RÜCKBLICK - NOVEMBER UND DEZEMBER 2005

So begann alles im November 2005
(am 8. Januar 2006 an Freunde, Bekannte und Kollegen in Schweden geschickt)

Samstag, den 26. November 2005
Heidi war an diesem Samstagmorgen gerade erwacht, als sie einen sehr starken, langanhaltenden und äusserst erschreckenden Krampfanfall bekam, der schliesslich in Bewusstlosigkeit endete. Mit Blaulicht ging es zur Notaufnahme in Lund. Später wurden wir auf der Kinderneurologie stationär zur Beobachtung aufgenommen. Nach ein paar Tagen durften wir wieder nach Hause fahren. In den kommenden Wochen waren einige Untersuchungen angesagt, u.a. ein EEG, um auf eventuelle Epilepsie hin zu untersuchen. Anfang Januar sollte eine MRT von Heidis Kopf durchgeführt werden. Aufgrund einer Absage von einem anderen Patienten konnte die MRT aber schon am 6. Dezember stattfinden. Heidi war noch nicht lange aus ihrer Narkose erwacht, als uns die grauenvolle Nachricht überbracht wurde: Heidi hatte einen grossen Tumor im Hirn. Es ist einfach unmöglich, in Worten auszudrücken, wie wir uns nach diesem Bescheid fühlten. Die Welt stürzte zusammen, fiel in tausend und aber tausend Stücke. Irgendwie irreparabel.
Wir wurden an diesem Nachmittag wieder in die Kinderneurologie eingewiesen. Einige Tage später bekamen wir den Operationstermin: der 13. Dezember, Lucia-Tag in Schweden. Der operierende Neurochirurg, Nils Stål, kam und erklärte uns, was er vorhatte, sprach von einem komplizierten, kniffligen Eingriff, der lange Zeit in Anspruch nehmen würde. 12, 15 oder noch mehr Stunden. Nach der Operation könnte Heidi Probleme mit ihrer linken Körperhälfte haben, was sie aber mit Krankengymnastik wieder in Griff kriegen würde. Um welchen Tumortyp es sich handelte, konnte man erst nach der Operation sagen. Die Ärzte nahmen an, dass der Tumor langsam gewachsen sei, vielleicht schon sehr lange in Heidis Kopf war. Das könnte bedeuten, dass der Tumor nicht so bösartig sei. Auch wenn man hier in Schweden alle Tumöre im Hirn als Krebs einstuft.
Die Tage vor der Operation vergingen mit einer Anzahl vorbereitender Proben und Tests. Es tat weh, Heidis Angst vor allen Ärtzen und Schwestern und deren Nadeln, Schläuche usw. zu erleben. Sie war doch völlig gesund, es ging ihr super, genau wie immer! Psychisch waren wir total am Boden, verbrachten aber Tag und Nacht jede Sekunde mit Heidi, spielten ununterbrochen mit ihr und hatten viel Spass zusammen. Jede ihrer Bewegungen, jedes Lachen saugten wir in uns hinein. Die Nächte hindurch weinten wir, redeten und redeten. Welch fürchterlicher Schmerz. 

Dienstag, den 13. Dezember 2005. Ein grosser Tag in Schweden: Lucia
Überall hatten Verwandte, Freunde und Kollegen eine Kerze nur für Heidi angezündet. Wir durften Heidi zuwider der Vorschriften bis in den Op-Saal hinein begleiten und waren bis zu dem Augenblick, als sie einschlief, an ihrer Seite. Heidi dort zu verlassen, war unglaublich schwer. Was würden wir zurück bekommen? Wie würde sie eine solch schwere Operation und alle möglichen Komplikationen überstehen?
Wir gingen in die Stadt, irgendwie. Saßen in einem Café. Kauften allerlei Dinge für Heidi. Flauschige Hosen und Jacken, die nach der Operation praktisch sein würden. Ihr erstes Nachthemd, rosa, mit Volang, auf der Vorderseite ein Druck mit den Prinzessinnen Aschenputtel, Dornröschen, Schneewittchen und Belle. Flitterpuder für die Haut, Spielsachen. Überlegten die ganze Zeit, was ihr Freude bereiten würde. Durchstöberten die Lebensmittelgeschäfte nach kleinen Chipstüten. Alles wie in Zeitlupe. Wir gingen und gingen. Verliefen uns in der kleinen Stadt sogar ...
Am Nachmittag führten uns unsere Schritte zurück zur Klinik. Wir mussten einfach in Heidis Nähe sein, obwohl es sicher noch viele Stunden dauern würde. Auf einem Zettel hatten wir die vollen Stunden bis Mitternacht geschrieben, strichen sie eine nach der anderen ab.Wider aller Erwartungen rief man uns bereits um 17 Uhr zur Neuro-Intensivstation. Wir sprachen mit einem zufriedenen Chirurgen. Die Operation war seiner Meinung nach sehr gut verlaufen. Der ganze Tumor konnte entfernt werden. Ausser einer Blutung waren keine Komplikationen aufgetreten und Heidi hatte nur eine Bluttransfusion erhalten. Oh Gott, so eine Erleichterung! 
Kurz darauf rollte man Heidi, die mit dünner Stimme nach Mama rief, auf die Intensivstation. So herrlich, jedenfalls ein Wort, das sie noch beherrschte! Was für ein Gefühl, sie zu sehen! Vorsichtig durfte ich ihre Hand halten. Unser kleines Mäuschen lebte!Heidi bekam starke schmerzstillende Medikamente. Die Nacht war relativ ruhig und Heidi brauchte kaum irgendwelche Unterstützung, abgesehen von einer Sauerstoffmaske, die aber nur vor ihrem Gesicht lag und dem Tropf, der sie mit Flüssigkeit versorgte. Sie sprach nicht, gab nur mit den Augen Zeichen, wenn wir sie fragten, ob sie Schmerzen hat. Mussten erst um Erlaubnis fragen, wenn wir ihr die Wange streicheln wollten. Aufgrund der starken Schmerzen konnte Heidi es wohl nicht ertragen, wenn man zu viel an ihr herumfummelte. Sie übergab sich von dem starken Morphium. Bekam Gegenmedizin, damit es ihr besser gehen sollte. Kam durch die Nacht. Den ganzen Mittwoch flimmerte Winnie Puh über den Bildschirm. Heidi wollte aufstehen, um auf die Toilette zu gehen, schaffte es aber nicht. Das linke Bein und der linke Arm funktionierten. Heidi konnte das Bein bewegen und leicht mit der Hand zudrücken. Begann zu trinken. Interessierte sich für die Sachen, die wir für sie gekauft hatten. Zitternd und schwach kam ein kleiner Zeigefinger unter der Bettdecke hervor, um uns auf unsere Frage hin Aschenputtel auf dem neuen Nachthemd zu zeigen. Wie schön...
Zwei Tage später verliessen wir die Intensivstation. Heidis Kopf war sehr geschwollen und das rechte Auge war vollständig verschwunden. Tim kam zum ersten Mal. Am Abend wollte Heidi ihre eigenen Sachen anziehen. Die Krankenhausmontur mochte sie überhaupt nicht. Ein kompliziertes Unternehmen, ihr Hemd und Jacke anzuziehen. Als der sonst sehr technische Tim es spät am Abend nicht schaffte, den Fernseher mit der Fernbedienung auszuschalten, während es für Mama überhaupt kein Problem war, kam das erste Lachen. Herrlich! 

Freitag, den 16. Dezember 2005
Heidi fand ihr Dasein unausstehlich. Sie hatte viel zu lange in ein und derselben Stellung gelegen. Den Kopf oder Oberkörper zu bewegen, war schier unmöglich. Sie hatte Angst. Nadeln und Schläuche wollte sie nicht sehen, Schmerzen zu haben, stritt sie aus Furcht vor möglichen Konsequenzen ab. Wie schnell sie das begriffen hatte...  Nalle Puh spendete Trost. Als wir ihr eine kleine Dose Flitterpulver gaben, lebte sie plötzlich auf. Flitter überall, im Bett, auf Heidi, auf Mama, Papa - das war ein Spass! Nun wollte sie aus dem Bett. Schwer - aber es ging! Am vierten Tag nach der OP stand sie - wenn auch noch recht wacklig - wieder auf ihren Beinen. Und sie konnte laufen. Ihr Körper funktionierte wie vorher. Am Tage darauf tanzte sie zur Radiomusik im Spielzimmer. Unglaublich!



Die Operationswunde, ein gut 20 cm langer bogenförmiger Schnitt, der oberhalb des linken Ohres beginnt und sich dann bis zum unteren Hinterkopf zieht, heilte gut. Nur ein schmaler Streifen Haar war verschwunden. Aber das anhaltende Fieber beunruhigte uns. Der sog. CRP-Wert war hoch und wir befürchteten, dass Heidi eine Gehirnhautentzündung im Anmarsch hatte. Aber es ging gut und der CRP-Wert sank Tag für Tag.                                 

Såret efter 1:a op 23/12 - 2005

Dienstag, den 20. Dezember 2005
Gespräch mit den Ärzten über die Tumoranalyse der Pathologen. Eine weitere schreckliche Nachricht. Der Tumor heisst Ependymom. Eine böse Sorte, wir hatten den Namen von einer anderen Mutter auf der Kinderneurologie schon mal gehört. Alles fühlte sich an, als ob wir wieder ganz von vorn beginnen würden. Man sprach von acht Monaten Chemotherapie, Strahlung, die man aber wegen Heidis jungen Alters nicht machen wollte. Die Rede war von einer MRT des Rückens sowie einer Knochenmarkpunktion, um festestellen zu können, ob es Metastasen in der Wirbelsäule bzw. Krebszellen in der Liquorflüssigkeit (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) gäbe. Also weitere Befunde, die auf uns warten würden. Was, wenn der Krebs sich schon verbreitet hatte? Aller Optimismus war wie weggeblasen. Das einzig Positive, woran wir uns klammern konnten, war, dass eine geglückte OP eine entscheidende Bedeutung für die Prognose dieser Krebsform hat. Und die OP war ja gut gegangen, der ganze Tumor konnte entfernt werden.

Donnerstag, den 22. Dezember 2005
Nächste Vollnarkose. Eine MRT des Rückens, weiter zur Knochenmarkpunktion und Einoperieren eines sog. Porth-a-cats unterhalb des rechten Schlüsselbeins. Bei einem solchen Port sticht man "nur" durch die Haut und hat dann eine direkte Verbindung mit einer grossen Vene, um Medikamente oder Chemogifte intravenös verabreichen bzw. Proben entnehmen zu können. Immer, wenn Heidi an Händen, Füssen oder in den Armbeugen Nadeln bekam oder Nadeln, Pflaster usw. entfernt wurden, war sie ausser sich vor Furcht und Entsetzen.Wir hatten auch Angst und fühlten uns elendig, während wir auf die neuen Befunde warteten. Im Rückgrat fand man nichts, Gott sei Dank! Auf die Auswertung der Liquorflüssigkeitsprobe mussten wir bis nach Weihnachten warten.
Mehr Tests und Proben waren notwendig: Herz, Nieren, Zähne, Gehör und vieles mehr. Für den ganzen kleinen Heidikörper wurde ein kompletter Status benötigt. Chemotherapie tötet, sowohl die Krebszellen als auch alles das, was eigentlich wachsen soll. Und ein Mädchen von 3 1/2 Jahren soll doch wachsen... Es schmerzte so verdammt, an all die möglichen Folgen und Nebenwirkungen der Chemo zu denken. Und es ist so schwer, Heidi zu erklären, dass sie krank ist. Neuerdings wäscht sie ihe Hände mehr als gerne, sie will ja nicht (wieder) krank werden...

Weihnachten 2005
Am Heiligabend bekamen wir für ein paar Stunden Ausgang. Putzten den Baum, schoben fix etwas zu essen rein, und die Kids bekamen ihre Weihnachtsgeschenke (die ich schon Mitte November gekauft hatte...) Heidi war seelig. Ja, wirklich - der Weihnachtsmann hatte gehört, dass sie da im Krankenhaus so ein tüchtiges Mädchen gewesen war. Hatte er doch solche phantastischen Geschenke mitgebracht.
Die Nacht zwischen erstem und zweitem Feiertag schliefen wir dann zum ersten Mal seit langem zu Hause. Unser Freund Robban hatte bei IKEA ein kleines Bett besorgt, das im Schlafzimmer quer vor unserem Doppelbett Platz finden würde, Tim hatte es zusammengebaut und so bekamen wir eine gemeinsame Nacht in unserem geliebten Heim. Heidis Druckverband rutschte immer wieder runter, aber wir waren schon geübt, ihn wieder fachgerecht auf den Kopf zu rollen.

Mittwoch, den 28. Dezember 2005
Wir werden zu einem weiteren Gespräch mit den Ärzten gerufen. Jedes Mal zieht sich einem der Magen zusammen. Aber zum Glück war die Liquorflüssigkeitsprobe auch okay. Es wurden keine Krebszellen festgestellt. Wie die Chemo, die im neuen Jahr beginnt, konkret aussehen soll, hatte man noch nicht festgelegt. Auch den Grad der Bösartigkeit (nach der WHO-Skala Grad I bis IV) von Heidis Tumor bekamen wir noch nicht zu wissen. Der Neurologe hatte sich mit Kollegen im Ausland kurzgeschlossen, um Heids Fall zu besprechen. In Schweden gibt es nicht so viele Kinder mit diesem Krebs und Heidis junges Alter mache die Sache besonders schwierig. Strahlung ist nämlich keine gute Alternative für so junge Köpfe und was die Chemo anbelangt, will man natürlich die optimalste aber doch schonsamste finden. Erst KW 2 könnten wir die Antwort erwarten. Über die Feiertage gibt es keine Krankheiten... Nach diesem Gespräch wurden wir entlassen. Sollten laut Neurologe so viel wie möglich zu Hause sein. Zwei "Bällchen" (Nadel mit Schlauchstück) mussten aber erst noch weg. Heidi weinte, schrie und übergab sich. Wollte lieber im Krankenhaus bleiben als die "Bällchen" wegmachen zu lassen. Wenn wir ihr doch nur helfen, an ihre Stelle treten könnten.
Heidi spielt immer wieder Doktor. All die Wochen in der Klinik hat sie fast nichts anderes gespielt. Sie bearbeitet ihre Erlebnisse...


Bebis hos doktorn 29/12 - 2005

Samstag, den 31. Dezember 2005
Silvester feierten wir bei unseren Freunden Robban, Marlene und Matilda in Staffanstorp. Heute wurde Heidi endlich ihren Druckverband los. Es ging ihr strahlend! Wir bürsteten ihr langes Haar über die Wunde. Kaum, dass man irgendwas sah.

Nyårsafton 2005


Unser kleines Mäuschen, so quicklebendig und voller Lebensfreude - ist das wirklich passiert, alles das Fürchterliche, Schreckliche? Kann dieser frohe, kecke Floh so schwer krank sein? Muss sie gegen Krebs kämpfen, gegen dessen schauerliche Versuche zu zerstören und zurückzukommen? Nein, wir werden sicher nie begreifen, was Heidi, was unserer Familie passiert ist. An dem Tag verlieren wir wohl den Verstand. Was bleibt ist die Hoffnung, selbstverständlich. Und Tim, der superoptimistisch ist. Heidi und Tim standen sich wahrscheinlich noch nie so nahe wie jetzt.

Tim och Heidi bakom ratten 4/1 - 2006

Wir warten nun auf weitere Direktiven, wie es mit Heidis Behandlung und unserem Leben weitergehen soll. Versuchen, stark zu bleiben.

Heidi, Tim, Jan und Andrea


Kommentarer
Postat av: euer Cousin und Neffe

Ich lese diese Zeilen heute das erste Mal.
Hab heute erst auf Arbeit wieder von Heidi erzählt.
Dabei fällt mir immer selber auf, dass ich viel zu wenig weiß. Das macht mich traurig. Man merkt halt doch, dass wir ein paar Km auseinander leben. :(
Ich bin super stolz auf euch!!!

2007-08-11 @ 00:02:31

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