RÜCKBLICK - SEPTEMBER 2006

Sonntag, den 10. September 2006
Sei unserer Heimkehr aus der Klinik am 29. August geht es Heidi recht gut. Jeden Tag ist sie für ein paar Stunden im Kindergarten, obwohl ihre Werte sehr niedrig sind, der Husten immer noch nicht weg und ihr Appetit irgendwo tief im Keller ist.
Am Wochenende waren wir mit dem Wohnwagen in Falsterbo. Als wir am Meer vorbei kamen, wo es schrecklich nach vergammeltem Tang roch, sagte Heidi: "Hier riecht es nach Pfefferkuchen." Angesichts des Zusammenhangs zwischen Geruch und Geschmack ist es also gar  nicht komisch, dass Heidi nicht besonders viel Spass am Essen hat, wenn sie meint, dass vergammelter Tang und Pfefferkuchen genauso riechen. Dank der Sahne, die wir in ihre Milch mischen, hat sie aber ihr Gewicht einigermassen halten können. 
Aus der nächste Chemo am Mittwoch (13.9.) wird wohl nichts werden. Sämtliche Werte sind unter aller Kritik. Aber wie immer merkt man Heidi nicht viel an, ausser dass ihre Laune nicht immer ganz stabil ist, sie immer recht blass aussieht und eine Menge blauer Flecken an den Beinen hat.
Heidi hat in letzter Zeit viel davon geredet, dass sie einen Hund oder eine Katze haben will. Nicht so ungewöhnlich in ihrem Alter. Nun darf sie mit Tim zu einer Familie mitgehen, die gerade ganz kleine Hunde- und Katzenbabies hat. Glücklich hält Heidi diese süßen, kuschligen Kleinen im Arm und trägt sie herum, streichelt und streichelt das weiche Fell. Zu Hause erwarten wir nun einen Grossangriff - aber nein, zum Glück erst mal keine Drängelei nach einem Kätzchen. Tim hat sich nämlich zwei Wüstenmäuse angeschafft, die Heidi gern beobachtet und die sie sehr niedlich findet.





Dienstag, den 12. bis Mittwoch, den 20. September 2006
Wenn Heidis Werte kürzlich unter aller Kritik waren, wissen wir nicht, wie wir sie jetzt beschreiben sollen. Aus der Chemo am 13. September wird jedenfalls nichts. Am Tage vorher war Heidis Hb 71 (normal 100 - 150) und die Trombozyten, die für die Blutgerinnung verantwortlich sind, lagen bei lächerlichen 14 (normal 140 - 400). Auch das Immunsystem war total im Keller. Trotzdem lassen wir Heidi in den Kindergarten gehen. Ein schweres Abwägen von Für und Wider, ein Balancieren auf Messers Schneide. Der Kindergarten ist so wichtig für sie. Alles geht gut und Heidi geniesst ihre Stunden bei den Kindern.
Am Freitag ziehen wir den Wohnwagen wieder mal zu Skånes Tierpark. Fahren am Samstag zurück, um bei Robban und Marlene zu Abend zu essen. Für Heidi ist das immer ein Fest. Sie ist froh und aufgedreht und verspeist zwei Miniwürstchen und ein Stück Brot, ohne dass wir das Geringste auf sie einzureden brauchen. In den letzten Monaten habe ich oft mehrere Stunden pro Tag damit verbracht, Heidi zu füttern. Damals, am Anfang dieser schrecklichen Reise, hätte ich nie gedacht, dass ich das je durchstehen würde.
Der Sonntag lädt zu mehreren Zerstreuungen ein - das Turnen hat wieder angefangen. Am Nachmittag geht Heidi nochmal mit Tim zu den Hundewalpen und Kätzchen. Es muss für so ein kleines Mädchen ganz einfach ein Traum sein, mit diesen kleinen Tierchen spielen zu dürfen.
Eine neue Blutprobe am Montag, dem 18. - ein Jubileum. Zum 50. Mal wurde Heidi ein Röhrchen Blut vom Finger gezapft. Meistens geht das jetzt recht gut, was für alle Beteiligten eine Erleichterung ist.
Halb zwei ruft die Klinik an. Heidis Hb-Wert liegt bei 63 - nun geht es nicht mehr, wir müssen zur Transfusion kommen. Ich verlasse Hals über Kopf die Schule. Wir müssen Heidi vom Kindergarten abholen, sie mitten aus dem Spiel reissen. Kurz vor drei wird die Nadel gesetzt und Heidi strampelt mit den Beinen, tritt in alle Richtungen, schreit aus vollem Hals, dass sie nach Hause will. Sie wird das nie akzeptieren. Und wir leiden jedes Mal aufs Neue mit ihr.
Die Transfusion geht gut. Heidi hat dieses Mal keine Angst vor der Tüte mit dem Blut und und dem tiefroten Schlauch. Wir gehen sogar zum Klinikshop, wo Heidi um ein Wiener Würstchen bittet. Hurra!
Heute wieder zum Blutabnehmen. Zwar liegen die Roten nun bei 102, aber die anderen Werte sind immer noch ziehmlich mies. Da gibt's diese Woche wohl wieder keine Chemo. Aber die Ärzte wollen scheinbar nicht länger warten. Also packen wir die Taschen. Morgen beginnt also die Nummer 14. Wenn wir dann in fünf, sechs Tagen wieder nach Hause kommen, haben wir die Hälfte hinter uns.

Donnerstag, der 21. September 2006

Zwischen halb und um zehn sollen Papa und Heidi heute in die Klinik. Jan lastet gerade die Taschen ins Auto, als die Krebsstation anruft, um die beiden in letzter Sekunde zu stoppen. Keine Chemo diese Woche, lautet der neueste Beschluss. Heute findet man wahrscheinlich, was wir gestern auch meinten: Heidis Werte sind zu schlecht, um Gifte in ihren Körper pumpen zu können.
Wieder mal völlig unnötig eine Menge Unruhe und Hektik. Schon, Heidi hüpfte vor Freude in die Luft, als sie hörte, dass sie statt in die Klinik in den Kindergarten fahren würde. "In der Klinik macht es ja keinen Spass", kommentierte sie. Aber all die Zeit, die für die Vorbereitung auf diese Tage wieder drauf gegangen ist - das Taschenpacken, Essen vorbereiten usw. Ist schon blöd, dass unsere Kraft so verschwendet wird. Na ja.Nun wird morgen und am Montag wieder Blut abgenommen, dann werden wir sehen...

Freitag, der 29. September 2006
Immer noch keine Chemo Nr. 14 - wir kommen nicht vom Fleck. Heidis neutrophilen Granulozyten wollen einfach nicht steigen und die Wochen ticken dahin. Wir fragen uns, ob der Krebs bei einer so langen Chemopause nicht die Gelegenheit nutzt, um zu wachsen und sich zu verbreiten. Anaplastisches Ependymom ist laut Heidis Neurologen Dr. Johan eine aggressive Krebsform, die ässerst aggressiv behandelt werden muss. Wie aggressiv ist es dann, wenn der Intervall statt zwei Wochen fünf beträgt?
Aber solange Heidis neutrophilen Granulozyten so niedrig sind, kann sie keine Chemo kriegen. Ihr Körper würde das nicht schaffen. Zwei Alternativen, von denen die eine genauso schlecht wie die andere ist. Der Termin für die nächste MRT am 24. Oktober, der uns ins Haus segelt, verstärkt nur die Unruhe und die Angst vor neuen, schrecklichen Nachrichten schleicht sich heran. Wie stark wir auch hoffen...
In letzter Zeit gibt es sowieso eine Menge bedrückender Gedanken. Schlaflose Nächte und viele Tränen, nicht zuletzt wegen eines kleinen Dreijährigen und dessen Familie, die wir auf der Krebsstation kennengelernt haben. Trotz richtig starker Chemos und Strahlungen hat der Gehirntumor des Kleinen gewonnen. Nachdem die Ärzte festgestellt hatten, dass nichts mehr zu machen sei, blieben der Familie noch knapp 10 Tage. Wie kann das Leben nur so grausam sein und uns unsere Kinder nehmen? Wie soll man je wieder auf die Beine kommen?
Wir hoffen nur, dass es der kleine Noel da drüben besser hat, dort auf der anderen Seite, in dem Land ohne Schmerzen, Chemos und Krankenhaus. Und dass die Eltern ein bisschen Seelenfrieden und Trost darin finden, wenn auch nur ab und zu für eine kleine Weile.

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