi ist sehr traurig. "Ich will zu Hause bleiben", jammert sie immer und immer wieder. Es tut so weh, dass wir ihrem Betteln nicht nachgeben können, erklären ihr tausend Mal, dass wir machen müssen, was die Ärzte sagen... Oh, wie ich das hasse.
Wir sind zur Abfahrt bereit, aber die Ärzte von der Krebsstation meinen, dass wir noch eine Stunde abwarten sollen. Wenn Heidi einen Magen-Darm-Virus hat, ist es wegen der schlimmen Ansteckungsgefahr gar nicht gut, auf die Station zu kommen. Zum Glück steigt das Fieber nicht weiter und wir dürfen die ganze Nacht zu Hause verbringen, auch wenn wir nicht besonders viel Schlaf kriegen. Heidi bricht und bricht. Erst gegen vier wird es ruhiger.

Dienstag, den 3. Oktober 2006
Am Morgen weist uns die Krebsstation an, erst mal zur Notaufnahme der Kinderklinik zu fahren. Wir kommen, warten. Ein Arzt der Krebsstation kommt und untersucht Heidi. Ohren, Herz, Hals - alles sieht gut aus. Noch mehr Warten. Schwester Anna, auch sie von der Krebsstation, setzt die Nadel in Heidis Port, wie immer ein Drama. Und weiter warten. Lungenröntgen am Nachmittag. Ein weiteres Drama, weil Heidi ihre Jacke nicht ausziehen will. Sie wird immer völlig hysterisch, wenn sie Nadel und Schläuche im Port hat und sich ausziehen soll und das Ganze sehen kann. Bekleidet mit dem schweren Bleischutzumhang versuchen wir krampfhaft, sie zu beruhigen und die Röntgenaufnahme irgendwie hinzukriegen. So ein Stress. Dann wieder Warten. Der ganze Tag geht vorüber.
Der Arzt bringt uns die Untersuchungsergebnisse. Die Lunge ist in Ordnung. Die Blutprobe weist einen CRP von 77 und wahnsinnig hohe Werte von neutrophilen Granulozyten und Leukozyten auf, ein deutliches Zeichen einer beginnenden Infektion. Wir machen uns Sorgen. Ist es die gefürchtete Blutvergiftung? Bei einem so schlechtem Immunsystem wie Heidis ist es nicht ungewöhnlich, dass Viren oder sogar körpereigene Bakterien zu einer Blutvergiftung, der sog. Sepsis, führen können. Eine komplizierte, lebensbedrohliche Lage. Eine Blutkultur wird angesetzt, die in einigen Tagen eine Antwort geben kann.  Heidi geht es ziehmlich gut und wir dürfen einstweilen erst mal nach Hause fahren. Schön, auch wenn unsere Maus traurig ist, dass Nadel und Schlauch mitkommen müssen.

"Das war ja ein komischer Morgen. So kurz", sagt Heidi, als es schon nach einer Stunde Spielen dunkel wird.


Mittwoch, den 4. Oktober 2006
Am Morgen fahren Heidi und Papa wieder zur Notaufnahme, um Blut abzunehmen und die Entscheidung der Ärzte zu hören, wie es weitergehen soll. Einige Stunden später dürfen sie zur Krebsstation kommen und Chemo Nr. 14 beginnt. Mit ein bisschen Glück sind wir am Sonntag zu Hause.

Donnerstag, den 5. Oktober 2006

Nach einer ruhigen Nacht erwacht Heidi. Sie ist blass und still. Es geht ihr nicht gut, sie bricht. Also wie immer nunmehr. Heidi muss es ziehmlich absurt finden, dass sie von der Medizin, die sie gesund machen soll, richtig krank wird. Wenn man ihr das nur richtig erklären könnte. Sie weiss ja schon so viel. Über ihre Krankheit, den Körper, das Blut.


Dienstag, den 10. Oktober 2006
Wieder zu Hause. Schon am Samstag war der Metothrexatwert in Heidis Blut unter 0,2. Eine Stunde vor Heidis Schlafenszeit kam das Laborergebnis und wir schafften es, noch am Samstag Abend nach Hause zu kommen. Wie froh wir waren! Fünf Tage, Ihr macht Euch keine Begriffe, wie langweilig und ermüdend es in der Klinik immer ist. Brrr... Die Stunden kriechen in Zeitlupe dahin. Man kriegt Kopfschmerzen von der ganzen Warterei. Heidi gleicht, sobald sie die Nadel im Port hat, einer alten Oma. Ihr ist schlecht, sie schafft nicht viel, will nur nach Hause. Sie ist total schlecht drauf, empfindlich und gereizt. Fragt sie nach einem Spielzeug oder etwas zu essen, das wir nicht dabei haben und auch nicht im Handumdrehen herbei zaubern könnne, wird sie fürchterlich traurig. Die Tage mit Chemo haben ganz einfach nichts Positives an sich, abgesehen davon, dass dieser doofe Krebs ordentlich eine auf die Mütze kriegt.
Auf der Station begegnet man dieser enormen Konzentration schwerkranker Kinder, vom Baby bis zum Jugendlichen, alle mitten im schlimmsten Kampf ihres Lebens? Alle im eisernen Griff dieses gottverdammten Krebses, gefangen in dieser verfluchten Hölle. Der Anblick aller dieser armen Würmchen stimmt einen sehr traurig. Man kommt einfach nicht drumherum.
Das beste, was es nunmehr in unserem Leben gibt, ist nach Hause zu kommen, das Leben ausserhalb der Klinikwände zu leben, sei es auch noch so eingeschränkt.
Am Sonntag um 9 Uhr ist Heidi fürs Turnen bereit. Am Nachmittag geht die ganze Familie zum zweiten Mal in den Zirkus und auch dieses Mal ist es sehr lustig. Voriges Wochenende durfte Papa, vom Clown persönlich ausgesucht, in der Manege mitwirken. Das war ein Spass! Jedenfalls für uns, die zugucken durften.
Leider befindet Heidi sich derzeit in einer recht schweren Phase. Die Chemo hat ihren Geschmackssinn wieder mal total verdreht und zu eine Reihe anderer unbehaglicher Nebenwirkungen gefüht. Sie will nichts essen oder trinken, aber Flüssigkeit muss sie ja zu sich nehmen. Darum müssen wir schrecklich viel herumlabern. Dann sieht man ihr kleines, geplagtes Gesicht, ihre bettelnden Augen. Will nichts anderes, als aufhören zu reden und sie einfach zu drücken. Stattdessen macht man weiter: bitte, bitte, trink! Aber nichts geht runter, der Mund tut weh. Heidi hat Schmerzen in den Beinen, sie schläft unruhig, zum Morgengrauen hin liegt sie wach in ihrem Bett. Vielleicht stundenlang. Das ist so fürchterlich hart.
Heidi hat sich sehr nach ihrem Kindergarten gesehnt, darum war sie schon gestern das erste Mal dort. Am Nachmittag durfte sie dann endlich mit Papa zum Supermarkt gehen, um ein Geschenk und Blumen zu Mamas Geburtstag zu besorgen. Sie hat so darauf gewartet. Monatelang hat sie immer wieder die Farbe der Blätter und den Reifegrad der Eicheln kontrolliert hat, um zu sehen, wie lange es noch bis zum Herbst und somit bis zu Mamas Geburtstag dauern würde. Unser kleines Mädchen?

Sonntag, den 15. Oktober 2006
Heidi geht es besser, die Nächte sind wieder ruhiger, sie hat angefangen zu essen, auch wenn wir immer noch viel auf sie einreden und sie meistens füttern müssen. Sie bekommt immer das, was sie sich wünscht. Darum werden in unserer Küche zu jeder Mahlzeit mindestens zwei Gerichte vorbereitet. Viel Arbeit, aber es dauert eben auch Monate, ein halbes ?Heidikilo? aufzubauen und nur einige wenige Tage, es loszuwerden. Das mit dem Essen ist so wichtig, nicht zuletzt, damit die Chemos gut anschlagen können, damit Heidi kräftemäßig alles schafft. Ausserdem soll sie vom Schlauch in der Nase - Heidis grosser Albtraum, verschont bleiben.
An diesem Wochenende sind wir wieder unterwegs, nutzen die letzen Tage schöner Herbstsonne aus. Die Zeit im Wohnwagen ist immer etwas Besonderes. Wir sind auf eine andere Art als zu Hause zusammen.
Heute früh sind wir mit dem Hahn aus dem Bett, um pünktlich zum Turnen zurück in Staffanstorp zu sein. Einerseits macht es Heidi viel Spass, andererseits ist Bewegung für sie sehr nützlich, fördert den Appetit, die durch die Chemo trägen Darme werden aktiviert und vieles mehr.
Die nächste Chemo soll am Donnerstag beginnen, aber wie immer sind es Heidis Werte, die das letztendlich entscheiden. Sie hat blaue Flecken an den Beinen, die ziemlich tieflila gefärbt sind, ein Zeichen für niedrige Trombozyten. Wir wissen  es nicht genau, weil wir am Dienstag und Freitag darauf gepfiffen haben, nach den Ergebnissen der Blutproben anzurufen. Haben mal von weissen, roten und Trombozyten frei gemacht. Neun Monate Chemo? Wir haben die Nase so voll, sind von diesem intensiven Leben, wo Tag und Nacht ein und dieselbe Sache im Fokus steht, so erschöpft.  

Bilder von heute: Heidi und Kindergartenfreund Oskar beim Verspeisen von Erdbeertorte und Eis






Freitag, der 20. Oktober 2006

Zum Bild unten: Heidi in ihrem Element: Neues Festkleid, Eurovision Song Contest im Fernsehen und ein Mikrophon in der Hand. Wir können von diesem Anblick nie genug kriegen.


      

Trotz ziemlich niedriger neutrophiler Granulozyten begann gestern Chemo Nr. 15. Im Krankenhaus erreichen uns nette Neuigkeiten: Diese Chemo bedarf ab jetzt keiner Übernachtung mehr. Darum können wir also, wenn auch spät, am selben Abend wieder nach Hause fahren. Super! Ausserdem geht es Heidi verhältnismässig gut, sie bricht nicht ein einziges Mal. Es ist lange her, dass sie eine Chemo so gut geschafft hat.
Heute stehen wir ziemlich spät auf, schieben einen Ruhigen, machen im Prinzip nichts. 24 Stunden nach der gestrigen Dosis Anti-Übelkeit-Medizin und Kortison, das zur Ünterstützung der Anti-Übelkeit-Medizin gegeben wird, geht es Heidi immer noch recht gut. Von Milch will sie überhaupt nichts wissen, aber Wassermelone und frische Erdbeeren schmecken gut. Im Supermarkt hat sie mich ausserdem dazu überredet, eine Hand voll Blaubeeren für gut zwei Euro zu kaufen. Aber die schmecken heute nicht? Na ja.
Zum Abendbrot bestellt Heidi zum zweiten Mal diese Woche frittiertes Hähnchen von Malmös bestem China-Restaurant (das zum Glück am Stadtrand in unsere Richtung liegt). Scheint Heidis neuestes Lieblingsessen zu sein.
Das Essen nach Wunsch beansprucht also immer Zeit. Den ganzen Frühling waren es Fischstäbchen, die Heidi manchmal mehrmals täglich aß. In sieben Minuten gebraten, kein Problem. Den ganzen Sommer waren es dann gebratene Hähnchenkeulchen. Fertig in 25 Minuten, etwas schwieriger, da Heidi möglichst direkt nach aufgegebener Bestellung essen möchte. Jetzt haben wir Malmö hin und zurück, was immerhin mindestens 30 Minuten dauert. Ziemlich viel Zeit, abgesehen davon, was das Ganze kostet. Aber wir sind seelig, wenn sie zwei der drei frittierten Hähnchenstücke, aus der eine Portion besteht, verputzt. Ja, unser Leben ist schon komisch.

Unten ein Bild von Heidi mit der neuen Puppe Dora. Seht ihr den angewinkelten rechten Arm? In dieser Stellung landet der Arm, sobald Heidi die Nadel in ihrem Port hat? und da bleibt er dann, Tag und Nacht, bis Heidi ihre Nadel und alles wieder los ist.


    

Mittwoch, der 25. Oktober 2006
Gestern war wieder eine MRT. Bevor wir in die Klinik fuhren, war Heidi noch eine Dreiviertelstunde im Kindergarten, um beim grossen jährlichen Forografieren dabei sein zu können. Arme Maus, mit nüchternem Magen, da sie ja ja um 12 eine Vollnarkose kriegen sollte. Schon am Abend vorher hatte sie gefragt, ob sie denn die Nadel in ihr Port kriegen würde. War entzetzt und traurig. Das tut mir so weh. Alla Versuche, Heidi zu trösten, erscheinen armseelig und das ewige ?Wir müssen das doch machen? klingt nach elf Monate langer Anwendung richtig ausgeleiert.
Als die Nadel gesetzt wird, kämpft Heidi mehr denn je. Wir werden uns wohl wieder mal mit der Psychologin hinsetzten müssen. So kann das nicht weitergehen. Fünf Erwachsene, die so ein kleines Mädchen runter drücken müssen. Das ist doch total verrückt. Wie soll sich so ein kleines Wesen jemals von all diesen traumatischen Erlebnissen erholen?
Die MRT geht dieses Mal sehr schnell. Nach knapp einer Stunde werden wir schon zur Aufwachstation gerufen, wo Heidi schon dabei ist, ein Eis am Stiel zu verzehren. Die Untersuchungsbefunde werden wir sicher erst in einer Woche bekommen. Erst wird eine Sitzung einberufen, wo verschiedene Ärzte ihre Meinung zu den Aufnahmen sagen. Dass keiner direkt nach der MRT zu uns kam, deuten wir insofern als gutes Zeichen, dass wenigstens keine riesengrosse Knolle in Heidis Kopf zu sehen war. Das hätte man ja schon während der MRT gesehen und uns garantiert wissen lassen. Glauben wir jedenfalls. Man muss eben irgendwie die Rosinen im Kuchen finden.
Um Heidis Elend des Gestochenwerdens an diesem Tag zu vollenden, wird dann hinterher auch noch ein Nierenfunktionstest durchgeführt, von dem uns vorher niemand ein Wort gesagt hatte. Zu diesem Test werden im Abstand von einer Stunde zwei Röhrchen Blut vom Finger benötigt. Wir fühlen uns Heidi gegenüber wie die grössten Verräter, hatten wir ihr doch gesagt, dass wir nach Hause fahren würden, wenn sie aus der Narkose erwacht ist. Aber nein, stattdessen noch mehr Qualen. Super. Nichts Neues in unserem vom Gesundheitswesen geregelten Dasein, aber trotzdem recht nervend.
Glücklicherweise ist Heidi wieder gut drauf, als wir endlich nach Hause fahren dürfen. Die ganze Fahrt über reden wir nur davon, wieviel Spass es machen wird, den Rest der Woche im Kindergarten zu sein. 

Donnerstag, der 26. Oktober 2006
Heidi heute früh um neun Uhr: fertig für das Halloween-Kostümfest im Kindergarten. Sie wacht um viertel fünf auf, hat nichts ausser dem grossen Ereignis des Tages im Kopf?







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