RÜCKBLICK - JANUAR 2007

Dienstag, den 2. Januar 2007 - Gesundes Neues Jahr!

Zweitausendsieben? Die Sieben da am Ende von zweitausend klingt ein bisschen komisch, aber na ja. Hoffentlich wird es für alle ein gutes Jahr.

Heidis Erkältung, die zum Heiligabend kam, entwickelte sich glücklicherweise nicht weiter. Allerdings saß ich am zweiten Feiertag mit hängendem Kopf über meinem Mittag. Heidi fühlte sich ein wenig warm an. Jetzt würde das Fieber kommen. Ich sah eine ängstliche und traurige Heidi vor mir, wie wir die Taschen packen, um in der Klinik einzuchecken. Sah das ganze Szenarium, das uns bei Fieber über 38,5 Grad erwartete. Nadel in den Port, Untersuchungen, Lungenröntgen, Antibiotika. Aber wir blieben wieder verschont. Das Fieber kam doch nicht, das Thermometer kletterte nur einige Dezimale über 37 und am nächsten Tag war Heidi nur verschnupft. So eine Erleichterung. Wieder mal.

Bei unseren Freunden Robban, Marlene und Matilda feirten wir einen herrlichen Silvesterabend. Heute ist Heidi eine Runde im Kindergarten. Die Blutprobe hat einen akzeptablen Befund und morgen geht es also wieder in die Klinik. Es macht überhaupt keinen Spass, die Taschen zu packen und die kommenden vier Tage vorzubereiten. Aber wir wissen ja, dass die 28 Chemos, die Heidi insgesamt kriegen soll, unvermeidlich sind. Wir müssen da halt durch und uns ganz einfach auf Samstag freuen, wenn Nummer 20 hinter uns liegt.


Donnerstag, den 4. Januari 2007

Es ist neun Uhr abends. Heidi schläft. Jede Stunde tropfen 8 ml Cisplatin, das schlimmste Gift von allen, in ihre Adern. Aber bis jetzt ist es ganz gut gegangen. Das bedeutet, dass sie nicht völlig erschöpft ist und, fast genauso wichtig, dass sie nicht gebrochen hat. Wie die Ärzte letztlich versprochen hatten, bekam Heidi gestern alle drei Anti-Übelkeit-Medikamente und soweit scheint es ganz gut zu funktionieren.

Heute Vormittag bat Heidi um gebratene Mini-Würstchen und aß vier solche - wenn auch mit der Brechtüte in Reichweite. Sie ist so tüchtig, unsere kleine tapfere Maus. Dann versuchte sie sogar, aus dem Bett zu kommen und es gelang ihr, eine Weile bei der Spieltherapie zu basteln. Davon war sie dann so k.o., dass sie erst mal zwei Stunden schlief. Der Nachmittag war ruhig. Heidi sah ein bisschen "Pingu" im Fernsehen und aß noch einen Happen.

Unter dem Strich könnte es ein relativ guter Tag gewesen sein. Wenn nicht die Schwester, die den Tropf mit dem Cisplatin anschloss, so armseelige Mathefähigkeiten gehabt hätte. Dummerweise haben wir uns in den letzten Monaten auf der Station wieder etwas sicherer gefühlt und sind nicht mehr so wachsam gewesen. Es schien, als hätte man alles wieder besser im Griff und wir kontrollierten angefangen bei Tropfeinstellungen bis zur Urinmenge nicht mehr jedes Detail. Das ging einem nämlich auf die Dauer auf die Nerven und nicht zuletzt zehrte es an den Kräften. Als ich dann gestern die 11 ml pro Stunde, die die Schwester einstellte, in Frage stellte, und die Schwester meinte, es wäre alles gewogen und ausgerechnet, na, da dachte ich, dass es dann wohl stimmen würde. Der Infusionsbeutel Cisplatin sollte 24 Stunden, also bis kurz nach dem Mittagessen, reichen. Aber heute früh signalisierte die Tropfenzähler schon um sieben Uhr, dass der Beutel leer sei. Da begriff ich natürlich, dass an den 11 ml doch irgendwas faul war. Verdammt! Musste das passieren? Und wo, zum Teufel nochmal, sind die Routinen, die auf einer Station wie dieser so bitter notwendig sind? Zum Glück übernachtet Jan dieses Mal im Ronald McDonald Haus und kan schnell herüberkommen. Auch wenn er an der Sache nichts ändern kann, ist es doch schön, dass ich ihn an meiner Seite haben kann. Schliesslich bin ich mehr als rasend. Ich verlange, sofort mit einem Arzt zu reden. Doktor Helga kommt direkt, nachdem sie heute Morgen ihren Dienst angetreten hat. Sie spricht mit uns, versucht uns zu beruhigen. Cisplatin kann ernsthafte Schäden an Nieren und Gehör verursachen, aber sie beurteilt das Risiko als ziemlich gering. Die Hauptsache sei, dass innerhalb der gesamten 24 Stunden keine Überdosis gegeben würde. Hm, wo ist dann der Witz, diese 192 ml gleichmäßig auf 24 Stunden zu verteilen? Später, bei der Visite, kommen die Ärzte mit einem weiteren Argument. Sie erzählen, dass man in anderen Kliniken dieselbe Menge Cisplatin in kürzerer Zeit verabreicht. Sind wir jetzt beruhigt? Weiss nicht. Aber vor dem nächsten Nieren- und Gehörtest werden wir sicherlich nervöser als sonst sein. Ja, das war also diese Geschichte. So blöd. Und so verdammt unnötig.


Montag, den 8. Januar 2007

Nun sind wir wieder zu Hause. Heidi ging es mit jeder Stunde, die sie mit ihrer Chemo vorankam, schlechter. Aber trotz einiger Brechattacken war sie doch nicht so völlig am Boden, wie es früher vorgekommen ist. Mit recht froher und kräftiger Stimme gab Heidi immer wieder mal einen Kommentar zum Fernsehprogramm von sich, lachte sogar ab und zu. Ein paar Mal versuchte sie, etwas zu essen. Wir durften sie berühren, streicheln, ihr Küsschen geben. Ganz anders, als es manchmal sein kann. Ihr könnt Euch denken, wie es ist, wenn sie auf der "gegenüberliegenden" Seite ist.

Am Freitag und Samstag, als nur noch der Spültropf übrig ist, bekommen wir den wieder in den Rucksack. Aber leider zu keinem Nutzen, da Heidi es einfach nicht schafft, aus dem Bett zu kommen. Manchmal kann sie sich nicht mal hinsetzen. Sie tut uns so schrecklich leid.

Am Samstag gegen halb vier wird die Nadel aus dem Port gezogen und wieder mal lässt Heidi uns mit offenem Mund staunen, als sie ihre an dieser Stelle schon früher beschriebene Wendung von 180 Grad vollzieht. Sie ist wie aufgezogen, scheint die ganze Welt umarmen und allen erzählen zu wollen, dass es wieder mal vorbei ist. Das lässt sich mit Worten ganz einfach nicht beschreiben. Als sie herumhüpft statt etwas ruhigere Schritte zu machen, fällt sie hin. Sie ist noch sehr schwach, ihre Beine noch nicht stabil, der Magen bis auf den letzten Bissen leer. Aber in Heidi gibt es einen WILLEN. Und genau das ist ihr Benzin, wenn es keine Kalorien gibt. Wir werden nie begreifen, wie sie das macht, aber werden stets aufs Neue Augenzeuge dieses Schauspiels. Ich muss es ganz einfach sagen: Es wäre verdammt zynisch, wenn dieses Mädchen die Krebszellen nicht besiegen würde.

Apropos Krebszellen: Drückt den Daumen, dass es in Heidis Kopf keine neuen gibt! Am Donnerstag ist die nächste MRT. Auf den letzten MRT-Bildern waren ja Schatten über dem Operationsgebiet zu sehen und die Frage, ob es Tumorreste oder nur vernarbtes Gewebe ist, steht immer noch offen.

Es ist nun 22 Uhr. Heidi konnte trotz aufrichtiger Versuche heute Abend nicht einschlafen. Sie ist immer noch im Gange und dabei war sie heute früh zwischen fünf und sechs wach (Nachbeben, es ging ihr schlecht, sie brach), am Tage war sie vier Stunden im Kindergarten, dann mit zum Einkaufen, dann Spiel und Spass zu Hause? 

Vor einer halben Stunde aß sie ihre zweite Ladung frische Himbeeren für heute. Lecker.


Donnerstag, den 11. Januar 2007

Heute kam es - das verdammte Fieber. Von einigen lustigen Stunden im Kindergarten nach Hause gekommen, ist Heidi ziemlich matt und fühlt sich irgendwie wärmer als sonst an. 38 Grad - die Hoffnung ist gross, dass es dabei bleibt. Aber nein. Halb sechs machte das Themometer den gehassten Schritt über 38,5. Darum rufen wir die Kinderkrebsstation an, um späte Gäste anzumelden. Heidi muss brechen, trocknet sich den Mund ab und fragt im selben Augenblick, ob wir es denn noch schaffen würden, eine Weile zu spielen, bevor wir fahren. 

Während wir das Haus und die Taschen für die Abfahrt vorbereiten, schläft Heidi ein. Kleines Mäuslein. Erst müssen wir zur Kindernotaufnahme, dann zur Kinderinfektions-station. Neue Regeln? Heidi kriegt zwecks Blutprobe den obligatorischen Stich in den Finger, was richtig schlimm ist. Sie schläft zum zweiten Mal heute Abend ein. Wird von einem Arzt untersucht, aber es kann nichts festgestellt werden. 20.30 Uhr zum Lungenröntgen. Jan und ich etwas nervös. Lungenröntgen ist immer ein riesen Drama, da Heidi ihren Port nicht sehen will, wenn die Nadel drin steckt. Aber nun es noch nicht so weit und das Röntgen geht wie geschmiert. Heidi war super. Dann wieder warten, warten und nochmals warten... Die, die diesen Blogg lesen und in derselben Situation gewesen sind, wissen, wie unbeschreiblich anstrengend das ist. Es ist so langweilig, niemand von uns will hier sein, das Kind ist müde und unruhig, der Magen knurrt, die Zeit vergeht im Schneckentempo, man weiss nicht, was als nächstes passiert usw. Gestern fragten wir uns dann auch noch ernsthaft, ob die MRT nun gemacht werden könnte. Bei Fieber wollen die Narkoseärzte nämlich keine Vollnarkose durchführen.

Nach und nach kommen die Befunde und eine Beurteilung des Arztes. Alles deutet auf eine bakterielle Infektion hin, das bedeutet den sofortigen Einsatz von intravenösem Antibiotikum und Ansetzen einer Blutkultur. Nun ist also die Nadel dran. Gegen 23.00 Uhr ist sie im Port und Heidi mehr denn je aufgeregt und traurig. Sie war immer wieder eingeschlafen, hatte Hunger und war eben ganz einfach nicht gut drauf. Wir wussten, dass es ein Höllentheater werden würde. Es tut so verdammt weh, sein Kind in so einer Lage zu sehen. Kurz nach Mitternacht schläft sie ein. Das Fieber verschwindet wieder und kommt auch nicht zurück.

Am Morgen schaut der Narkosearzt herein und erkundigt sich nach Verlauf und Lage. Kein Fieber mehr, alles so weit in Ordnung ? er stimmt der Vollnarkose und somit der MRT zu. Gott sei Dank! Um 9 Uhr schläft Heidi, alles ging prima, alles war ruhig. Das Team von der Röntgenstation ist so phantastisch. Sie sind alle so lieb zu Heidi. Wir fühlen uns richtig sicher, wenn Heidi in deren Händen ist. Knapp zwei Stunden später kommt Heidi zur Aufwachstation. Alles ist gut. Bisher haben wir von dem MRT-Befund noch nichts gehört. Das wird wohl dauern.

Dann müssen wir noch mehr langweilige Stunden aushalten. Um 16 Uhr bekommt Heidi ihre Antibiotikainfusion und dann bekommen wir Ausgang (YES!) und fahren nach Hause. Noch im Krankenhaus hat Heidi Spaghetti und Sosse bestellt und sie isst eine grosse Portion.

Um Mitternacht müssen wir wegen der nächsten Antibiotikainfusion zurück nach Lund. Dann wieder zurück nach Hause, um am Morgen wieder wegen der nächsten nach Lund zu fahren. Wir werden sehen, wie lange es so gehen wird. Wir wissen nicht, wann der Befund der Blutkultur kommt und können mit einem pendelreichem Wochenende rechnen. Aber das ist unsere eigene Entscheidung. Wir könnten auch in der Klinik übernachten. Alle sind nett dort, viele sind sogar obendrein noch tüchtig, aber trotzdem... Nein, Danke. Von Krankenhaus haben wir die Nase wirklich voll.


Dienstag,
den 16. Januar 2007

Hatten wir letztlich die Nase von Krankenhaus voll, dann haben wir sie jezt übervoll. Jede achte Stunde bekam Heidi ihr Antibiotikum. Manchmal dauerte die Tour eine Dreiviertelstunde, manchmal doppelt so lange. In der Nacht zwischen Freitag und Samstag war der Port dicht. Aber die hinzugerufene Schwester Nina von der Kinderkrebsstation, eine unserer Lieblingsschwestern, löste das Problem und die Infusion konnte gegeben werden. Zum Glück! Die Ärzte haben die Antibiotikakur nicht frühzeitig abbrechen wollen, da sie ja doch noch nicht wussten, ob es wirklich ernst war, wie z.B. bei einer Blutvergiftung. Aber je länger die Blutkultur wuchs, desto unwahrscheinlicher wurde diese Annahme. Nach einigen Tagen schien das ständige Pendeln unser Leben völlig zu bestimmen. Aber es war doch schön, die Klinik so viel wie möglich meiden zu können. Besonders angesichts der Tatsache, dass Heidi auf der Infektionsstation lag. Auf der Kinderkrebsstation hat man wenigstens ein bisschen Bewegungsfreiheit, ein kleines Spielzimmer, Zugang zu Kühlschrank, Tiefkühlschrank und Herd, um etwas zu essen machen zu können. Ihr wisst ja, dass Heidi sich immer wünschen kann, was sie essen möchte. Zu Hause kein (grösseres) Problem, etwas schwieriger auf der Krebsstation, unmöglich auf der Infektionsstation. Abends gingen wir gemeinsam mit Heidi zu Bett und wenn um 23.45 Uhr der Wecker klingelte, wussten wir nicht, ob es zur Klinik oder Arbeit gehen sollte. Zwei Nächte gelang es uns, Heidi schlafend ins Auto einzuladen, sie zwecks Infusion ins Krankenhausbett zu legen und sie wieder in ihr eigenes Bett zu bringen, ohne dass sie eigentlich richtig aufwachte. Wie lange das so gehen sollte, war immer noch unklar, aber es ging ja in die richtige Richtung. Wir hofften jedenfalls, dass die nächste Chemo, die für Mittwoch, den 17. Januar, geplant war, klappen würde. Da die Nadel ja schon im Port war, würde alles viel einfacher sein. Etwas Gutes muss ja jeder Scheiss mit sich führen.

Aber dann passierte es. Schon wieder... Ich verkneife mir die bösen Worte. Im Moment aus, könnte man sagen. Also: Gestern nach der Schule, wo ich übrigens bei der Zeichenstunde mit meiner neunten Klasse von Heidi und Jan assistiert wurde, fuhren wir wie gehabt in die Klinik. Eine in Fragen Port-Infusionen ungeübte Schwester gibt Heidi das Antibiotikum, während eine andere Schwester sie beobachtet und überwacht, dass alles richtig gemacht wird. Danach müssen wir noch eine Stunde auf einen Arzt warten, der mit uns reden wollte. Was hat er eigentlich gesagt?

Schliesslich sind wir um 17.20 Uhr endlich zu Hause. Zehn Minuten später serviere ich Heidi wieder mal Spaghetti und Sosse. Dann koche ich das Essen für uns anderen in der Familie, schaue kurz nach Heidi, die gerade ihren Teller leer gelöffelt hat. Komisch, dass sie so gekleckert hat. Was für ein riesiger roter Fleck auf ihrer hellblauen Nickijacke! Ratet mal, ob das Sosse war. Für diese richtige Antwort gibt es fünf Punkte... Als ich die Sache näher untersuche, sehe ich rot. Der Schlauch zum Port voller Blut, die zwei Tupfermützchen, die immer über die Ventile, die an den Schlauch angeschlossen sind, gestülpt werden, sind auch rot. Ja, und wie gesagt die Jacke. Jan macht die Tupfermützchen ab, stellt fest, dass die Ventile nicht geschlossen sind. Sie stehen, in die falsche Richtung gedreht, voll offen! Er greift sofort nach dem Telefon, spricht mit der Infektionsstation. Die meinen, wir könnten ruhig erst essen. Was, sind die denn total verrückt? Erst essen? Schnell hinein ins Auto, zurück nach Lund. Wir fühlen uns total mies. Was wird nun wieder passieren? Und vor allem: Was muss Heidi nun wieder über sich ergehen lassen?

In der Klinik angekommen, bewahrheiten sich die Befürchtungen. Der Port frunktioniert nicht mehr. Das Blut im Schlauch ist wohl geronnen. Die Schwestern von der Infektionsstation sind ratlos. Eine Schwester von der Krebsstation wird hinzugerufen und kommt unmittelbar. Wir atmen ein wenig auf. Es ist Anna, eine tüchtige Schwester. In Sekundenschnelle beurteilt sie die Lage. Es gibt eine Chance, dass die Nadel im Port bleiben kann, wenn der Schlauch mit dem geronnenen Blut sofort ausgetauscht wird. Heidi hört das Wort Nadel und flippt aus. Jan und ich halten sie fest. Wir sind rasend vor Wut. Anna arbeitet febril, reisst die grossen Pflaster von Heidis Brust, entfernt den alten und schliesst einen neuen Schlauch an, desinfiziert die Haut, drauf mit dem neuen Pflaster ? fertig. Der Port funktioniert! Wir beruhigen uns. Wollen einfach nur nach Hause. Jan und Heidi packen unsere Siebensachen wieder ein, warten im Auto, während ich fix zum Klinik-Shop laufe, um Anna einen Strauss Tulpen zu kaufen. Flitze damit hoch auf ihre Station. Sie drückt mich ganz fest. "Ihr wollt doch nicht etwa jetzt gleich nach Hause fahren?" fragt sie erstaunt. "Bleibt noch eine Stunde und guckt erst mal, dass alles okay ist." Sie will auch gleich den Bereitschaftsarzt der Krebsstation anrufen, um die Sache mit ihm zu besprechen.

Also laden wir Heidi wieder aus dem Auto aus. Sie trägt es überraschenderweise mit Fassung. Jan geht zur Infektionsstation, um mit den Schwestern dort zu reden. Aber dort meint man, wir könnten ruhig nach Hause fahren. Wir fühlen uns unsicher, glauben eher, was Anna sagt. Bleiben in der Klinik. Jan geht wieder hoch zu Anna, Heidi und ich zum Klinik-Shop. Heidi will so gern wissen, welche Farbe die Tulpen hatten, die ich Anna gekauft habe. Ach ja, Blumen - wie sehr Heidi sie doch liebt. Wir kehren zurück und mit der Hand an der Eingangstür zur Infektionsstation klingelt mein Handy.

Auf einmal steht alles auf dem Kopf und wir müssen die Nacht in der Klinik bleiben. Ein Arzt kommt (sieht man sonst selten). Neue Blutproben sollen gemacht werden und Heidi wird die ganze Nacht unter Observation stehen. Puls, Blutdruck und Sauerstoffgehalt des Blutes werden jede Stunde gemessen, damit man schnell entdecken kann, falls mit Heidi etwas nicht stimmt. Genauer gesagt, um rechtzeitig feststellen zu können, dass ein eventuelles Blutgerinsel versucht, die Maschinerie aus dem Gange zu bringen.

An diesem Abend haben wir viele Fragen. Wie kann eine ausgebildete Krankenschwester so ungeschickt sein? Was wäre passiert, wenn es in Heidis Schlauch in die andere Richtung gegangen wäre, d.h., wenn Luft in die grosse Vene eingedrungen wäre? Was wäre gewesen, wenn wir Anna nicht die Tulpen gekauft und sie darum an diesem Abend noch einmal getroffen hätten, wenn sie sich nicht in die Angelegenheiten einer anderen Station eingemischt und mit ihrem Bereitschaftsarzt Rücksprache gehalten hätte? Gott sei Dank gibt es Leute mit Kopf und Verstand und Gott sei Dank, dass wir das eine und andere in Frage stellen und nicht alles einfach hinnehmen.

Ich fahre also nach Staffanstorp, um einige Übernachtungsutensilien zu holen. Es ist spät, aber eine Nachbarin und ihr Sohn helfen mir, mit unseren zwei Autos zurück nach Lund zu kommen. Jan hat am kommenden Tag einen Termin in Halmstad. Wie sollen Heidi und ich dann nach Hause kommen? Es ist schon nicht so einfach, alles unter einen Hut zu kriegen... Ihr habt keine Ahnung.

In der Nacht ist alles ist ruhig. Heidi schläft gut. Am Vormittag müssen wir wieder lange warten. Gegen elf kommt Doktor Helena, Chefarzt der Kinderkrebsstation. Sie kritisiert das Vorgefallene mit aller Schärfe. Ausserdem hat sie drei gute Nachrichten. Zum einen hat die Blutkultur nichts ergeben, zum zweiten wird die Antibiotikakur nun abgebrochen und zum dritten sind Heidis Werte gut genug, um ihr morgen die nächste Chemo zu verabreichen.

Halb eins gehen wir dann noch mal fix zum Hörtest. Mit Erleichterung beobachte ich, wie Heidi problemlos ihren Turm baut, Stein auf Stein für jeden Piep, den sie hört. Also ist mit dem Gehör noch alles in Ordnung. Jetzt aber schnell zum Auto und ab nach Hause. Der beste Platz auf der ganzen Welt.


Mittwoch, den 17. Januar 2007

Heute sind Papa und Heidi in der Klinik - Chemo Nr. 21. Die Nadel muss nicht in den Port, sie ist ja schon drin. Heidi hat super Laune, sie ist putzmunter und froh und plappert wie ein Wasserfall. Die Chemo geht gut.

Doktor Helena gibt uns zwei richtig gute Nachrichten hinbsichtlich der letzten MRT. Zum einen sind die Schatten, die im Oktober zu sehen waren, kleiner geworden. Zum anderen sind keine Tumöre im Spinalkanal (Wirbelkanal) entdeckt worden. Bei Heidis Tumorform befinden sich die Geschwülste in den Hohlräumen des Gehirns, wo sich auch die sogenannte Liquorflüssigkeit befindet. Mit Hilfe dieser Flüssigkeit können die Tumorzellen in den Spinalkanal gelangen und dort Metastasen bilden. Gar nicht gut.


Donnerstag, den 18. Januar 2007

Die Nacht zu Hause verläuft ruhig. Kein Brechen. Am Morgen sieht Heidi ein wenig mitgenommen aus, aber sie ist mehr als glücklich darüber, in den Kindergarten gehen zu dürfen. Dort isst sie zu Mittag drei Portionen Suppe und drei kleine Brötchen. So viel hätte sie hier zu Hause nie gegessen. Sowohl Jan als auch ich sind heute auf Arbeit. Schön, ein bisschen normalen Alltag zu erleben.

Am Abend will Heidi nichts essen. Sie ist plötzlich extrem geruchsempfindlich, genau so wie sie immer ist, wenn sie die Chemogifte kriegt. Ein deutliches Zeichen, dass ihr schlecht ist. Sie fühlt sich auch ein bisschen warm an und richtig: Da ist es wieder, dieses verdammte Fieber. Nur 37,8 aber doch genug, um uns zu beunruhigen. Was werden die nächsten Stunden bringen? Heidi ist gerade eingeschlafen, da beginnt eine Folge kräftiger Brechanfälle. Jan sitzt den ganzen Abend an Heidis Bett, während sie eine nach der anderen Brechtüte füllt. Wenn wir doch bloß nicht heute Nacht noch in die Klinik müssen. Wir waren ja diesen Monat schon 12 Tage dort.

Und so klettert das Fieber auf 39 hoch. Ein langes Gespräch mit einer Schwester der Kinderkrebsstation. Vielleicht, vielleicht ist alles nur ein Nachbeben. Gestern hatte Heidi ja Carboplatin bekommen, das oft noch lange herumspuken kann. Es ist schon mehrere Male passiert, dass Heidi Fieber hatte, wenn auch nicht 39, und gleichzeitig brechen musste. Die Schwester meinte, wir könnten Heidi eine fiebersenkende Tablette geben und eine Stunde abwarten. Gegen Mitternacht zeigt die Fieberkurve glücklicherweise wieder nach unten.


Freitag, den 19. Januar 2007

In der Nacht messe ich einmal pro Stunde Fieber. Habe Angst, dass es einfach nur in die Höhe schiessen könnte. Wenn es sich tatsächlich um eine gefährliche bakterielle Infektion handelt, könnte es mit jeder Stunde, die vergeht, schwerer werden, die Infektion unter Kontrolle zu kriegen. Vorige Woche habe ich eine Menge über Blutvergiftung gelesen und gelernt, dass es von äusserster Wichtigkeit ist, eine solche schnellstens zu identifizieren und mit starken Antibiotika zu behandeln. Mit diesen Gedanken im Kopf herumkreisend, ist es unmöglich einzuschlafen. Zum Morgen hin ist Heidis Fieber weg, aber sofort nach dem Aufstehen ist es wieder da. Wir gehen zum Ambulatorium, um eine Blutprobe machen zu lassen. Der CRP-Schnelltest ergibt 10 - etwas zu hoch, aber nicht so schlimm. Die weissen Blutkörperchen, die bei einer bakteriellen Infektion ruckartig in die Höhe schnellen, sind eher schlecht als erhöht. Das Fieber bleibt um die 38 und Heidi scheint ein bisschen erkältet zu sein.

Nun hoffen wir, auch die nächste Nacht zu Hause bleiben zu können. Dann ist vielleicht das Schlimmste überstanden und wir kriegen ein bisschen Ruhe. Wir haben im Moment nicht mehr allzu viel Kraft übrig. Mögen unsere Gebete erhört werden.


Montag, den 22. Januar 2007

Wir haben es geschafft! Ohne Klinik! Heidi braucht all die mit akuten Klinikbesuchen verbundenen Untersuchungen und den dazugehörenden Stress  nicht durchzustehen. Wir waren so erleichtert, als das Fieber in der Nacht zum Samstag endlich verschwand.

Für Heidi hatte das auch eine andere Konsequenz: Sie kann zu Emmas Geburtstagsfeier gehen und ausserdem hat das Turnen wieder angefangen.

Wie schnell sich die Lage ändern kann. Unglaublich. Das kleinste Krümchen neue Kraft und schon ist Heidi wieder voll drauf.

Grosstante Lore in Deutschland, die immer auf alle erdenkliche Weise versucht, Heids Dasein eine Goldkante zu verleihen und die oft traurig ist, uns nicht mehr helfen zu können, schickt einen wunderschönen Strauss Tulpen, um Heidi eine Freude zu machen. Das Foto, das ich gemacht habe, könnte heissen: Glückliche Heidi = glücklicher Papa. Stimmt's?



Sonntag, den 28. Januar 2007
Heidi ist Heidi zum Geburtstagsfest, Smilla hat Schlafanzugparty. Heidi macht das viel Spass. Dass heute ein Geburtstagsfest auf dem Tagesprogramm steht, erfährt Heidi erst ein paar Stunden vor dem Fest. Wie immer haben wir uns nicht grtraut, etwas im Voraus zu sagen. Stellt Euch vor, wie traurig Heidi wäre, wenn wir stattdessen in die Klinik müssten. Und dann wären wir garantiert auch traurig.In Staffanstorp ist am Anfang der Woche so viel Schnee gekommen, dass Heidi endlich das Skifahren ausprobieren kann. Zum ersten Mal. Sie war so neugierig darauf gewesen. Nicht so leicht, stellt sie fest und hat schnell genug. Schlittenfahren ist doch viel einfacher. 




Heidi und wir anderen Familienmitglieder sind seit einigen Tagen erkältet. Ansonsten war die Woche ruhig und wir haben uns von den Zwischenfällen der vorigen Woche erholt. Am Mittwoch ist die nächste Chemo dran und das bedeutet mindestens fünf Tage Klinik.

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