RÜCKBLICK - FEBRUAR 2007

Donnerstag, den 1. Februar 2007
Überraschenderweise haben Heidis Werte seit Dienstag plötzlich einen Rückzieher gemacht. Also gab es gestern keine Chemo, obwohl wir so darauf eingestellt waren. Mist. Nun ist "nur" noch ein Viertel von den 28 Chemos übrig. Wir sehen einen Lichtpunkt am Ende des Tunnels, wollen vorwärts kommen, zählen Wochen und machen Berechnungen, wann die 28 Chemos überstanden sind. Aber das ist keine simple Mathematik, da Heidis Blutwerte uns immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen können. Je mehr uns das Licht im Tunnel in der Nase kitzelt, desto schwerer werden die Chemos für Heidi. Der Körper kann ganz einfach nicht unbegrenzt gestriezt werden, die Schäden am Knochenmark, wo das Blut "hergestellt" wird, machen sich immer mehr bemerkbar. Wir können nur abwarten und sehen, wie lange dieses letztes Viertel dauern wird. Wie immer müssen wir es nehmen, wie es kommt.

Heidi ist bester Laune und freut sich trotz Husten und Schnupfen des Alltagslebens. Nur ihr Geschmackssinn scheint sich mal wieder völlig verirrt zu haben. Nichts schmeckt. Darum schiessen wir scharf -  mit Sahne in der Milch, die Heidi aus der Nuckelflasche trinkt. Wir kämpfen um jede Kalorie, fühlen uns aber doch relativ ruhig. Es wird klappen. Heidi wiegt jetzt fast zwei Kilo mehr als vor 14 Montaten, als die Reise begann. Kürzlich kramten wir Heidis Buch raus, in dem seit ihrer Geburt Notizen über ihren Entwicklungsstand gemacht worden sind. Da zeichneten wir die aktuellen Punkte in die Kurven von Gewichts- und Körpergrösse ein und konnten feststellen, dass Heidi ganz richtig liegt. Mitten auf der dicken "Normal"-Linie. Ziemlich toll, wenn man bedenkt, was sie durchmacht.


Dienstag, den 6. Februar 2007
Munter, gutgelaunt und immer einen Streich auf Lager - Heidi geht es gut. Am Freitag geht sie mit vier anderen Kindern und zwei Erzieherinnen vom Kindergarten in die Schwimmhalle zum Baden. Unsere kleine Wasserratte Heidi ist schon am Abend vorher überglücklich. Ebenso am Samstag, als Robban, Marlene und Matilda zu uns zum Essen kommen - in Heidis Augen immer wie ein Fest.
Bei der Blutprobe heute Vormittag bleibt die ganze Arbeit im Labor für eine Weile liegen, da Heidi das gesamte Personal mit ihrem ununterbrochenen Redeschwall unterhält und ihre neue Polly Pocket vorzeigt. Von Marita bekommt sie einen kleinen Teddy. Das ist nicht das erste Mal, dass Marita ihr etwas schenkt. Die Frauen im Labor tun wirklich alles, dass wir sie eines Tages, wenn keine Blutproben mehr notwendig sind, richtig vermissen werden.
Eigentlich hätten wir heute kaum die Befunde gebraucht, um zu wissen, dass aus der Chemo diese Woche nichts wird. Heidis Körper spricht eine deutliche Sprache. Ein ziemlich bleiches Gesicht, grosse blaue Flecken an den Beinen, Blut am Toilettenpapier, obwohl der Stuhlgang gar nicht hart ist usw. Die Nummer eins der Serie, Vincristin und Carboplatin, hat Heidis Knochenmark wieder mal hart angegriffen. Weisse Blutkörperchen und die neutrophilen Granulozyten  haben sich zwar erholt, aber die Blutblättchen (normalerweise 140 - 400) sind auf lächerliche 13 gesunken. Der bisher niedrigste Wert. Die roten liegen mit 72 auch ein grosses Stück unter dem Soll von mindestens 100. Darum wird Heidi morgen eine Transfusion bekommen. Das dauert nur einige Stunden, aber die Nadel muss ja in den Port. Kann man nichts machen...

Auf dem Foto Heidi mit einer von Tims Wüstenmäuse, die sie Schneewittchen getauft hat.




Mittwoch, den 7. Februar 2007
Es ist halb sechs und wir sind wieder zu Hause. Die Nadelprozedur ging heute ganz gut. Vor allem beim Herausnehmen war Heidi sehr tapfer. Sie hatte sich seelisch voll darauf vorbereitet und auf dem Weg zum Behandlungszimmer plapperte sie die ganze Zeit, dass es ja schnell gehen würde.
Als wir heute zum Krankenhaus kommen, erfahren wir, dass Heidi nicht nur eine Transfusion mit roten Blutkörperchen, sondern auch Blutblättchen bekommen sollte. Der Wert 13 war ganz einfach zu schlecht. Die Blutblättchentransfusion geht schnell, aber auf die Roten müssen wir mehrere Stunden warten. Also wieder mal so ein zäher Nachmittag.

Nun guckt Heidi fern und isst frischgebackene Waffeln mit Puderzucker - tolles Abendessen, nicht wahr? Vollgetankt mit frischem Blut reicht ihre Energie sicher eine Weile länger als unsere. Na ja, es geht ihr gut, das ist das Wichtigste. Und nun kann sie nächste Woche Dienstag hoffentlich die nächste Chemo kriegen.


Mittwoch, den 14. Februar 2007

Seit gestern sind wir in der Klinik. Die Werte von Montag brachten uns nicht gerade zum Jubeln, aber die Ärzte wollten die Chemo trotzdem durchziehen. Heidi verdaut den Bescheid mit Fassung. Sie ist so tüchtig, so verständig, diese kleine Person. Hat eine solche Einsicht in die Notwendigkeit dieser gottverdammten Chemogifte. Genau wie wir sehnt sie sich wie wild nach einem Ende dieser 28 Chemos, streckt ihre Finger hoch, um zu zeigen, wie viele Male noch übrig sind. Wir reden so oft darüber.
Die Chemo dieser Woche heisst Metothrexat, von dem Heidi gestern erst 100 ml in einer Stunde und dann 500 ml in 23 Stunden bekam. Heute Nachmittag war das dann fertig. Heidi bekam auch alle drei "Anti-Übelkeit-Medikamente". Es gibt, genau wie die Ärzte versprochen hatten, keine Diskussionen mehr und Heidi geht es den Umständen entsprechend gut. Nur einmal musste sie bisher brechen. Heute früh war auf der Station viel zu tun und Heidi bekam ihr  "Zofran" (eines der "Anti-Übelkeit-Medikamente) eine Stunde später als der Plan vorgibt. Schwer zu sagen, ob das der Grund des Brechens war. Na ja... Am wichtigsten ist es, dass es ihr, wenn auch ziemlich schlecht, doch allgemein bedeutend besser geht als bei der letzten Metothrexatchemo, als die Ärzte das dritte Medikament nicht verabreichen wollten. Es ist mit Sicherheit trotzdem schwer, Heidi ist sehr schwach und liegt meistens in ihrem Bett, aber wir können mit ihr reden und auch mal einen Spass machen. Heute war sie sogar eine ganze Stunde aus dem Bett, um einen Clown zu sehen, der im Foyé der Kinderklinik seine Show abzog. Trotz allem also ein Mädchen, das nicht total auf dem Abstellgleis stehen will. Ihre Lebenslust ist einfach beneidenswert!

Nun am Abend sind alle Kinder und Eltern zum Valentins-Essen auf der Station eingeladen. Auch das will Heidi nicht verpassen. Ihr solltet bloss sehen, wie sie die Zähne zusammen beisst, wie sie kämpft, wenn wir sie in ihrem Bett aufrichten wollen, um sie dann in ihren Wagen zu setzen. Nur das Aufrichten im Bett kann mehrere Minuten dauern. Auf der Feier isst Heidi sogar einen halben Hamburger und trinkt Fanta. Heidi, unsere Festmaus und Ästhet, freut sich über die roten Girlanden an der Decke und die mit glänzenden Herzen und vielen, vielen Teelichtern wunderschön geschmückte Tafel.


Sonntag, den 18. Februar 2007
Gestern, kurz vor dem Mittagessen, kam ein herrlicher Bescheid: der MTX-Wert war 0,12 - also nichts wie einpacken und nach Hause fahren. Noch eine Chemo hinter uns, Heidi erschöpft und schwach auf den Beinen, aber überglücklich.
Wir haben gerade die Taschen im Korridor abgestellt, als Marlene anruft und uns einen ganz anderen Bescheid gibt, ausserhalb aller Möglichkeiten, die Worte zu begreifen. Marlenes Robban ist heute früh völlig überraschend gestorben. Unser Robban, dessen Name in meinen Erzählungen hier in Heidis Blogg immer wieder mal auftaucht. Unser bester Freund und Kumpel. Heidis geliebter Kletterbär. Es ist so unfassbar, tut so weh und will einem einfach nicht in den Kopf. Unmöglich zu verstehen. Unser Robban, nur 44 Jahre alt. Welch ein Verlust!
Seit 18 Jahren Jans Arbeitskollege, für Tim ein wunderbarer Kumpel. Nur wegen Robban blieb Tim oft lieber zu Hause, wenn wir "Alten" einen Abend gemeinsam verbrachten. Robban, der Bruder von meiner besten Freundin Eva. Immer eine helfende Hand, eine lustige Gesellschaft, ein fester Punkt. Ein Schlag auf die Schulter, ein verschmitztes Lächeln und ein "Pfeiff doch drauf, ist genauso gut." als mein Leben im Januar 1999 in tausend Scherben zerfallen war. So ist er, unser Robban. Wir werden dich so vermissen. Was wird nun aus deiner Familie, wie sollen deine vier Mädchen zurecht kommen...

Das ist Heidis Blogg, aber ich muss ganz einfach über das alles schreiben. Wir stehen voll unter Schock. Ein gähnendes Loch ist entstanden. Das tut so weh. Wie dünn doch der Faden ist, an dem unser Leben hängt.


Tim (im hellblauen Hemd), Marlene, Robban, meine beste Freundin Eva,
Tims Kumpel Martin sowie Björn und Jan zu Tims 20. Geburtstag am 19. August 2006


Donnerstag, den 22. Februar 2007
Das Leben geht weiter, unbeirrt. Kümmert sich nicht um unser Flehen, eine Weile anzuhalten, ein bisschen Zeit für Gedanken und  Besinnung einzuräumen. Manchmal fragt man sich, wie man alles aushalten soll.
Erst am Sonntag Vormittag erzählen wir Heidi, was eigentlich mit Robban passiert ist. Wir wissen es ja noch nicht, aber sagen jedenfalls, dass Robbans Herz kaputt gegangen ist. Heidi weiss ja so viel über den Körper. Und unsere kleine Maus wird so traurig. Weint, überlegt, zieht die Schlussfolgerung, dass Robban nun also im Himmel ist. Sie vergleicht Opa Berndts Tod mit Robbans. Beruhigt sich, versucht Lösungen zu finden, sich selbst und uns zu trösten. "Doch, doch. Marlene und die Mädchen schaffen das schon. Ihr werdet sehen."
Dann läuft sie schnell zu Tim. Wir hören, wie sie ihm von Robban erzählt und dass er in den Himmel gekommen ist. "Ich will auch, dass mein Herz kaputt geht. Dann komme ich auch in den Himmel und kann bei Robban sein." erklärt sie.
Tim kriegt einen Schreck, aber Jan und ich sind eher erleichtert. Heidi soll keine Angst vor dem Tod haben. Was wissen wir schon, was das Schicksal in Heidis, in unsere Reisetasche gepackt hat. Was wissen wir?
Die ersten Tage dieser Woche weicht Heidi nicht von unserer Seite. Wir begegnen etwas ganz Neuem: Sie will nicht in den Kindergarten gehen sondern lieber bei uns bleiben. Sie fühlt sich wegen unserer starken Reaktionen auf Robbans Tod, der schwermütigen Stimmung, unseren Seufzern und Tränen bestimmt unsicher. Ach, arme Maus. Aber was sollen wir machen? Wir müssen ihr ja die Wahrheit sagen.
Zum Glück kommt Heidi schnell auf andere Gedanken. Kinder - Überlebenskünstler. Heidi will mit ihren Kindergartenfreundinnen Emma und Amanda Geheimklubbstreffen machen. Na klar, machen wir. Am Dienstag nach dem Kindergarten sitzen drei glückliche Mädels in meinem Auto, die Spannung schlägt Funken, es gibt Mitgliedskarten und Eintrittsbeweis auf die Hand, Prinzessinnenkleider und Schmuck, lila Servietten und rosa Champagnegläser, Popcorn und Chips, Eis und Bonbons. Na ja, schliesslich ist ja nicht jeden Tag Dienstag.



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